Türkei: Umsturz mit Ansage

Ein Kommentar von Hasnain Kazim

Teile des türkischen Militärs putschen gegen Präsident Erdogan. Dieser Schritt war von der Regierung seit Jahren vorhergesagt worden. Nun rächen sich die säkularen Generäle am religiösen Staatschef. Es droht das Chaos.

Militär in Istanbul
REUTERS

Militär in Istanbul

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Es war ein geschickt gewählter Zeitpunkt: Freitagabend, da sind nicht eingeweihte Militärs, vor allem aber viele Polizisten, Gendarmerie, Geheimdienstleute und andere der Regierung treue Sicherheitsleute schon im Wochenende. Zudem ist Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan derzeit im Urlaub. Am Freitagabend also putschte das türkische Militär gegen Erdogan und gegen die Regierung seines Premierministers Binali Yildirim (die aktuelle Entwicklungen lesen Sie hier im Newsblog).

Der Putsch war generalstabsmäßig geplant: Zeitgleich wurden ranghohe Offiziere, die sich in Vergangenheit als regierungstreu herausgestellt hatten, festgesetzt, wurden wichtige Regierungsstellen in Ankara und Fernsehsender im ganzen Land von Soldaten besetzt, wurden Flughäfen gesperrt und strategisch wichtige Punkte wie die beiden Bosporusbrücken in Istanbul unter die Kontrolle der Armee gebracht.

Dass Hubschrauber und Kampfjets über Ankara, Istanbul und Izmir flogen und zum Teil regierungstreue Polizeieinheiten angriffen, dass die Armee mit Panzern in die Städte einrückten und dass schon seit Tagen Soldaten nach und nach an wichtigen Punkten stationiert wurden mit der Begründung, es handele sich um „Anti-Terror-Maßnahmen“, ist ein Indiz dafür, dass große Teile des Militärs involviert sind. Sogar in die AKP-Zentrale in Ankara rückten mehrere Dutzend Soldaten ein.

Die türkischen Streitkräfte waren einst die mächtigste Institution im Land. Die Armee bestimmte die Politik, nichts funktionierte gegen den Willen der Generäle. Mehrmals putschen sie unliebsame Regierungschefs weg und übernahmen die Macht, mit verheerenden Folgen für das Land.

Das „Land kaputt gemacht“

Immer wieder warnte die türkische Regierung vor neuerlichen Putschversuchen, immer wieder wies Erdogan darauf hin, Mitglieder der sogenannten Gülen-Bewegung – Anhänger des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, einst Weggefährte Erdogans, nun Erzfeind – würden versuchen, Erdogan zu stürzen. Eine der wenigen positiven Leistungen des Autokraten Erdogan war es, diese Macht der Uniformträger zurechtzustutzen. Mehrfach führte die Regierung Prozesse gegen Offiziere, wegen geplanter Putschversuche, ließ sie sie aus der Armee oder ins Gefängnis werfen.

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Das rächt sich nun. Ein Putsch war zu erwarten. Der türkische Generalstab ließ am späten Freitagabend verkünden, man habe die Kontrolle über „alle wichtigen Stellen im Land“ übernommen. Auf nahezu allen Nachrichtensendern verlasen schwitzende Nachrichtensprecher mit zum Teil zittriger Stimme eine lange Verlautbarung. Die Regierung habe das „Land kaputt gemacht“, habe den „Terrorismus nicht richtig bekämpft“ und den „Namen der Türkei beschmutzt“, heißt es in dem Papier der Militärs. Sie habe die säkularen Grundsätze von Republikgründer Atatürk missachtet und Religion und Staat vermischt.

So richtig die Kritik ist, so falsch ist das Vorgehen des Militärs. Man mag zu Erdogan, seiner selbstherrlichen Art und seinem zum Teil brutalen Vorgehen gegen Kritiker stehen, wie man will. Aber die Entwicklungen am Freitagabend in der Türkei sind Besorgnis erregend. Sie sind keine Antwort auf die Probleme des Landes. Erdogan-Kritiker feiern sie zwar im Internet („Endlich!“), aber ein Putsch ist nur der Beweis dafür, dass die Gesellschaft unfähig ist, auf demokratischem Weg mit dem Autoritarismus Erdogans fertig zu werden. Sie werfen die Türkei um Jahre zurück.

Erdogan telefonierte per Handy von seinem Urlaubsort mit dem Fernsehsender CNN Türk, einem der wenigen Sender, die wohl noch halbwegs unabhängig berichten können. Erdogan kündigte an, er werde nun nach Ankara oder Istanbul fahren. Die Menschen, sagte er, müssten jetzt ihre Demokratie schützen und gegen das Militär auf die Straße gehen.

Diese Worte klingen zwar wie ein Witz, ausgerechnet aus dem Munde eines Mannes, der noch jede Demonstration gegen ihn niederknüppeln ließ. Aber in der Nacht von Freitag auf Samstag hatte er ausnahmsweise wirklich mal Recht.

Quelle: Spiegel-online vom 16.07.2016

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