Gelbwesten in Deutschland? – Ausgegrenztes Bürgertum

 

Ein Jahr ist es her, dass die Gelbwestenproteste in Frankreich begannen. Eine Bewegung, die kurzzeitig auch nach Deutschland überschwappte.

Ein Gastbeitrag von Peter Helmes

Jeder politisch halbwegs Orientierte weiß, daß die Volksseele in Frankreich lodernder kocht als in Deutschland. Frankreich, um es anders zu auszudrücken, hat eine radikalere Protestkultur als wir. „Das Volk“ dort steht in der Tradition der Französischen Revolution, das deutsche Volk eher in der Kultur von Befehl und Gehorsam – will heißen: Die Deutschen sind obrigkeitsfurchtsamer als unsere Nachbarn.

Dies hat sich im gerade ablaufenden Jahr wieder einmal bewiesen: Die „Gelbwesten“ haben die französischen Oberen das Fürchten gelehrt. Der „große Umsturz“ blieb zwar aus, aber die Straßenkämpfe hinterließen schmerzende Wunden. Und: Es war mehr als ein Schock; denn es offenbarte (wieder einmal) die Kluft zwischen Volk und Herrschenden.

Gelbwesten haben Macron zu einem Kurswechsel gezwungen

Die Bewegung hat zwar letztlich ihr Ziel verfehlt, sich als politische Kraft zu formieren, aber die Gelbwesten haben Präsident Macron zu einem Kurswechsel und damit zu einem neuen Dialog mit den Bürgern gezwungen. So diffus ihre Forderungen auch waren:

Die Proteste der Gelbwesten gegen die Reformpolitik von Emmanuel Macron haben Frankreich verändert. Sie haben dem Land gezeigt, wie groß die Entfremdung zwischen Präsident und Bevölkerung inzwischen ist und wie viele sich von der Regierung in Paris und von Europa allein gelassen fühlen.

Die Gelbwesten haben der abgehängten Provinz eine Stimme gegeben und eine verborgene Seite Frankreichs sichtbar gemacht, nämlich die der verarmten Mittelschicht insbesondere im ländlichen Raum – ein verarmendes Bürgertum.

Übrigens in Frankreich das gleiche Bild wie in Deutschland: Das „Bild vom Volk“ ist bei den Regierenden offenbar geprägt von den Städten, und man glaubt, „das Land“, die Landbevölkerung, nicht berücksichtigen zu müssen. Die Großstädte scheinen den Fortschritt gepachtet zu haben.

In Frankreich wäre dies in den letzten Monaten beinahe ins Auge gegangen. In Deutschland steht uns das noch bevor. Denn ein Jahr nach dem Beginn der Unruhen in Frankreich sind die sozialen, geographischen und politischen Risse längst nicht gekittet. Im Gegenteil, sie haben ansteckend gewirkt. Es gibt sie nicht nur in Frankreich, sondern in vielen westlichen Demokratien. Und das ist nicht nur auf die zunehmende Entfremdung bzw. die wachsende Islamisierung zurückzuführen.

Es ist ein Problem von großer ökonomischer, sozialer und ideologischer Tragweite, das allerdings an den „sozialen Brennpunkten (sic!) durch die Überfremdung verstärkt wird. Insoweit ist das Phänomen der Gelbwesten eine Warnung für ganz Europa.

So lebt die Regierung auch ein Jahr nach dem Beginn der Gelbwesten-Bewegung in ständiger Furcht vor einem erneuten Aufflammen der sozialen Proteste. Vor allem aber befürchtet sie eine „Koalition der Unzufriedenen“ – eine sich perpetuierende Massenbewegung, die irgendwann Einzug in die Politik halten könnte.

Denn die Gelbwesten-Bewegung hat eines besonders deutlich gezeigt: Sie hat das Stadt-Landgefälle schonungslos offengelegt z.B. bei den fehlenden öffentlichen Dienstleistungen in großen Teilen des Landes und die Konzentration der meisten politischen Gestaltungsinstrumente auf einige wenige Großräume – besonders Paris.

Aufkeimende Unzufriedenheit in Deutschland

Was in Frankreich brutal aufbrach, keimt in Deutschland erst noch langsam, ist aber nicht mehr zu überhören. Unzufriedenheit mit den Internetverbindungen – 5000 Gemeinden sind z. B. noch ohne schnelles Internet und/oder haben mangelnde Verkehrsverbindungen, ganze Landstriche bestehen ohne ausreichende Einzelhandelsstrukturen usw.

 

Ganz deutlich wird die Vernachlässigung des ländlichen Raumes hierzulande bei der Umweltpolitik. Mit einer an Ignoranz nicht zu überbietenden Chuzpe werden Windspargel in eine bisher „blühende Landschaft“ gesetzt, werden neue Kfz-Standards gefordert und eingeführt (Stichwort z. B. „Diesel“), die weitab von den finanziellen Möglichkeiten auf dem Land sind. „Mobil sein“ wird gefordert, aber bitte nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Keinen Politiker scheint es zu scheren, daß Verbindungen von Kleinstadt zu Kleinstadt oder gar von Dorf zu Dorf und/oder Stadt, wenn überhaupt, dann nur mit großen Zeitlücken bestehen.

