Zum Tod von Lemmy Kilmister: Er war Motörhead, und er spielte Rock’n’Roll

Ein Nachruf von Tobias Rapp

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Seine Band Motörhead spielte monumentalen Ihr-Könnt-Uns-Alle-Mal-Rock, ohne ihn hätte es keinen Heavy Metal gegeben: Lemmy Kilmister war eine Erscheinung und ein grandioser Popstar, der keiner sein wollte.

Er war nur noch ein schmales Männlein, wie er nach dem Gespräch aus dem Fahrstuhl eines Berliner Luxushotels kam. Es war im Sommer 2014, Lemmy Kilmister weilte für ein paar Tage in der deutschen Hauptstadt, Freunde treffen, ein paar Interviews geben, auf den Auftritt beim Heavy-Metal-Festival in Wacken warten.

Groß war er noch nie, aber nun sah er aus wie geschrumpft. Dünne Beine, die ihm Probleme beim Laufen machten, er hatte Diabetes, deshalb ging er am Stock. Dünner Oberkörper. Großer Kopf mit Offiziersmütze drauf. Eine Erscheinung.

Er kam aus dem Fahrstuhl, weil seine Freundin ihn aus dem Zimmer geworfen hatte. Einige Jahrzehnte jünger als er, schwarz, ehemaliger Pornostar, der Alptraum von Lemmys restlicher Entourage. Er humpelte würdevoll durch den Saal, ließ sich auf einem Stuhl nieder und bestellte Wodka-Orange. Den Saft auf Empfehlung seines Arztes. Den Wodka auch. Keinen Alkohol mehr zu trinken, hatte er gesagt, sei für ihn schädlicher als weiter zu machen.

Motörhead – Ace of Spades

Lemmy Kilmister war Rock’n’Roll. Es gibt viele Rockstars. Er war Rock. Deshalb wurde er so geliebt. Seine Band, Motörhead, mag eine Metalband gewesen sein. Lemmy, der Metal nicht mochte, und die Beatles für die beste Band aller Zeiten hielt, war mehr. Er war die Verkörperung des großen Generationenprojekts für das auch die Fab Four standen oder Black Sabbath: ein anderes Leben zu führen, als das, das im nordenglischen Dreck der Sechzigerjahre für Leute wie ihn, Lemmy Kilmister, Sohn eines Militärgeistlichen vorgesehen war. „Die Welt gehörte den anderen“, sagte er im SPIEGEL-Gespräch. „Dann kam Pop und sie gehörte uns.“Motörhead erkennt man sofort

Aufgewachsen in der Nähe von Liverpool, trampte er als Teenager in die Stadt um die Beatles zu sehen, gründete dann seine eigene Band, die Rockin‘ Vickers, die es zu einigem lokalen Erfolg brachten, bevor er Ende der Sechziger in London strandete.

Ob die ganzen Geschichten stimmen, dass er Jimi Hendrix das LSD besorgte, wird sich wohl nie klären lassen, es sind aber gute Geschichten. Dass Lemmy auf Droge mit Bäumen und einem Fernseher sprach, den er unter seinem Arm durch die Stadt trug, dürfte hinkommen. Er schloss sich der Psychedelic-Rock-Band Hawkwind an, und gründete schließlich Mitte der Siebziger Motörhead – der Name war ein Szeneausdruck für Speedfreak, und so klangen sie auch, wie eine Gruppe aufgedrehter Amphetamin-Rocker.

Motörhead sind eine der großen Bands der Rockgeschichte, auch wenn die Zuneigung der Kritiker ihnen erst spät zuflog. Die Beatles, die Ramones, AC/DC, Public Enemy, es gibt nur wenige Bands, die man sofort erkennt. Motörhead gehören dazu. Das lag an Lemmys Gesang, seiner Art den Bass zu spielen, als sei er eine Gitarre. 22 Alben haben sie im Laufe ihrer Karriere eingespielt, man muss sie nicht alle haben, aber Stücke wie „Overkill“, „Ace Of Spades“ oder „Eat The Rich“ sind Monumente des Ihr-Könnt-Uns-Alle-Mal-Rock.

Lemmy Kilmister: Ein Leben für den Rock’n’Roll

Ohne Motörhead hätte es den Heavy Metal nicht gegeben, ihr Einfluss kann gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Motörhead waren eine Trinker- und Drogenband, auch ihr Groupie-Verschleiß war sagenumwoben. Lemmy war ein guter Popstar, auch wenn er sich nicht so gab. Seine Warze im Gesicht war ein Markenzeichen, das Mikrofon, das er hochgestellt hatte, so dass er den Kopf heben musste, um hineinzusingen und man bei Konzerten seinen Adamsapfel sah, seine Uniformen. Alle Konzerte begannen mit dem selben Satz: „We are Motörhead and we play rock’n’roll.“Leben im Traum einer Rocker-Junggesellenbude

1990 zog Lemmy nach Los Angeles, wo er in der Nähe des Sunset Strips wohnte, in der Rock-Kneipe Rainbow Bar and Grill hatte er seinen Stammplatz neben einem einarmigen Banditen, einige Meter entfernt war seine Wohnung, zwei Zimmer, gedeckelte Miete. Es gibt einen schönen Dokumentarfilm, der Lemmy dort zeigt: zwischen Schallplatten und seiner riesigen Sammlung von Nazimemorabilia, die er dort aufbewahrte. Der Traum einer Rocker-Junggesellenbude.

Er ist oft unter Verdacht gestellt worden, heimliche Nazi-Sympathien zu haben, kein Wunder, bei seinem unmoralischen Lebenswandel. Tatsächlich dürften all die SS-Schwerter und Wehrmachtsorden, die er im Laufe der Zeit zusammensuchte, aber viel mehr mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun gehabt haben, als der der deutschen.

Sein Vater hatte die Familie verlassen, als Lemmy ein paar Monate alt war – wie so viele Jungs seiner Generation war er auf der Suche nach den Erlebnissen und der Welt der Väter, nach all dem, was diese schweigsamen Männer ihren Söhnen nicht erzählten, nach der Welt, vor der sie in den Rock’n’Roll flohen. Ein typischer Lemmy-Tag in seiner letzten Berlin-Woche sah dann auch so aus: aufstehen, in den Sessel setzen, Bücher über den zweiten Weltkrieg lesen, abends ins Spielcasino gehen.2013 bekam er einen Herzschrittmacher, er habe ihn auf der Bühne nicht beeinträchtigt, sagte Lemmy im Gespräch, beruhigend, dass die Dinger auch noch funktionieren, wenn 140 Dezibel auf sie einprasseln.

Nun ist er also gestorben. Zwei Tage nach seinem 70. Geburtstag. „Killed by death“, wie es in einem Motörhead-Song so schön heißt.

Quelle: Spiegel-online vom 29.12.2015

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