Libyen – Das nächste Syrien

Von Petra Ramsauer
  • In Libyen warten eine Million Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa, auch der IS versucht sich hier ein Ausweichquartier zu schaffen.
Unzählige schwer bewaffnete Milizen sind in Libyen aktiv. Für wen gekämpft wird, hängt häufig von der Geografie und Stammeszugehörigkeit ab. Auch politische und religiöse Loyalitäten spielen eine Rolle. - © afp

Unzählige schwer bewaffnete Milizen sind in Libyen aktiv. Für wen gekämpft wird, hängt häufig von der Geografie und Stammeszugehörigkeit ab. Auch politische und religiöse Loyalitäten spielen eine Rolle.© afp

Tripolis. Heftige Sandstürme tobten die vergangene Woche über Libyen. Sie taugen nicht nur als Analogie für die weitere Eskalation des politischen Chaos im Land. Das Wetter schien auch geeignet, einen diplomatischen Eklat zu kaschieren. „Mein Flugzeug hat leider keine Landeerlaubnis in Libyens Hauptstadt Tripolis erhalten,“ hatte Martin Kobler, UN-Sondergesandte für das Land am Mittwoch via Twitter geschrieben. Die Witterung würde einen Flug von Tunis nach Tripolis nicht möglich machen. Doch die Notlüge war rasch enttarnt. Zu offensichtlich ist, dass Koblers Initiative zur Rettung der Libyer vor sich selbst kurz vor dem Scheitern steht.

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Bisher hat der krisenerprobte deutsche Diplomat nämlich nur eines erreicht: Die nach UN-Vermittlungsversuchen im Dezember 2015 gebildete Regierung der „Nationalen Einheit“ wird von den beiden derzeit amtierenden, aber tief verfeindeten Regierungen gleichermaßen leidenschaftlich abgelehnt. Der neue Premier Fayez Serraj sitzt samt seinem aufgeblähten Regierungsteam und dem UN-Vermittler in Tunesien fest. Dabei ist das Land so tief ins Chaos geschlittert, dass es jede Hilfe dringend bräuchte: um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen und dem „Islamischen Staat“ in Libyen Einhalt zu gebieten und vor allem, um endlich auf die Beine zu kommen.

Vor den Banken bilden sich derzeit Menschentrauben, da die Verfügbarkeit von Bargeld stockt. Löhne werden nicht ausbezahlt. Auch in Tripolis treten die Risse in der Fassade der Normalität von Tag zu Tag stärker hervor. In der Nacht auf Freitag tauchten Panzer in den Straßen der Hauptstadt auf. Die dort residierende „Regierung der nationalen Befreiung“, erklärte am Freitag in den frühen Morgenstunden den Ausnahmezustand. Kurz zuvor kamen bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen im Westen der Stadt ein halbes Dutzend Menschen um. Für Panik hatte aber vor allem das Gerücht gesorgt, dass vier Mitglieder der „UN-Regierung“ am Weg nach Tripolis sein sollten: Khalifa Ghwell, der international nicht anerkannte Tripolis-Premier, verlautbarte dazu: „Alle Sicherheitsmaßnahmen werden ergriffen, um die Stabilität des Landes sicherzustellen.“

Auch das im Osten regierende und bisher international anerkannte „Repräsentantenhaus“, das aus den Wahlen 2014 hervorging, ist nicht bereit, die UN-Regierung als neue Vertretung Libyens zu unterstützen. Premier ist hier der 61-jährige Abdullah al-Thinni. Er war einmal Verteidigungsminister und seine Macht stützt sich auf Teile der Armee, allen voran auf Ex-General Khalifa Haftar, der einen Feldzug gegen islamistische Gruppen führt, allen voran gegen die der Al-Kaida nahestehende Gruppe „Ansar al-Scharia“.

