Schwere Unruhen in der Türkei – Nationalisten überfallen Büros von pro-kurdischer Partei HDP

Ausnahmezustand in der Türkei: Nationalisten haben im ganzen Land Büros der Kurdenpartei HDP mit Steinen beworfen und ein Parteibüro in Brand gesetzt. In Istanbul attackierten Anhänger von Präsident Erdogan abermals die Zeitung „Hürriyet“.

08.09.2015

© AFP, reuters Zentrale der prokurdischen Partei angegriffen

Angesichts des eskalierenden Konflikts zwischen dem türkischen Staat und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nehmen die Spannungen im Land spürbar zu. Nationalistische Demonstranten griffen am Dienstagabend die Zentrale der Kurdenpartei HDP in Ankara sowie Büros der Partei in anderen Landesteilen an. Auch die Redaktion der Zeitung „Hürriyet“ in Istanbul wurde erneut von Anhängern von Staatschef Recep Tayyip Erdogan belagert.

Dutzende Nationalisten marschierten in der Hauptstadt Ankara zur Zentrale der pro-kurdischen Partei der Demokratie der Völker (HDP), wie Bilder des Fernsehsenders CNN-Türk zeigten. Sie warfen mit Steinen und rissen das Parteizeichen an dem Gebäude ab. „Unsere Zentrale wird angegriffen, aber die Polizei erfüllt nicht ihre Pflicht“, hieß es in einer Mitteilung der HDP über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP sah Rauch über dem Gebäude aufsteigen. Die Polizei trieb die Randalierer schließlich auseinander. In den sozialen Netzwerken veröffentlichte Fotos zeigten, dass einige Büros vollständig ausbrannten.


In der südtürkischen Stadt Alanya wurde der örtliche HDP-Sitz in Brand gesetzt, wie CNN-Türk berichtete. In mindestens sechs weiteren Städten hätten Demonstranten HDP-Büros beschädigt.

Kurdenpartei im Parlament

Nationalisten werfen der HDP vor, der politische Arm der verbotenen PKK zu sein. Die HDP weist dies zurück. Sie hatte bei der Parlamentswahl im Juni als erste Kurdenpartei den Sprung über die Zehnprozent-Hürde geschafft. Auch wegen ihres Wahlerfolgs verlor die Regierungspartei AKP nach zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit. Weil die Bildung einer Regierungskoalition scheiterte, finden am 1. November vorgezogene Neuwahlen statt.

Dabei stehen die Bürger unter dem Eindruck des Kurdenkonflikts. Seit dem Ende der Waffenruhe zwischen der türkischen Regierung und der PKK Ende Juli liefern sich Sicherheitskräfte und die Rebellen täglich Gefechte.

Zeitung belagert

In Istanbul belagerten am Dienstag Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP erneut die Redaktion der „Hürriyet“. Zunächst hätten sich etwa hundert Menschen vor dem Gebäude versammelt und den Namen von Staatschef Recep Tayyip Erdogan sowie „Gott ist groß“ gesungen, berichtete die Zeitung auf ihrer Website. Dann hätten sie das Redaktionsgebäude mit Steinen beworfen und dabei Scheiben eingeschlagen. Die Demonstranten verschafften sich laut „Hürriyet“ gewaltsam Zutritt zu dem Gebäude. Die Polizei habe die Demonstranten zurückgedrängt.

Bereits am Sonntagabend hatten etwa hundert AKP-Anhänger das Redaktionsgebäude gestürmt. Auslöser war offenbar eine Twitter-Meldung der „Hürriyet“ über eine Äußerung Erdogans über eine fehlende absolute Mehrheit. Die Zeitung stellte in ihrem Tweet diese Äußerung in Zusammenhang mit einem PKK-Angriff auf türkische Soldaten.

Viele Tote bei Anschlag

Am Sonntag hatte die PKK ihren schwersten Angriff seit Mai 1993 verübt: Im südtürkischen Daglica in der Nähe der irakischen Grenze töteten die Rebellen bei einem Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi 16 Soldaten und verletzten sechs weitere. Bei einem weiteren PKK-Anschlag in der östlichen Region Igdir wurden am Dienstag 13 Polizisten getötet.

Erdogan hatte in der Vergangenheit wiederholt die Mediengruppe Dogan kritisiert, zu der „Hürriyet“ gehört. Die Angriffe auf die Zeitung erfolgten inmitten wachsender Sorge über Einschränkungen der Meinungsfreiheit in der Türkei. Internetnutzer berichteten in der Nacht zum Mittwoch, sie hätten keinen Zugriff auf Twitter. Die türkische Regierung hatte den Kurznachrichtendienst in der Vergangenheit wiederholt blockiert.

 

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Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu verurteilte die Angriffe auf die HDP und die „Hürriyet“ als „inakzeptabel“. Niemand dürfe sich über das Gesetz stellen. „Wir werden nicht zulassen, dass Brüder sich gegenseitig bekämpfen“, erklärte der Ministerpräsident und kündigte zugleich an, der Kampf gegen die PKK werde „mit Entschlossenheit“ fortgesetzt.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.09.2015

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