City of London und der Brexit: Kalt erwischt

 

Von Philipp Seibt, London

Bank of England in der City of London

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Das Brexit-Votum erschüttert die Londoner City. Mehrere Banken hatten angekündigt, im schlimmsten Fall Tausende Jobs zu verlegen – bei einigen könnte es jetzt ganz schnell gehen.

Es ist 1.30 Uhr nachts, und Börsenanalystin Kathleen Brooks kann ihre Augen gar nicht mehr abwenden von den Monitoren.

Die Brexit-Auszählung läuft, die BBC vermeldet jeden Wahlkreis. Um kurz nach eins beziffert der Wettanbieter Betfair die Chance für einen Brexit auf 63 Prozent – mehr als für den EU-Verbleib. „Was dann passiert ist, habe ich noch nie erlebt“, erinnert sich Brooks. „Der Markt hat gemerkt, dass er auf dem falschen Fuß erwischt wurde, und dann ist das Pfund unfassbar schnell gefallen.“

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Der Markt für das Pfund schläft nicht – die Währung lässt sich 24 Stunden am Tag handeln. Die Londoner Banken haben ihre Händler am Tag der Auszählung zur Nachtschicht einberufen. Mit Pizza, Süßigkeiten und Kaffee sollen sie bei Laune gehalten werden.

Was genau sich in den Räumen der Banken abspielt, sieht niemand. Die Büros sind für Journalisten tabu. Mit der Presse zu sprechen, ist laut den Arbeitsverträgen strengstens verboten.

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Doch wer sich am nächsten Tag in der City umhört, trifft auf eine Branche in Katerstimmung. „Ich habe letzte Nacht 800.000 Pfund verloren“, erzählt ein Mitarbeiter des Vermögensverwalters Blackrock. Sein Haus ist nach dem EU-Austritt der Briten weniger wert – Analysen hatten einen Einbruch um etwa 25 Prozent erwartet. Der Mann zieht an seiner Zigarette und zuckt mit den Schultern. Was soll er auch tun? Rückgängig machen lässt sich das Votum nicht mehr.

Der Brexit hat die Londoner City kalt erwischt. Die Branche hatte fest mit einem Verbleib gerechnet. Die Banken brauchen die EU-Mitgliedschaft, um ihre Dienstleistungen einfach auf dem Kontinent anbieten zu können – zumindest, solange es kein neues Abkommen mit der EU gibt.

Und zunächst sieht es am Donnerstagabend ja auch danach aus, dass die Briten bleiben. Erste Umfragen sehen die EU-Befürworter vorne. Mit einem entsprechend guten Gefühl geht Bloomberg-Volkswirt Dan Hanson am Abend ins Bett. Kaum jemand auf der Welt beobachtet die Finanzmärkte so genau wie der Dienstleister Bloomberg. Als Hanson wenige Stunden später zur Frühschicht aufsteht, traut er seinen Augen kaum. „Es herrscht ein generelles Schockgefühl“, erzählt der Volkswirt im Video-Interview mit SPIEGEL ONLINE.

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Wahlkreis für Wahlkreis wird klar: Die Briten wollen wirklich raus aus der EU. Das Pfund fällt auf ein 30-Jahres-Tief, reißt Aktien und den Euro mit sich und lässt den Preis für Gold und den japanischen Yen steigen.

„Investoren nehmen Großbritannien als größeres Risiko wahr“, sagt Hanson. Sie ziehen deshalb ihr Geld von der Insel ab – das lässt den Kurs in die Tiefe stürzen.

Doch das Brexit-Votum hat auch solche Auswirkungen, die nicht an der Börse zu sehen sind. Die US-Investmentbank JP Morgan soll laut BBC planen, 2000 Jobs nach Dublin oder Frankfurt zu verlegen. Die Bank dementiert das zwar, aber mehrere Banken hatten angekündigt, im Falle eines Brexit ihr Geschäft auf der Insel zu verkleinern.


Vor einem Café steht am Freitagvormittag der Mitarbeiter einer chinesischen Bank. „Ich muss gleich zum Meeting“, sagt er. „Wir diskutieren, ob wir langfristig noch über London in Europa investieren – oder lieber über Frankfurt.“ Dass es so schnell geht, überrascht auch langjährige Beobachter.

Quelle: Spiegel-online vom 24.06.2016

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