Nahost – Gemeinsame Militäroperationen von Türkei und USA in Syrien: Kurden sind die großen Verlierer

Gemeinsame Militäroperationen von Türkei und USA in Syrien: Kurden sind die großen Verlierer

Die USA haben sich mit der Türkei darauf geeinigt, Ankara bei der Befreiung der syrischen IS-Stadt Dscharablus zu helfen. Damit kommt Washington auch den Forderungen der türkischen Regierung entgegen, welche angesichts der in Syrien erstarkenden kurdischen YPG mit diplomatischen Konsequenzen gedroht hatte. US-Kampfflugzeuge unterstützen die türkischen Operationen in Syrien.

Am Mittwoch entsandte die Türkei Spezialeinheiten und Panzer, um eine Offensive der Freien Syrischen Armee gegen Dscharablus zu unterstützen. Die Stadt und die umliegende Region werden seit 2013 von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gehalten.

Seit dem vergangenen Wochenende bombardiert die türkische Artillerie Ziele in Syrien. Türkische Kampfflugzeuge geben seit Mittwoch Bodentruppen Luftunterstützung. Dies konnte nicht ohne Erlaubnis Russlands erfolgen. Moskau hatte nach dem Abschuss des russischen Bombers im November 2015 gedroht, in Syrien eindringende türkische Kampfflugzeuge abzuschießen. Außerdem sieht Russland bereits seit Wochen davon ab, die pro-türkischen Rebellenstellungen der FSA im Azez-Marea-Raum zu bombardieren.

Zeitgleich haben sich aber auch die USA auf die Seite der Türkei gestellt. US-Drohnen assistieren der Operation. Sie führen Aufklärungsmissionen über der Kampfzone durch, berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf US-Beamte. Auch US-amerikanische Militärberater sollen im türkischen Operationsraum anwesend sein. „Wir synchronisieren uns mit den Türken“, sagte die US-Quelle gegenüber dem Wall Street Journal. „Wir haben volle Sicht auf alles, was passiert.“

Erdkampfflugzeuge der US-Streitkräfte vom Typ A-10 und F-16-Kampfjets flogen Angriffe, um den türkischen, turkmenischen und arabischen Bodentruppen beizustehen, ergänzte ein Pentagon-Vertreter im Gespräch mit Reuters.

Die Operation soll die IS-Präsenz an der türkischen Grenze beenden. Das Gebiet wird, wenn die Offensive erfolgreich endet, an syrische Rebellen übergeben, die der Türkei nahestehen. Damit geht Ankara allerdings auch direkt gegen die Ambitionen der syrisch-kurdischen YPG vor, die das Gebiet einnehmen wollte, um ein zusammenhängendes Rojava (Westkurdistan) von Afrin über Kobanê bis nach Cizîrê zu errichten. Die Kurden nahmen kürzlich die südlich von Dscharablus gelegene Stadt Manbidsch ein. Als nächstes wollten sie auf Dscharablus vorrücken.

Die Türkei-Analystin Merve Tahiroğlu bemerkte in einer Analyse für das Long War Journal, dass die türkische Operation in erster Linie eine klare Nachricht an die kurdische YPG war. Ankara beendete oder limitierte auf diesem Wege zumindest die US-amerikanische Kooperation mit der YPG, die als Ableger der PKK gilt. Washington ist der engste Verbündete der YPG in Syrien. Auf dem Gebiet der Kurdenmiliz errichteten westliche Staaten bereits drei Militärpräsenzen. Die Erlaubnis der syrischen Zentralregierung wurde dafür nicht eingeholt.

