Putins rote Linie: Syriens Regierung bleibt

Mike Whitney

»Nach monatelangen Verhandlungen mit der Türkei erklärten am Donnerstag Vertreter der Regierung Obama, man habe eine Einigung erzielt. Unbemannte und bemannte amerikanische Kriegsflugzeuge können künftig von den Luftwaffenstützpunkten Incirlik und Diyarbakir Angriffe auf Stellungen des Islamischen Staats fliegen. Die Übereinkunft sei bahnbrechend, erklärte ein ranghoher US-Vertreter.« New York Times, 23. Juli 2015

Der Krieg in Syrien lässt sich in zwei Teile unterteilen: Die Phase vor Incirlik und die nach Incirlik. Die erste Phase sind die rund vier Jahre, während der von den USA unterstützte islamische Milizen und Gruppen aus dem Al-Qaida-Umfeld gegen die syrische Armee gekämpft haben. Ziel war es, Präsident Baschar al-Assad zu entmachten. Diese erste Phase des Kriegs endete mit einem Unentschieden.

Die Nach-Incirlik-Phase könnte völlig anders ausgehen, denn die Amerikaner können nun ihre Drohnen und Kampfflugzeuge von einem türkischen Luftwaffenstützpunkt (Incirlik) aus starten, der nur 15 Minuten Flugzeit von Syrien entfernt liegt. Damit kann die US Air Force deutlich mehr Einsätze fliegen, außerdem steigt die Effektivität der Dschihad-Bodentruppen vor Ort, können diese doch nun vorrücken, während ihnen die Flieger Deckung geben. Die Erfolgsaussichten nehmen damit deutlich zu.

Als »bahnbrechend«, als »game changer«, bezeichnet die New York Times das Incirlik-Abkommen, was aber noch untertrieben ist. Künftig können amerikanische F-16 den Luftraum über Syrien patrouillieren, was nichts anderes bedeutet, als dass Washington eine No-Fly-Zone über Syrien einrichtet.

Das schränkt Assads Möglichkeiten, die von den USA unterstützten Milizen zu bekämpfen, drastisch ein. Diese Milizen haben weite Teile des Landes erobert und rücken nun auf Damaskus vor. Der Krieg kann nicht aus der Luft gewonnen worden, aber diese neue taktische Realität verschiebt die Chancen zugunsten der Dschihadisten. Kurzum: Die Vereinbarung zu Incirlik verändert alles.


Die Regierung Obama sieht mittlerweile einen Regimewechsel in Syrien in greifbare Nähe rücken. Natürlich wird etwas Unterstützung durch amerikanische Sonderkommandos und durch türkische Kampfeinheiten nötig werden, aber das ist alles machbar. Deshalb hat Obama auch Russlands Plan abgetan, sich zu einer Koalition zusammenzuschließen, um den IS zu besiegen.

Kompromisse müssen die USA in dieser Frage nicht eingehen, schließlich haben sie eine strategisch günstig gelegene Basis, von der aus sie ihre Stellvertreter-Krieger schützen, im Nachbarland Ziele bombardieren und den Himmel über Syrien kontrollieren können. Obama muss jetzt nur noch die Kriegsbemühungen intensivieren, Assad unter etwas mehr Druck setzen und darauf warten, dass das Regime in sich zusammenbricht. Deshalb ist auch damit zu rechnen, dass jetzt, wo Phase 2 des Konflikts begonnen hat, die Dinge dramatisch eskalieren dürften.

 

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Russlands Präsident Wladimir Putin weiß das, deshalb schickt er verstärkt Waffen, Nachschub und Berater nach Syrien. Damit signalisiert er Washington, dass er die Pläne durchschaut hat und dass er reagieren wird, wenn die Amerikaner zu weit gehen. In einem Interview mit dem russischen Staatssender Perwy kanal erklärte Putin:

»Wir haben unsere Vorstellungen, was wir tun werden und wie wir es tun werden, sollte sich die Situation hin in Richtung Gewaltanwendung entwickeln oder in eine andere Richtung. Wir haben unsere Pläne.«


Die US-Regierung ist sehr nervös, was Putins Pläne anbelangt, deshalb versucht sie immer wieder herauszufinden, was er noch alles im Ärmel hat. Erst vor wenigen Tagen rief der US-Außenminister John Kerry seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow an, um seine Besorgnis über einen »unmittelbar bevorstehenden ausgedehnten Aufmarsch russischen Militärs« in Syrien zum Ausdruck zu bringen.

