Terror-Staat – Syrische al-Qaida will eigenes Kalifat ausrufen

Die IS-Miliz in Syrien bekommt Konkurrenz aus den eigenen Fundamentalisten-Reihen: Jetzt will auch der Chef von al-Nusra einen eigenen Staat ausrufen. Berüchtigte Terroristen wurden bereits entsendet.

Von Alfred Hackensberger

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Foto: Infografik Die Welt

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Was Aiman al-Zawahiri, das selbst ernannte Oberhaupt der internationalen Dschihadisten, in seiner nur 10-minütigen Audiobotschaft verkündete, könnte der ohnehin schon katastrophalen Situation in Syrien noch einmal eine ganz neue Dimension verleihen. Der eigentlich für endlose und durchweg langweilig Predigten bekannte Al-Qaida-Chef hielt sich bei seiner Ansprache an seine Gefolgsleute in Syrien  zurück und fasste sich kurz.

Seine Anhänger sind dort nicht nur in der Nusra-Front zu finden, dem offiziellen Ableger des Al-Qaida-Netzwerks in der Levante. Sympathisanten des ägyptischen Arztes, der zum Terroristen mutierte, gibt es bei allen der zahlreichen, radikalen Islamistengruppen Syriens. Selbst wenn sie sich, wie die Nusra-Front und der Islamische Staat (IS), untereinander bekämpfen sollten.

Gezielt rief Zawahiri deshalb mit großer Pathetik zu Einigkeit aller „Mudschahedin“ auf. Denn Syrien sei die große Hoffnung der Weltgemeinschaft aller Muslime. Hier habe die Revolution als einzige des „arabischen Frühlings“ „den korrekten Weg zu einem rechtsgeleiteten Kalifat eingeschlagen“. Mit dem Kalifat der Konkurrenz vom IS hat das natürlich nichts zu tun. Denn dies sei ein Projekt der Abtrünnigen und Extremisten.

Al-Qaida will in Syrien nun selbst den großen Traum vom eigenen islamischen Staat verwirklichen. Dafür ist der Terrorchef Zawahiri sogar bereit seine oberste Weisungsbefugnis aufzugeben. Er legt alles in die Hände seiner Zöglinge der Nusra-Front. „Wenn sie eine muslimische Regierung etablieren und einen Imam wählen, dann ist ihre Wahl unsere Wahl.“ Angeblich wäre Zawahiri bereitwillig der erste Soldat, der dieser Regierung dienen würde. Im Klartext: Der Al-Qaida-Chef stellt der Nusra-Front einen Freifahrtsschein aus.

Für Syrien, aber auch für Europa und die USA bedeutet das nichts Gutes. Der Al-Qaida-Ableger peilt schon seit zwei Jahren die Errichtung eines Staates an. Mit dem großzügigen Segen ihres Bosses dürften sich die Dschihadisten noch mehr ermutigt fühlen, endlich Ernst zu machen.

Was für blutige Konsequenzen eine Al-Qaida-Regierung haben könnte, wurde bereits durch das IS-Kalifat deutlich. Die Bevölkerung wird mithilfe staatsähnlicher Strukturen systematisch terrorisiert, und die Extremisten können unbehelligt Anschläge im Ausland planen. Die Nusra-Front kontrolliert bereits große Gebiete in der Provinz Idlib und könnte das zum Zentrum ihres neuen Kalifats machen. Dort wurde bereits eine „Administration der befreiten Distrikte“ eingeführt und stetig ausgebaut.

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Bisher war die Terrororganisation um Verhandlungen mit anderen islamistischen Gruppierungen bemüht, um sie in eine Einheitsfront zu integrieren. Bisher ist das gescheitert. Ahrar al-Scham, eine der drei größten Islamistenmilizen in Syrien, haben einen Zusammenschluss abgelehnt. Nur militärisch konnte die Nusra-Front andere Organisationen zur Kooperation bewegen. Die Allianz der Jaisch al-Fatah, die Armee der Eroberung, war bis zur Militärintervention Russlands sehr erfolgreich im Kampf gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad .

