„Ich küsse die Erde dieses Landes“: Langsam kommen Frieden und Flüchtlinge nach Syrien zurück

"Ich küsse die Erde dieses Landes": Langsam kommen Frieden und Flüchtlinge nach Syrien zurück
Zwei zurückgekehrte Mädchen im Waisenhaus von Al Waer bei Homs, September 2017.

In der Ortschaft #Al Waer besucht Karin Leukefeld Menschen, die zurückgekehrt sind. Nachdem die bewaffneten Aufständischen abzogen oder die Waffen niederlegten, treffen die Rückkehrer auf jene, die dageblieben sind. Eine Reportage über Heimkinder, Christen, alte und junge #Syrer am Ende des Bürgerkrieges.

von Karin Leukefeld, Al Waer

„Herzlich Willkommen, wir freuen uns, dass Sie über Al Waer berichten wollen.“ Der befehlshabende Major am Kontrollpunkt läßt es sich nicht nehmen, die ausländische Journalistin persönlich zu begrüßen. Al Waer liegt vor den Toren von Homs, nahe einer großen Erdölraffinerie und jenseits von Feldern und Gärten. Früher war hier ein Naherholungsgebiet für die Bevölkerung.

In den letzten 30 Jahren entstand um den ursprünglichen Ort Al Waer eine moderne Satellitenstadt, die auch „Homs Jedide“ genannt wird, Neu-Homs.

„Hören Sie gut zu, was die Menschen zu berichten haben, beschreiben Sie, was Sie sehen“, fährt der Offizier fort, während er die Papiere und den Journalistenausweis prüft. Syrien respektiere die Deutschen und die deutsche Regierung: „Wir wünschen Ihnen, dass Sie nicht das erleben müssen, was uns hier geschehen ist.“

In Homs und Umgebung versuchten bewaffnete Gruppen drei Mal die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Anfang 2012 im Vorort Bab Amr, als es dort nicht klappte, zogen sie weiter in die  Altstadt von Homs. Nachdem die Kämpfer im Rahmen eines Waffenstillstandes von dort abzogen, verlagerte sich die Front im Jahr 2014 nach Al Waer. Und immer bezahlte die Bevölkerung den Preis.

Eine kurze Rundfahrt durch Al Waer zeigt das Ausmaß der Zerstörung. Die große Moschee, die Hoch- und Mehrfamilienhäuser stehen durchlöchert in der Abendsonne, ohne Fenster und mit Brandspuren. Auf der anderen Straßenseite gen Osten erstrecken sich die Gärten und Felder, in denen sich die „Homsis“, wie die Bewohner von Homs genannt werden, einst erholten. Ein Vergnügungspark liegt zerstört und verlassen, nur das Riesenrad ragt mit den bunten Gondeln stolz in den Abendhimmel.

Die große Mosche von Homs Al Waer war Stützpunkt der Kämpfer und damit Ziel von Angriffen. Große Teile der Stadt sind vollkommen zerstört, September 2017.

Eine Frau in der schwarzen Tracht der Beduinen ist mit ihren Söhnen auf dem Nachhauseweg. Seit 28 Jahren arbeitet Thuraya Masood in der großen Bäckerei von Homs. Sie liegt am Ortsrand von Al Waer. Obwohl sie nicht zu den Kämpfern gehört hätten, seien ihre beiden Söhne im April mit den Bewaffneten und deren Familien nach Jarabulus im Norden, an der Grenze zur Türkei abgezogen.

„Sie haben uns gezwungen“, erzählt der eine Sohn. „Sie sagten, der Staat werde uns einsperren oder töten, wenn wir blieben. Wir wussten nicht, was wir tun sollten.“

In Jarabulus hätten sie in Zelten gelebt, seien von Hilfsorganisationen mit Essen versorgt worden und hätten nichts zu tun gehabt: „Wir wollten zurück.“ Durch russische Vermittlung mit der Türkei und der Freien Syrischen Armee habe man sich verständigt. Die syrische Regierung habe Busse geschickt, um diejenigen abzuholen, die wieder zurück wollten.

