»Putsch« im Nahen und Mittleren Osten

Kredit für Selbständige

02.10.2015
Tyler Durden

Bereits im Juni dieses Jahres besuchte der Kommandeur der iranischen al-Quds-Einheiten, Generalmajor Quassem Soleimani, eine Stadt nördlich von Latakia an der Frontlinie des anhaltenden syrischen Bürgerkrieges. Nach diesem Besuch versprach er, Teheran und Damaskus arbeiteten an einer neuen Strategie, die »die Welt überraschen« würde.

Etwas weniger als einen Monat später besuchte Soleimani unter Verletzung des von den Vereinten Nationen gegen ihn verhängten Reiseverbots Russland und führte dort mit Kremlvertretern Gespräche. Im Pentagon hieß es dazu nun, diese Gespräche seien »sehr wichtig« gewesen, um den Zeitplan für eine Beteiligung Russlands in Syrien zu verkürzen. Der General soll sich im September erneut in Moskau aufgehalten haben.

Die zeitliche Parallelität dieser Ereignisse ist kein Zufall. Der Iran hat seit Langem das Assad-Regime offen und verdeckt mit Finanzen, logistischer Unterstützung seitens der Quds-Brigaden und über die Beteiligung der Hisbollah am Kampf der Regierung Assad zur Wiederherstellung der Kontrolle des Landes unterstützt.

Offenbar hat sich der Iran, der aus politischen Gründen nicht einfach offen zur Unterstützung Assads in Syrien intervenieren konnte, weil dies im Zusammenhang mit dem P5 +1-Abkommen im Atomstreit ein PR-Desaster gewesen wäre, an Moskau gewandt. Das machte bisher vom russischen Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch, um eine Anklageerhebung vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verhindern. Der Kreml gilt als Verbündeter des Iran und Syriens.

Es ist zwar gegenwärtig noch unklar, was genau Putin zu seiner Zustimmung veranlasst hat. Aber Russland sah offenbar eine einzigartige Gelegenheit, die geopolitische Agenda des Kremls in diesen historisch wichtigen Zeiten voranzubringen. Moskau ist sehr daran interessiert, sich in der schärfsten Auseinandersetzung mit dem Westen seit dem Kalten Krieg (als Folge des Konfliktes in der Ukraine und der Abspaltung der Krim) sowie im Zusammenhang mit seinen Bemühungen, den Marktanteil Gazproms in Europa zu halten, als unerschrockener Akteur zu zeigen.

Kurz gesagt betrachtete Putin offenbar diese Ereignisse als eine geopolitische Win-Win-Situation, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Russland könnte erstens seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten auf Kosten Washingtons und dessen Verbündeten ausweiten. Dieser Schritt könnte auch dazu beitragen, die russischen Energieinteressen zu schützen und langfristig den Mittelmeerhafen Tartus zu halten. Zweitens würde Russland seine Verbündeten im Iran und Syrien unterstützen und so ein starkes Gegengewicht zur Allianz aus den USA, Saudis und Katar aufbauen.

Der Iran seinerseits könnte auf die Unterstützung des gewaltigen russischen Militärarsenals hoffen, um auf diese Weise seine heikle regionale Rolle als Verbindungsglied, die die eigentliche Quelle des iranischen Einflusses im Nahen und Mittleren Osten ist, zu schützen. Für den Iran hat es absolute Priorität, Assad an der Macht zu halten, da der Verlust Syriens an den Westen die Versorgungslinie zwischen dem Iran und der Hisbollah wirksam unterbrechen würde.

Im Irak wirkt sich eine vergleichbare Dynamik aus. Der Iran bekämpft dort den Islamischen Staat über unterschiedliche schiitische Milizen genauso, wie er im Jemen über die schiitischen Huthi-Milizen gegen die von den Saudis angeführte Koalition kämpft. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Tatsache, dass Bagdad sich bereit erklärt hat, nachrichtendienstliche Informationen mit Syrien und Russland auszutauschen, außerordentliche Bedeutung, da dies nichts anderes heißt, als dass die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen, die um die Vorherrschaft im Irak kämpfen, die Unterstützung des russischen Militärs genießen werden.

Offensichtlich handelt es sich bei diesen Ereignissen um einen koordinierten Plan

Der Kreml hat zugestimmt, die Kampfkraft der russischen Luftwaffe gegen Assads Gegner in Syrien und gegen sunnitische Kämpfer im Irak zur Unterstützung iranischer Bodentruppen einzusetzen. Und da die USA und ihre Verbündeten so schmählich damit gescheitert sind, gegen Assad kämpfende Rebellen, die sich nicht bei nächster Gelegenheit als Extremisten erweisen würden, auszurüsten und auszubilden, konnte Putin sein Vorgehen auch noch als »Krieg gegen den Terror« ausgeben. Ein eleganteres Machtspiel kann man sich nur schwer vorstellen.

Wie man der folgenden Meldung der Nachrichtenagentur Reuters entnehmen kann, sind diese Überlegungen keinesfalls zu weit hergeholt:

»In den vergangenen zehn Tagen sind hunderte iranische Soldaten in Syrien eingetroffen und werden sich bald den Regierungstruppen und ihren libanesischen Hisbollah-Verbündeten in einer größeren Bodenoffensive mit Unterstützung russischer Luftangriffe anschließen, erklärten zwei libanesische Quellen gegenüber Reuters.