Die USA ließen die YPG damit in Angesicht ihrer Ambitionen fallen. Sie verbündete sich stattdessen mit ihrem alten NATO-Partner Türkei über Syrien. Die YPG wird von Ankara wie die PKK als terroristische Vereinigung gelistet. Mit der PKK führt der türkische Staat in Südostanatolien seit Juli 2015 nach einem mehrjährigen Waffenstillstand einen regelrechten Krieg. Da die PKK das YPG-Gebiet in Syrien als Rückzugsgebiet nutzen könnte, fürchtet Ankara die Destabilisierung seiner eigenen Kurden-Gebiete. Die türkische Regierung versucht, die Kurden-Organisation deshalb mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Stattdessen scheint Washington nun auch selbst den Abzug der YPG westlich des Euphrats zu fordern. Der Pressesprecher der Anti-IS-Koalition teilte am Donnerstag mit, die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die von der YPG dominiert werden, würden sich in das Gebiet östlich des Euphrats zurückziehen und eine Offensive auf Rakka vorbereiten. Das hinterfragte jedoch der Geopolitik-Analyst des Beratungsunternehmens Levantine Group, Michael Horowitz. Rakka ist eine fast ausschließlich arabisch geprägte Region. Für die YPG gibt es dort kaum eine Chance, in der lokalen Bevölkerung Fuß zu fassen. Außerdem müssten die USA den Kurden-Milizen nach dem Abzug aus Manbidsch neue Versprechungen machen, so Horowitz, sollte die Offensive tatsächlich stattfinden.

„Wir haben den Kurden hinsichtlich ihrer Ambitionen Grenzen gesetzt, wenn sie unsere Unterstützung haben wollen, was meiner Meinung nach eine große Hebelwirkung haben muss“, sagte ein US-Beamter zuvor dem Wall Street Journal. „Das gibt uns in Bezug auf die Türken etwas Luft zum Atmen.“

Washington möchte nicht, dass türkische Einheiten die kurdischen in direkten Auseinandersetzungen bekämpfen, betonte der US-Vizepräsident Joe Biden bei seinem Besuch am Donnerstag in der Türkei. „Es wird keinen [kurdischen] Korridor geben. Punkt. Es wird keine separate Entität an der türkischen Grenze geben, sondern ein einheitliches Syrien“, sagte der US-Vizepräsident bei einer Pressekonferenz mit dem türkischen Premierminister Binali Yıldırım. Der türkischen Analystin Merve Tahiroğlu zufolge waren die Aussagen Bidens „für die Kurden ein Schlag ins Gesicht“. Laut Feldberichten kommt es trotzdem zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen oder pro-türkischen Einheiten und den YPG-Kämpfern.

Biden landete in der Türkei nur Stunden nach Beginn der Dscharablus-Operation. Die vorab geplante Operation wird weithin als Versuch gedeutet, die angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder zu glätten.

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Die bilateralen Beziehungen haben sich seit dem vereitelten Putschversuch in der Türkei am 15. Juli verschlechtert. Die türkische Regierung machte den islamischen Prediger Fethullah Gülen und seine Anhängerschaft im türkischen Militär und anderen Sicherheitskräften hauptverantwortlich für die Ereignisse.

Der umstrittene Geistliche lebt seit Jahren im US-amerikanischen Exil und betreibt von dort aus ein weltweites Netzwerk von Religions- und Bildungsinstitutionen. Einige türkische Offizielle warfen den USA Komplizenschaft zur mutmaßlich von Gülen selbst gesteuerten „Fethullistischen Terrororganisation/Parallelstaatsstruktur“ (FETÖ/PDY) vor. Dieser Tage mache sich zudem eine noch nie dagewesene anti-amerikanische Stimmung auf den Straßen der Türkei breit, erklärte Tahiroğlu. Ihrer Meinung nach waren jedoch die jüngsten hochrangigen Staatsbesuche der türkischen Regierung in Moskau und Iran ausschlaggebend für die Neuausrichtung der US-Politik gegenüber Ankara. Washington befürchtet, dass sich Ankara auf Kosten der Partnerschaft zu den USA geopolitisch auf die Seite Russlands und Irans schlagen könnte.

Das Analyseportal Middle East Briefing geht noch weiter. Es glaubt, dass sich die Türkei mit Moskau und Iran bereits über eine „ISIS-First“-Strategie einig wurden. Demnach erlaube Moskau der Türkei unter der Prämisse, dass sich Ankara von seinen Umsturzversuchen gegenüber den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad distanziert, die Bekämpfung des „Islamischen Staates“. Außerdem scheint die YPG angesichts ihrer Entscheidung, sich mit den USA zu verbünden und Regierungstruppen al-Assads in Hasaka zu bekämpfen, auch seine Fürsprecher in Moskau und Damaskus verloren zu haben.

Quelle: Russia Today (RT) vom 25.08.2016

 

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Ulrike
Ulrike
7 Jahre zuvor

Politik ist das dreckigste Geschäft das es gibt.