Illustres Terrorpersonal nach Syrien geschickt

Seit 2013 hatte al-Qaida zur Unterstützung der Nusra-Front hohe Führungskräfte aus Afghanistan und Pakistan nach Syrien geschickt. Darunter waren so bekannte Dschihad-Figuren wie Abu Firas al-Suri oder Abu Hammam al-Suri. Ende 2015 soll der aus iranischer Haft entlassene Al-Qaida-Führer Seif al-Adel hinzugekommen sein. Mit ihm machten weitere hohe Funktionäre des Terrornetzwerks die Reise nach Syrien.

Unter ihnen sind angeblich Abu al-Khayr al-Masri und Abdullah Ahmed Abdullah. Beide gelten als Täter der Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania von 1998. Abu al-Khayr soll ehemaliger Assistent von Zawahiri gewesen sein und hatte eine Tochter von Osama Bin Laden geheiratet. Ein dritter bekannter Al-Qaida-Mann, der als Helfer zur Nusra-Front kam, war Khaled al-Arouri. Er ist der Schwiegersohn vom IS-Gründer Abu Musab al-Zarqawi.

Das ist eine wahrlich illustre wie erschreckende Gemeinschaft von Terrorpersonal, das nach Syrien geschickt wurde. Mit ihrem guten Ruf innerhalb der internationalen Dschihadszene sollten sie zur Integration der Nusra-Front beitragen und Eindruck auf andere Islamistengruppen machen. Die Entsendung dieser Führungsleute zeigt, wie wichtig Syrien für al-Qaida ist. „Die Levante ist zum Schlüssel für al-Qaidas globale Strategie geworden“, sagte Charles Lister, ein bekannter britisch-amerikanischer Terrorspezialist.

Syrien liegt an zentraler Stelle und hat zugleich große religiöse Bedeutung. Hier soll angeblich die „letzte Schlacht“ gegen die Armee der Invasoren stattfinden, bevor das jüngste Gericht anbreche. In den Nachbarländern – Libanon, Jordanien und Irak – hat al-Qaida bereits seit vielen Jahren funktionierende Strukturen. Und dann ist da noch Israel, die verhasste Inkarnation des Bösen der Islamisten, in greifbarer Nähe.

Man wird sehen, ob die Nusra-Front in nächster Zeit den Alleingang wagt und ein Emirat ausruft. Die ausgehandelte Waffenruhe in Syrien schadet der Terrororganisation. Bereits kurz nach dem Beginn der Feuerpause gab es in einigen Orten Proteste gegen die Islamisten. „Wir brauchen Demokratie und Freiheit, nicht die Nusra-Front“, hatten Demonstranten gerufen.

Die Dschihadisten brauchen Krieg, um ihre militärische Stärke unter Beweis zu stellen, die sie so bekannt und beliebt in Teilen der syrischen Bevölkerung machte. In Aleppo, Idlib und anderen Städten hatten die Menschen der Nusra-Front über die Jahre immer wieder zugejubelt. Sie waren einige der wenigen Milizen, die das Regime erfolgreich bekämpften. Zudem hatten sie, im Gegensatz zu vielen anderen Gruppen, den Ruf, nicht korrupt zu sein.

„Wir sind keine Schüler der Macht, die über andere herrschen wollen“, behauptete Al-Qaida-Chef Zawahiri in seiner neusten Audiobotschaft. „Wir sind Schüler der Scharia-Gerichtsbarkeit, die unter der Herrschaft des Islam leben wollen.“ Ob das die meisten Menschen in Syrien auch so sehen, steht zu bezweifeln. Die Nusra-Front wird ihren Islam und ihr Kalifat – genau wie die Konkurrenz vom IS – nur mit Gewalt durchsetzen können.

Quelle: Welt-online vom 10.05.2016

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