Neue Interventionspläne
Rund um den fünften Jahrestag des Beginnes der Nato-Operation „Unified Protector“ auf Seiten der damaligen Aufständischen gegen das Regime Muammar al-Gaddafis verdichten sich nun aber die Anzeichen für eine bevorstehende weitere Intervention. Britische, französische und italienische Spezialeinheiten dürften bereits seit Wochen im Land sein. In Rom diskutierten hochrangige Vertreter europäischer Regierungen und der USA bereits konkrete Pläne des nächsten Angriffs. „Es ist angebracht davon auszugehen, dass wir eine sehr entschiedene militärische Aktion ins Auge fassen“, sagte Joseph F. Dunfor Jr,. Generalstabschef der US-Armee, bereits im Februar.

Diese Interventionspläne stehen und fallen allerdings mit der Bildung einer gemeinsamen Regierung, die dann offiziell um internationale Hilfe bitten sollte. Doch weder das Parlament in Tripolis noch das in Tobruk will nachgeben. Dabei drängt die Zeit. Mittlerweile ist es dem libyschen Ableger des „Islamischen Staates“ gelungen, rund um die Stadt Sirte immer mehr an Terrain zu gewinnen. Hier wurden am Tag nach den jüngsten Terroranschlägen von Brüssel in Feierstimmung Süßigkeiten an Kinder verteilt. Bis zu 6500 Kämpfer hat der „IS“ hier konzentriert und er kontrolliert bereits einen Küstenstreifen von 200 Kilometer.

Die Stadt gilt als Ausweichquartier für den Fall, dass die IS-Hochburgen in Syrien und im Irak noch weiter in Bedrängnis geraten. Fuß konnte man in Sirte auch deshalb fassen, weil sich der Clan der Gaddafis in dessen Geburtsstadt auf die Seite der Terrormiliz geschlagen hat. Fast noch entscheidender dürfte aber das Machtvakuum gewesen sein, das durch den Kleinkrieg der beiden Regierungen entstanden ist.

Flüchtlinge als Faustpfand
Und die Festung Sirte wird rasant ausgebaut. Als die Miliz im Jänner Öltanks in Es Sider und Ras Lanuf angriff, stiegen so gigantische Rauchwolken in den Himmel, dass sie sogar vom All aus zu sehen waren. „Sie verfügen über ein Waffenarsenal, das unseren überlegen ist. High-Tech Raketen, moderne automatische Waffen bis hin zu völlig neuen Autos“, warnt Ali al-Hassi, der Sprecher der „Verteidigungseinheit der Öl-Anlage“. Diese Miliz unterstützt die Regierung des Ostens Libyens dabei, diese vitale Infrastruktur vor der IS-Terrormiliz zu schützen. Und dazu bräuchte man nun offensichtlich Hilfe.

Doch es geht bei der möglichen internationalen Intervention um mehr als um die Sicherung des libyschen Öls. Bis zu einer Million Migranten halten sich laut Angaben der Regierung in Tripolis gegenüber der „Wiener Zeitung“ derzeit im Großraum Tripolis auf. Damit liegen die Schätzungen vor Ort noch höher als der Wert von 800.000 Menschen, vor denen zuletzt europäische Spitzenpolitiker sprachen. Und Regierungs-Sprecher Jamal Zubia lässt deutlich durchblicken, dass diese potenziellen Flüchtlinge ein wertvolles politisches Faustpfand darstellen: „Wir sind momentan die Einzigen, die diese Leute aufhalten“, sagte er im Dezember 2015. Mittlerweile scheint diese Kontrolle aber immer lückenhafter zu werden. 3000 Menschen haben heuer bereits Italien aus Libyen kommend erreicht und dieser Weg könnte die Ausweichroute zum Tross über den Balkan werden. Sobald sich die Frühlingsstürme legen und Überfahrten weniger gefährlich werden, wird sich das Ausmaß dieses Problems zeigen. Und auch wie rasch es nötig sein wird, einzugreifen. In jeder Hinsicht.

Quelle: Wiener Zeitung vom 29.03.2016

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Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Macht doch in dem Land klar dass Europa keine Flüchtlinge mehr aufnimmt sonst werden wir von denen überrollt. Aber dazu sind unsere Politiker zu feige. Die lassen lieber ihr eigenes Volk untergehen.

patriot
patriot
8 Jahre zuvor

Ja oder schickt sie gleich übers grosse wasser wo ein teil der ursache zu suchen ist.