GEOPOLITIK – Bundesregierung rückt Türkei in die Nähe des Terrors

Ein seltsames BND-Papier stellt die Türkei als „zentrale Aktionsplattform“ für Terror-Gruppen dar. Grüne und Teile der CDU sehen damit den Flüchtlingsdeal als gescheitert an. Unklar ist, ob Deutschland auch Söldner aufnehmen wird, die in Syrien gekämpft haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Mai 2016 in Istanbul. (Foto: dpa)

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Mai 2016 in Istanbul. (Foto: dpa)

In einem ARD-Interview hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland vorgeworfen, Terroristen nicht zu verfolgen, deren Namen die Türkei Deutschland übermittelt hatte. Erdogan sagte: „Wir kämpfen seit 35 bis 40 Jahren gegen den Terror. Ein Großteil dieser Terroristen wird auch in Deutschland unterstützt und genährt. Ich habe Bundeskanzlerin Merkel bezüglich dieser Personen 4.000 Akten übermittelt. Sie sind namentlich genannt. Als ich sie fragte, was denn nun ist mit unserem Anliegen, sagte, sie, dass der Justiz-Prozess weitergehe. Sie hat gesagt, es seien mittlerweile schon 4.500 Fälle. Gerechtigkeit, die zu spät kommt, ist keine Gerechtigkeit. Die Menschen leben heute in Frankreich, in Belgien, in Holland. Wir haben als unsere nachrichtendienstlichen Erkenntnisse geteilt. Aber diese Terroristen werden nicht an die Türkei ausgeliefert. Wir müssen gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen. Wenn wir hier nicht gemeinsam vorgehen, wird es in Deutschland, Frankreich in den Niederlanden und in allen anderen europäischen Staaten zu Problemen kommen.“

Erdogan nannte ausdrücklich die PKK und die YPG, aber auch andere „ausländische“ Kämpfer. Seit die Russen und die Türken in Syrien kooperieren, hat sich bei den US-Neocons eine gewisse Nervosität breitgemacht, was denn nun mit den von den verschiedenen Geheimdiensten des Westens und der Golfstaaten entsandten Söldnern in Syrien geschehen wird. Es ist aktuell nicht mehr zu beurteilen, welche Kämpfer in Syrien, im Irak und in Libyen eingesetzt werden – und wohin sich diese zurückziehen können, wenn Russen und Syrer mit Unterstützung der Türkei die Söldner militärisch besiegen sollten. An einer Gefangennahme haben die entsendeten Groß- und Regionalmächte kein Interesse, weil dann Identität und Nationalität der Söldner preisgegeben würde. Aus den mit dem Westen alliierten Golfstaaten werden die al-Nusra-Front und der IS unterstützt – allen voran ist Saudi-Arabien der Hauptfinanzier und Entsender von islamistischen Söldnern.

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Die Türkei selbst ist nach dem gescheiterten Putschversuch auf einen harten Kurs in Syrien eingeschwenkt und kooperiert mit den Russen. In der türkischen Politik und in den Medien ist man der Auffassung, dass der Putsch mit Unterstützung aus dem Westen durchgeführt wurde. Die US-Regierung und die Nato haben jede Beteiligung zurückgewiesen. Dies ist auch glaubwürdig. Allerdings ist nicht klar, inwieweit die CIA und andere westliche Nachrichtendienste in den Putschversuch verwickelt sind. Der US-Geopolitiker Zbigniew Brzezinski hatte am Samstag auf Twitter geschrieben: „Die US-Unterstützung des Putschversuchs gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war ein schwerer Fehler und ein schwerer Schlag für den Ruf der USA.“

In diese komplexe Gemengelage der transatlantischen und Nato-Interessen platzte am Dienstag die Veröffentlichung einer Anfrage der Linkspartei. Die ARD brachte Teile der Antwort der Bundesregierung. Die Bundesregierung sieht die Türkei demnach als „zentrale Aktionsplattform“ für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten.

Doch wer gehofft hatte, die Antwort werde Erhellendes zu al-Nusra und dem IS enthalten, wurde enttäuscht. In dem vom BND ausgearbeiteten Papier heißt es zwar vielversprechend: „Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.“ Doch dann bekommen die Bundestagsabgeordneten in der vom Parlamentarischen Innenstaatssekretär Ole Schröder übermittelten Antwort nur Allgemeinplätze und alten Kaffee serviert: „Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die Hamas und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdogan unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern.“

Die dpa bläst die Antwort zwar mächtig auf und schreibt: „Damit stellt die Bundesregierung dem Bericht zufolge erstmals offiziell eine direkte Verbindung zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und einer Terrororganisation her – denn als solche wird zumindest die Hamas, anders als in der Türkei, seit 2003 in der Europäischen Union eingestuft.“ Die Muslimbrüder wurden in Ägypten längst vom Militär weggeputscht – nachdem sie 1,5 Milliarden Euro von der EU erhalten hatten, was damals offenbar noch nicht als Terror-Finanzierung angesehen wurde. Die unterschiedliche Beurteilung der Hamas ist seit Jahrzehnten bekannt.

Weitere Details wird die deutsche Öffentlichkeit nicht erfahren. Die FAZ berichtet: „In dem nicht als Verschlusssache eingestuften Teil steht, dass eine offene Beantwortung ,aus Gründen des Staatswohls‘ nicht erfolgen könne.“

Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte nach Bekanntwerden des rätselhaften Dokuments: „Spätestens jetzt ist klar: Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist ein für allemal gescheitert.“ Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte, die mit dem Flüchtlingspakt verbundenen Verhandlungen über eine Visa-Liberalisierung könnten so nicht fortgesetzt werden. Unklar ist, ob damit gemeint ist, dass Deutschland nun die in der Türkei festgehaltenen Flüchtlinge übernehmen solle. Unklar ist auch, ob es bei der weiteren Übernahme von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet zu einer Trennung in Kriegsflüchtlinge, Söldner und Islamisten kommen wird, oder ob diese Personen pauschal Asyl erhalten sollen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die EU erst vor wenigen Tagen auch Staatsangehörige von Saudi-Arabien auf ihre Liste der unbedingt Schutzbedürftigen aufgenommen hat.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 17.08.2016

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