Gut 650 Personen seien auf diese Art zurück nach Al Waer gekommen, etwa 1.000 hätten sich auf eigene Faust auf den Weg gemacht, erzählt der Mann. Als Fliesenleger haben sein Bruder und er wieder Arbeit gefunden, sagt der Mann und fügt hinzu:

„Ich küsse die Erde dieses Landes, wir sind wieder zu Hause.“

Die Geschichte der Waisenkinder von Al Waer

Im November 2014 mussten die Waisenkinder aus Al Waer fliehen. Das private Waisenhaus, in dem auch eine staatlich anerkannte Schule integriert ist, wird von der Aoun Stiftung für Hilfe und Entwicklung unterstützt. Die Kinder sind Halb- oder Ganzweisen, manche stammen aus getrennten Familien, bei einigen sind keine Angehörigen bekannt.

Die meisten der 200.000 Einwohner, die damals in Al Waer lebten, waren schon aus dem Ort geflohen, in die Innenstadt von Homs, nach Damaskus, in die christlichen Dörfer im Osten der Stadt oder auch in die Küstenregion. Doch für die Waisenkinder aus Al Waer fand sich kein anderer Ort, also blieben sie. Erst als Granaten in den Schlafräumen der Mädchen in der oberen Etage einschlugen, ordnete die Leiterin die Evakuierung der Kinder an.

Das Waisenhaus der Aoun Stiftung in Homs Al Wae: Die Ältesten haben Prüfungen und daher ein spätes Mittagessen, September 2017.

Screenshot (657)

Mit der Genehmigung des örtlichen Militärs wurden Busse geschickt, die die 240 Kinder abholten und ins Zentrum der Stadt brachten, in das Homs Kebir Hotel, das Große Hotel Homs. Hier traf die Autorin die Kinder aus dem Waisenhaus von Al Waer schon im Jahr 2014 zum ersten Mal. Es gab keinen Strom und der Aufzug funktionierte nicht. Mithilfe einer Taschenlampe ging es über die Treppen nach oben, wo die Jungen in der vierten Etage untergebracht waren, die Mädchen in der Dritten.

Ratlos saßen die Kinder auf den großen Hotelbetten, fast alle ihre privaten Dinge hatten sie zurücklassen müssen. Die Betreuer und Betreuerinnen hatten alle Mühe, die Kinder zu beruhigen, sie zu ermuntern, sich mit Schulaufgaben zu beschäftigen. Die bescheidene Privatatmosphäre im Waisenhaus in Al Waer war der Anonymität von Hotelzimmern gewichen. Wochen später erst wurden die Kinder aus dem Hotel in eine andere sichere Unterkunft außerhalb der Stadt gebracht

Fast drei Jahre dauerte es, bis sie zurückkehren konnten. Die Reparaturarbeiten gehen langsam voran, einige Räume wurden provisorisch neu eingerichtet. Wenn die ehemaligen Mädchenschlafräume wieder hergestellt sind, werden die Jungen umquartiert, die jünger als acht Jahre alt und derzeit bei den Mädchen untergebracht sind. Von insgesamt 240 Kindern kehrten im Juli 2017 lediglich 65 in die Einrichtung zurück.

Manche Kinder wurden von Verwandten abgeholt und nach Jordanien, in den Libanon, in ein anderes arabisches Land oder nach Europa gebracht. Einige der älteren Mädchen haben geheiratet. Inzwischen sind nur noch 45 Kinder geblieben. Sie haben keine Angehörigen mehr.

Die Mädchen im Waisenhaus werden im muslimischen Glauben erzogen, September 2017.

Zurückgekommen in einen leeren Raum

Gegenüber des Waisenhauses an der Hauptzugangsstraße von Al Waer liegt eine Kirche. Der Bau sei von den Kämpfen unterbrochen worden, erzählt die 33-jährige Lama Toumeh. Darum sei die Kirche noch unverputzt. Etwa 300 christliche Familien hätten in Al Waer gelebt, erzählt die Lehrerin, die heute ihren Lebensunterhalt mit Privatunterricht verdient. Im Jahr 2015 musste sie mit ihrem Vater aus Al Waer fliehen.

Nachbarn, die sich bewaffnet hatten und den Aufstand unterstützten, hätten den Journalisten bedroht, weil er für syrische Medien arbeitete. Vater und Tochter flohen nach Fairuze, einem christlichen Ort östlich von Homs. Die Mutter blieb mit ihrer Schwester bei den Großeltern in Al Waer, weil diese sich geweigert hatten, ihr Haus zu verlassen. Heute könne sie sich ein Leben in Al Waer nicht mehr vorstellen, sagt Lama.