Der Anruf war ein plumper Versuch, Lawrow dazu zu bringen, Informationen herauszurücken und zu erklären, was Moskau tun wird, wenn Washington weiter auf einen Regimewechsel hinarbeitet. Aber Russlands Außenminister fiel darauf nicht herein. Er hielt sich ans Drehbuch und sagte Kerry nichts, was dieser nicht ohnehin bereits wusste.

Das ändert aber nichts an den Fakten: Putin wird nicht zulassen, dass Assad gewaltsam aus dem Amt gejagt wird, Schluss und aus. Obama und seine Berater ahnen das, aber sie sind sich nicht hundertprozentig sicher, deshalb stochern sie weiter nach einer Bestätigung herum.


Eine klare Antwort wird Putin ihnen aber nicht liefern, denn er will sein Blatt noch nicht aufdecken oder wirken, als sei er auf Konfrontationskurs. Aber das heißt nicht, dass er nicht entschlossen ist. Das ist er und das weiß Washington. Putin hat eine rote Linie abgesteckt und gegenüber den USA erklärt, dass es Ärger geben wird, wenn diese Linie überschritten wird.

Es hängt also von Obama ab: Sucht er eine friedliche Lösung in der Art, wie Moskau sie empfohlen hat? Oder macht er weiter, drängt auf einen Regierungswechsel und riskiert damit eine Konfrontation mit Russland? Diese Möglichkeiten stehen zur Auswahl.

Leider hat Washington inzwischen keinen »Aus«-Schalter mehr, eine Kursänderung ist also sehr unwahrscheinlich. Stattdessen wird die Kriegsmaschinerie der USA weiter vor sich hin rumpeln, bis sie auf ein Hindernis stößt und stotternd zum Stillstand kommt. Und wieder (ganz genauso wie in der Ukraine) wird sich das unbewegliche Objekt gegen die unaufhaltsame Kraft durchsetzen – allerdings nur zu einem hohen Preis für das geplagte Volk Syriens, das Land und die ganze Region.


Bei alledem darf man nicht vergessen, dass die Pläne, die das Imperium für Syrien hat, subtiler sind, als es viele Menschen ahnen. Michael E. O’Hanlon von der US-Denkfabrik Brookings Institute schreibt in Die Dekonstruktion Syriens: Eine neue Strategie für Amerikas hoffnungslosesten Krieg:

»Der Plan… würde nicht explizit vorsehen, ihn [Assad] zu stürzen, sondern ihm vielmehr die Kontrolle über das Gebiet vorzuenthalten, das er vielleicht wieder zu regieren wünscht. Die autonomen Zonen würden in dem klaren Einverständnis befreit, dass es keine Rückkehr zu einer Beherrschung durch Assad oder einen Nachfolger kommt. Jedenfalls wäre Assad bei diesem Konzept kein militärisches Ziel, sondern es wären die Gebiete, die er aktuell kontrolliert. Wenn Assad zu lange damit zögert, ein Angebot für ein Exil anzunehmen, würde er sich unausweichlich einer direkten Bedrohung seiner Herrschaft und seiner Person ausgesetzt sehen.«

Das ist der grundlegende Plan: Großstädte und weite Teile der ländlichen Gebiete sollen erobert werden, die Verbindungslinien unterbrochen werden, wichtige zivile Infrastruktur lahmgelegt werden, während man schrittweise Assads Fähigkeit, das Land zu regieren, untergräbt. Das letztliche Ziel besteht darin, das Land in eine Million unzusammenhängende Enklaven aufzuspalten, die von bewaffneten Söldnern, Al-Qaida-Verbündeten und örtlichen Warlords beherrscht werden.


Das ist Washingtons teuflischer Plan für Syrien. Er ist dem zionistischen Plan erstaunlich ähnlich, der vorsieht, »die gesamte Region in Kleinstaaten aufzuspalten, indem man alle bestehenden arabischen Staaten auflöst« (Der zionistische Plan für den Nahen Osten, Israel Schahak). Er ist nicht nur ähnlich, er ist praktisch identisch.

Klar ist, dass sich Obama durch die Incirlik-Vereinbarung ermutigt sieht und nun glaubt, dass er mit türkischer Hilfe die imperialen Ziele der USA in Syrien erfüllen kann. Aber das wird nicht geschehen. Russland, der Iran und die Hisbollah sind bereit, ihren Verbündeten Assad zu verteidigen und Washington zurückzuwerfen.

Obama wird es gelungen sein, eine weitere souveräne Nation zerstört und deren Bürger über den gesamten Nahen Osten und Europa verteilt zu haben. Aber ihr ursprüngliches Ziel wird die amerikanische Mission nicht erreichen, einen Regierungswechsel in Syrien wird es nicht geben. Putin, Nasrallah und Chamenei werden dafür sorgen.

Quelle: Kopp-online vom 20.09.2015

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