Syrien: Tausende Regimeanhänger fordern Kopf von Assad-Sprössling

 

Von Christoph Sydow

Suleiman al-Assad: Mitglied des Präsidentenclans soll General erschossen haben
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Suleiman al-Assad: Mitglied des Präsidentenclans soll General erschossen haben

Tausende Syrer fordern nach einem Mord auf offener Straße die Hinrichtung von Suleiman al-Assad, einem Verwandten des Diktators. Das Ungewöhnliche: Die meisten Demonstranten sind Unterstützer des Assad-Regimes.

Latakia ist die letzte Großstadt in Syrien, die uneingeschränkt unter der Kontrolle des Regimes steht. Zu Beginn des Aufstands gegen Assad gab es zwar auch in der Küstenstadt am Mittelmeer Proteste, diese wurden jedoch im August 2011 niedergeschlagen. Seither herrschte Friedhofsruhe in der 400.000-Einwohner-Stadt.

Doch nun erregt ein Mord auf offener Straße die Menschen in Latakia. Denn der mutmaßliche Täter ist nicht irgendwer, sondern Suleiman al-Assad, ein Sohn des 2014 getöteten Präsidentencousins Hilal al-Assad. Und auch sein Opfer war prominent: Hassan al-Sheikh war Luftwaffenoffizier im syrischen Militär und gehörte wie der Assad-Clan der Minderheit der Alawiten an.

Laut Augenzeugen trug sich am vergangenen Donnerstag im Zentrum von Latakia folgendes zu: Suleiman al-Assad fühlte sich offenbar in seinem Hummer vom vor ihm fahrenden Sheikh behindert. Schließlich überholte er den Offizier und zwang ihn zum Halt. Beide Männer gerieten in einen Streit, in dessen Verlauf Assad den Soldaten mit einer Kalaschnikow erschoss – vor den Augen dessen Familie. Der Schütze raste mit seinen Bodyguards davon.

Jeden Abend wollen sie demonstrieren

Suleiman al-Assad ist nach unterschiedlichen Angaben zwar erst 18 oder 19 Jahre alt, aber schon jetzt berüchtigt in Latakia und Umgebung. Sein Vater Hilal machte in den Achtzigerjahren ein Vermögen mit dem Schmuggel von Luxusgütern von Libanon nach Syrien. Nach Beginn des Aufstands ernannte Staatschef Assad seinen Cousin Hilal zum Kommandeur der Nationalen Verteidigungskräfte in der Provinz Latakia, einer Miliz von Freiwilligen, die außerhalb der regulären syrischen Armee agiert.

Hilal wurde im März 2014 bei Kämpfen im Umland von Latakia getötet. Seither soll sich sein Sohn Suleiman in der Stadt wie ein wildgewordener, selbstherrlicher Warlord aufführen. Die harmloseren Anekdoten, die über ihn kursieren, handeln davon, wie er mit seinem Hummer über den Strand rast und Badegäste belästigt. Die ernsteren Geschichten berichten, dass er schon mehrfach auf Menschen geschossen habe.

Doch mit dem Mord an Offizier Sheikh hat Suleiman nun eine rote Linie überschritten. An den vergangenen beiden Abenden zogen Tausende Menschen durch das Zentrum von Latakia. Ihre Rufe erinnerten an die Forderungen, die Demonstranten vor vier Jahren im sogenannten Arabischen Frühling gerufen hatten. Damals hieß es: „Das Volk will den Sturz des Regimes“, heute rufen sie: „Das Volk will Suleimans Hinrichtung.“ Der Bruder des getöteten Offiziers hat die Menschen aufgefordert, an jedem Abend um 20 Uhr zu demonstrieren – so lange, bis Suleiman bestraft werde.

Das Bemerkenswerte an den Protesten: Die meisten Demonstranten gehören wie die Assads den Alawiten an. Gemeinhin gelten die Alawiten, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung stellen, als Profiteure des Regimes. Dabei geht es ihnen in der alawitischen Küstenregion um Latakia kaum besser als den anderen Syrern. Tatsächlich hat das Regime die Alawiten seit Jahrzehnten als Geiseln genommen, gezielt den Hass der Sunniten auf die Minderheit geschürt und die Alawiten so dazu verdammt, die Assads als einzigen Schutzgaranten zu betrachten.

Der Gleichmut der Alawiten hat Grenzen

Bislang ist diese zynische Strategie aufgegangen. Auch bei den aktuellen Protesten in Latakia betonen die alawitischen Demonstranten, dass sie hinter Präsident Assad stehen. Sie verlangen aber von ihm, die kriminellen Banden zu bremsen, die seit Ausbruch des Bürgerkriegs einen Staat im Staate bilden. Diese Gruppen, eine Mischung aus Schmugglerbanden, Schlägertrupps und Milizen, sind als Schabiha, Gespenster, landesweit berüchtigt. Der Terror, den sie verbreiten, ist eine der Stützen des Regimes.

Doch nun sagen die Demonstranten von Latakia in ihrem auf Facebook verbreiteten Aufruf: „Wir werden nicht länger über die Taten der Schabiha schweigen. Wir wollen auf der Straße nicht länger Angst vor euren Autos haben.“ Zudem verdammen sie die Korruption der Milizionäre.

Angeblich sollen die syrischen Behörden inzwischen per Haftbefehl nach dem Mitglied der Präsidentenfamilie suchen. Doch der gibt sich davon unbeeindruckt. Auf seiner Facebookseite veröffentlichte er noch am Sonntag ein Foto auf dem er bräsig eine Wasserpfeife paffte. Die Demonstranten von Latakia beschimpfte er als Hunde.

Der Umgang mit dem skrupellosen Teenager wird für Assad zu einer Bewährungsprobe. Einerseits stützt sich seine Herrschaft auf ebenjene Brutalität der Schabiha, deren Umtriebe er eigentlich gar nicht beschneiden kann. Andererseits muss er die Alawiten besänftigen, deren Zorn seit Monaten wächst. Denn sie haben Tausende Männer für das Regime geopfert, gemessen an der Bevölkerungszahl wohl mehr als jede andere Religionsgemeinschaft. Doch auch ihr Gleichmut hat Grenzen.

Quelle: Spiegel-online vom 10.08.2015

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