Die russischen Luftangriffe werden in absehbarer Zeit von einem Vorrücken von Bodentruppen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten begleitet werden‹, erklärte eine der Quellen, die mit den politischen und militärischen Entwicklungen in dem Konflikt vertraut ist. ›Wahrscheinlich werden sich die anstehenden Bodenoperationen auf die Region um Idlib [im Nordwesten Syriens im Grenzgebiet zur Türkei] und Hama [in Mittelsyrien] konzentrieren‹.

Die beiden Quellen erklärten, bei den Militäroperationen gehe es darum, Territorium zurückzuerobern, das die Regierung von Präsident Baschar al Assad an die Rebellen verloren habe.

Dies deutet auf eine sich abzeichnende Militärallianz zwischen Russland und den anderen Hauptverbündeten Assads – dem Iran und der Hisbollah – hin, die darauf abzielt, die verloren gegangenen Gebiete im Nordwesten Syriens, die von den Aufständischen Anfang des Jahres in raschen Vorstößen besetzt worden waren, zurückzuerobern.

Die Vorhut der iranischen Bodentruppen ist bereits in Syrien eingetroffen: Es handelt sich um Soldaten und Offiziere, die an diesen Kämpfen teilnehmen sollen. Es sind keine Berater… Wir gehen von hunderten [Soldaten] mit Ausrüstung und Waffen aus. Ihnen werden noch sehr viel mehr folgen‹, erklärte die zweite Quelle. Auch Iraker würden an dieser Militäroperation teilnehmen, berichtete die Quelle.«
Auch die folgende Reuters-Meldung ist hochinteressant:

»Das russische Außenministerium erklärte am Donnerstag, man werde jede Bitte seitens der irakischen Regierung, mit Luftangriffen gegen den Islamischen Staat in Syrien vorzugehen, prüfen, aber bis jetzt sei eine solche Bitte noch nicht an Russland herangetragen worden, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti und zitierte das russische Außenministerium mit den Worten, man werde die ›politische und militärische‹ Logik eines derartigen Schrittes bewerten, wenn eine entsprechende Bitte vorgebracht würde.«


Und zur Untermauerung und weiteren Bestätigung der Richtigkeit der hier vorgebrachten These nun die Panikreaktion der Saudis angesichts der Möglichkeit, die russische Präsenz werde die bisherigen Einflusssphären im Nahen und Mittleren Osten grundlegend verändern (ebenfalls via Reuters):

»Saudi-Arabien, ein führender Widersacher Präsident Baschar al-Assads, forderte dessen Verbündeten Russland auf, seine Luftangriffe in Syrien einzustellen, da die Angriffe zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt, sich aber nicht gegen die extremistischen Kämpfer des Islamischen Staates gerichtet hätten, die Moskau angeblich bekämpfen wollen.

In Äußerungen im Rahmen der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York erklärte ein hochrangiger saudischer Diplomat, Russland und der Iran, Assads anderer Hauptverbündeter, könnten nicht in Anspruch nehmen, gegen den › Terrorismus‹ des Islamischen Staates zu kämpfen und gleichzeitig den ›Terrorismus‹ der syrischen Regierung unterstützen.

Der saudische UN-Botschafter Abdallah Al-Muallimi erklärte, sein Land sei angesichts der ›massiven Militäroperation, die die russischen Streitkräfte heute (1.10.2015) in Homs und Hama durchgeführt haben, sehr besorgt. In den betreffenden Regionen hielten sich keine IS- Milizen auf. Diese Angriffe haben zu zahlreichen unschuldigen Opfern geführt. Wir fordern, [die Angriffe] sofort einzustellen und nicht wieder aufzunehmen.

Was diejenigen Länder betrifft, die vor Kurzem behauptet haben, sich dem Kampf gegen den ISIS-Terrorismus anzuschließen, so können sie dies nicht tun, wenn sie gleichzeitig den Terrorismus des syrischen Regimes und seiner terroristischen ausländischen Verbündeten wie der Hisbollah und den Quds-Brigaden und anderer terroristischer, sektiererischer Gruppen unterstützen‹, erklärte er in einem Kommentar, der vom saudischen Fernsehsender al-Arabija ausgestrahlt wurde.

ISIS ist ein bekanntes Kürzel für den Islamischen Staat, der auch als ISIL bekannt ist. Die libanesische schiitische Hisbollah-Miliz kämpft offen an der Seite der Regierung Assad, und die al-Quds-Brigaden, die Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden, sollen nach allgemeiner Überzeugung ebenfalls Damaskus unterstützen.«

Die Bedeutung der gegenwärtigen Ereignisse in der Region lässt sich kaum überschätzen. Hier vollzieht sich praktisch ein »Putsch« im Nahen und Mittleren Osten, wobei der Iran offensichtlich versucht, Saudi-Arabien als regionale Vormacht zu ersetzen. Russland ist daran interessiert, die USA als Supermacht-Drahtzieher abzulösen.

Man sollte nicht damit rechnen, dass Saudi-Arabien und Israel dem untätig zusehen werden

Sollte Russland tatsächlich die Position des Iran in Syrien (durch eine Ausweitung des Einflusses der Hisbollah und ihrer Fähigkeiten) verstärken, und sollte die russische Luftwaffe die Luftherrschaft im Irak erreichen und es damit dem Iran ermöglichen, einen größeren Einfluss auf die Regierung in Bagdad auszuüben, wäre das bisherige fragile Machtgleichgewicht in der Region auf den Kopf gestellt. Sollte es dazu kommen, ist kaum davon auszugehen, dass Washington, Riad, Jerusalem und London so einfach von der Bühne verschwinden.


Quelle: Kopp-online vom 02.10.2015

Portugiese 03.10.2015-1

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