„Ich bin hier aufgewachsen, war im Schwimmverein und wurde professionelle Schwimmerin. Fahrradfahren war für mich selbstverständlich.“

Sie studierte in Damaskus und kehrte als Lehrerin zurück nach Al Waer. Sie hatte viele Freunde, ging aus, habe viele Pläne gehabt.

„Das Leben, das ich kannte, gibt es hier nicht mehr. Ich komme mir vor wie in einem leeren Raum, allein. Alle meine Freunde, meine Erfahrungen und Erinnerungen sind fort.“

Sie habe das Vertrauen in ihre Heimat verloren. Die Menschen um sie herum seien inzwischen 15 Jahre älter oder 15 Jahre jünger, stellt Lama fest. Häuser könne man wieder aufbauen, die Menschen zu heilen werde dauern.

Gekommen, um zu bleiben

Lamas‘ Großvater Tommi Abdullah Toumeh hatte vor 40 Jahren sein Haus in dem alten Viertel von Al Waer gekauft. Zur Straße hin mit schmucklosen Mauern geschützt, weist lediglich eine kleine Tafel neben der Eingangstür darauf hin, dass hier eine christliche Familie wohnt: „God bless our Home“ ist darauf zu lesen. Eine der Töchter hatte es vor Jahren einmal von einer Reise mitgebracht.

Lama Toumeh rechts neben ihrer Familie – Sie überstand den Krieg im eigenen Haus, September 2017.

Nahezu alle Bilder, die an den Wänden hängen, stammten von ihrem Großvater, erzählt Enkelin Lama: Landschaften, Porträts, Stillleben und religiöse Motive. Die eingerahmten kunstvollen Gobelins, die Lampenschirme und Kissenhüllen hat die Großmutter gestickt. Auf Kommoden und Tischen liegen zierlich gehäkelte Decken, alles aus ihrer Hand.

Der heute 93jährige Tommi Toumeh arbeitete als Ingenieur bei der Syrischen Staatlichen Ölgesellschaft. Viele Fortbildungen habe er in den Vereinigten Arabischen Emiraten und vor allem in England gemacht. Sein Hobby, die Malerei, habe er schon als 12-Jähriger in der Schule begonnen. Die Lehrer ermunterten ihn und so belegte er Fernkurse, um sein Können zu verfeinern. Das Bild, das seiner Frau besonders gut gefiel, ist eine Ikone der Mutter Gottes mit dem Jesuskind.

Seine Frau habe geweint, als sie das Bild gesehen habe, erinnert sich der 93-Jährige und Tränen füllen seine Augen.

„Sie starb nur zwei Wochen, nachdem die Bewaffneten aus Al Waer abgezogen waren.“

Einige der Nachbarn hätten ihn mit vorgehaltener Waffe bedroht und aufgefordert, Al Waer zu verlassen. Drei Tage habe man ihm gegeben, um sein Haus zu räumen: „Sie wollten keine Christen als Nachbarn haben“, hätten die Männer gesagt. „Ich sagte ihnen, ich würde bleiben. Sie sollten mich in meinen Haus erschießen.“

Frau Toumeh starb zwei Wochen nach dem Abzug der Kämpfer, September 2017.

Andere muslimische Nachbarn hätten sich dann schützend um die Familie und andere Christen in dem Viertel versammelt und dafür gesorgt, dass ihnen nichts geschehen konnte.

„Sie brachten uns Brot und Lebensmittel, versorgten uns mit Informationen und hielten Wache.“

Er glaube fest daran, dass die Syrer wieder miteinander leben und das Furchtbare, das geschehen sei, überwinden könnten, sagt Toumeh: „Für mich ist ein halbgefülltes Glas Wasser immer  halb voll, nie halb leer.“

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Birgit
Birgit
6 Jahre zuvor

Es ist erschreckend. Selbst dort, im Islam, sind satanischen Zeichen in Bildern versteckt und prangern an Wänden. Es ist Zeit, die Menschheit möge sehen lernen.

meckerpaul
meckerpaul
6 Jahre zuvor

Alle aus Syrien in die Heimat senden. Sollen ihr Land aufbauen, haben hier genug Schaden angerichtet.
Ab und dann ist es gut. Wir brauchen keine Sozialschmarotzer von euch, die haben wir hier im eigenen Land zur genüge.

Ulrike
Ulrike
6 Jahre zuvor

Also dann alle hopp nach Syrien zurück. Wir brauchen diese ganzen Kopftuchgeschwader nicht.