Attacke auf Behinderte in Japan: Die wirre Gedankenwelt des Messermörders

Von Heike Klovert

Japanische Ermittler am Tatort in Sagamihara
DPA

Japanische Ermittler am Tatort in Sagamihara

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Es ist der schlimmste Mordfall in Japan seit Jahrzehnten: Ein 26-Jähriger hat in einem Behindertenheim mindestens 19 Menschen erstochen. Die Bluttat hatte er detailliert angekündigt.

Das Wohnheim für Behinderte am Stadtrand von Sagamihara, Japan, liegt recht idyllisch. Direkt dahinter fließt der Sagamigawa durch ein grünes Bett, was selten ist in einem Land, das viele seiner Flüsse in Beton eingefasst hat.

Die Einrichtung Tsukui Yamayuri-En, in der rund 150 geistig behinderte Menschen leben, ist umgeben von Hügeln, Bäumen und Häusern mit Gemüsegärten. Hier passierte nicht viel. Bis zum Dienstagmorgen.

Es war kurz nach zwei Uhr, als Satoshi U. durch ein Fenster in das Heim einbrach. Dann begann er, auf schlafende und wehrlose Patienten einzustechen, er zielte offenbar auf die Kehlen, er tötete mindestens 19 Menschen und verwundete 25.

Drei Messer soll der 26-Jährige dabei gehabt haben und Kabelbinder, um Mitarbeiter des staatlichen Heims zu fesseln. Kurz nach der Tat habe er sich selbst gestellt, berichtet die japanische Polizei. Er habe dabei ruhig und gefasst gewirkt.

 

Die brutale Tat schockiert Japan besonders, weil Satoshi U. selbst aus Sagamihara kam und bis Februar in der Einrichtung gearbeitet hatte. Und weil sie das Land so unerwartet trifft. Meldungen über globale Terroranschläge schüren zwar auch in Japan Unbehagen. Doch das ostasiatische Land gilt immer noch als sehr sicher.

Der Angriff von Sagamihara 50 Kilometer südwestlich von Tokio ist denn auch der schlimmste seit Jahrzehnten. Zuletzt starben ähnlich viele Menschen beim Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio im Jahr 1995. Damals tötete die Sekte Aum Shinrikyo 13 Menschen. Der Tag ist im nationalen Gedächtnis tief verankert.

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Satoshi U. war beliebt bei Anwohnern in Sagamihara. Die japanische Zeitung „Yomiuri Shimbun“ berichtet, er habe 2011 ein einmonatiges Praktikum an einer lokalen Grundschule absolviert. „Er kam jeden Tag, ohne zu pausieren, und er hat sehr ruhig mit den Kindern gespielt“, erinnert sich die Lehrerin, die ihn damals betreute.

Sein Enkel sei damals von Satoshi U. unterrichtet worden, sagte ein 76-Jähriger, der in der Nähe des Tatverdächtigen wohnt. „Mein Enkel fand, er war ein freundlicher und guter Lehrer.“ Er selbst habe Satoshi U. danach noch lange gegrüßt.

In den vergangenen Monaten hatte sich allerdings abgezeichnet, dass Satoshi U. grausame Pläne hegte. Im Februar soll er einen Brief ans japanische Parlament geschrieben haben, in dem er seine Tat detailliert ankündigte.

„Ich kann 470 behinderte Menschen beseitigen“, heißt es in dem Brief, der mit Name, Adresse und Telefonnummer des Verdächtigen schließt. „Ich bin mir bewusst, dass meine Bemerkung exzentrisch ist.“ Doch er denke an die „müden Gesichter“ und „leeren Augen“ der Betreuer. „Die Behinderten können nur Kummer bereiten.“

Weiter heißt es: „Mein Ziel ist eine Welt, in der Schwerbehinderte, die nicht zu Hause leben und in der Gesellschaft aktiv sein können, mit der Einwilligung ihrer Betreuer Sterbehilfe bekommen können.“ So könne die Weltwirtschaft angekurbelt und ein Dritter Weltkrieg verhindert werden.

Nach der Tat werde er sich stellen, kündigte der Verfasser des Briefs an. Er forderte den Empfänger, den Parlamentsabgeordneten Tadamori Oshima, auf, ihm nach zweijähriger Haft ein neues Leben zu ermöglichen – inklusive Schönheits-OP, neuen Ausweisen und fünf Millionen US-Dollar „Finanzhilfe“.

Er hoffe von ganzem Herzen, dass sein Vorschlag mit Premierminister Shinzo Abe diskutiert werden könne, „für Japan und den Weltfrieden“.

Im selben Monat äußerte sich Satoshi U. offenbar ähnlich gegenüber Mitarbeitern des Heims. Daraufhin sei Satoshi U. von den Behörden verhört und in eine Klinik eingewiesen worden, berichtet unter anderem der Sender NHK. Knapp zwei Wochen später durfte er jedoch wieder gehen. Ärzte seien zu dem Schluss gekommen, dass er keine Gefahr darstelle.

Es war der falsche Schluss.

Quelle: Spiegel-online vom 26.07.2016


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