Kleines Beispiel: Ich wohne in einem absolut ländlich strukturierten Raum (Westerwald). Viele Dörfer in der näheren Umgebung verzeichnen zw. 300 und 800 Einwohner. Hier gibt es Orte, die entweder gar nicht oder nur zweimal am Tag von einem Bus angefahren werden, und wo Zugverbindungen gar nicht erst existieren. Viele kleine Kommunen helfen sich (bzw. den Bürgern) mit „Sammeltaxis“. Und wenn die Vernachlässigung des ÖPNV auf dem Land so weitergeht, werden wir irgendwann in südamerikanischen oder asiatischen Lösungen landen: Colectivos, Conchos oder „Sammeltaxis auf Zuruf“. In der nächsten Großstadt fahren derweil komfortable, geheizte Busse im Zehn-Minutentakt, deren Service aber am Stadtrand endet.

Die Grünen schüren das unsoziale Feuer

Beim (bemühten) Umweltschutz zeigt sich die ganze Abgehobenheit der Grünen. Sie schüren das unsoziale Feuer! Es ist leicht, Forderungen gegen die Umweltverschmutzung zu erheben, aber bei der Frage nach der Bezahlung neuer Belastungen sind die „Gutsituierten“ fein raus.

Eine CO2-Steuer trifft vor allem die kleinen Leute besonders hart, nämlich die, die keine neuen Autos kaufen können, oder es trifft Menschen, die in schlecht isolierten Wohnungen leben. Da sagt jetzt der Sachverständigenrat zwar, das müsse sozial abgefedert werden, aber Sylvia Kotting-Uhl, die Energieexpertin der Grünen und Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, erklärte im Deutschlandfunk völlig ungeniert, wir bräuchten uns da keine Illusionen zu machen:

O-Ton Kotting-Uhl: „Veränderungen tun erst mal weh. Das muß man ausgleichen, das muß man abfedern, aber zu versuchen, es sozusagen ohne Einschnitte fertigzubringen, die CO2-Ziele zu erreichen, das ist eine Fehlannahme (…)

…Als Wirtschaftsmacht sollte Deutschland dabei Vorbild für andere sein (…)

…Wenn man die CO2-Bepreisung erhöht oder CO2-Preise einführt, heißt das in der Tat, Benzin und Dieselpreise, Heizöl und Heizkosten erhöhen sich, und das führt in der Tat dazu, daß auch einkommensschwache Haushalte hier Belastungen haben…“ (DLF 12.7.19)

Klar, wem die Träume und Wünsche, ja die konkreten Vorhaben der Grünen wehtun: nämlich den Leuten, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Aber den (typischen) besserverdienenden Grünen juckt das nicht.

Verbohrte, ignorante Grüne

Nur mal kurz zur Erinnerung, worüber es hier in diesem Artikel vor allem geht: zum Beispiel um die Benachteiligung des Landes gegenüber der Stadt – oder genauer: „Grüner“ Stadtblick versus „kleiner Mann auf dem Lande“.

Da hören sich die Äußerungen der Grünen wie eine direkte Verhöhnung der Bürger an. Auf die Frage des DLF:

„Selbst wenn in Deutschland von jetzt auf gleich quasi gar kein CO2 mehr emittiert werde, was natürlich nur rein theoretisch das Gedankenspiel ist, das würde doch nichts daran ändern, daß die Welt, daß global wir weiter natürlich auf diesen Kipppunkt, von dem die Forscher ja sprechen, zulaufen. Daß der schon in näherer Zukunft erreicht sein könnte, daran würde sich doch global überhaupt nichts ändern“ (DLF-Redakteur), antwortet Kotting-Uhl (Grünen-MdB):

„Das kann so sein. Es kann aber auch anders sein. Wenn ich an die Dinge jetzt noch mal erinnern darf, die ich gerade aufgeführt habe, zum Beispiel auch Freihandelsabkommen danach auszurichten, das Vorbild zu nutzen, als starke Wirtschaftskraft zu zeigen, daß es den Menschen nicht schlechter geht, daß sich Dinge verändern, daß sich Mobilität zum Beispiel verändern wird, daß sich unsere Art der Landwirtschaft verändern muß, aber daß es den Menschen deshalb nicht schlechter geht, und wenn Wirtschaft sich umstellt, es auch der Wirtschaft nicht schlechter geht. Das zu zeigen als wirtschaftsstarke Kraft in der Welt, das kann eher dazu beitragen, als wenn wir jetzt wieder jahrelang verhandeln und dann irgendwann (2030 wird nicht reichen) einen ausgeweiteten Emissionshandel haben, der dann wahrscheinlich auch erst wieder zögerlich greift. Dann wird nicht nur Deutschland seine Ziele verfehlen, wie wir das ja 2020 definitiv tun und eventuell auch 2030, wenn wir jetzt nicht vorangehen, sondern dann werden auch andere Länder die Ziele nicht erreichen.“

Ein unerträgliches Gestammel von oben herab!

Frankreich schien zu lernen

Die Frau kann (noch) froh sein, deutsche Abgeordnete zu sein. In Frankreich ist der Ton schärfer. Der Präsident hat unter dem Eindruck brennender Autoreifen an den Verkehrskreiseln, zertrümmerter Fensterscheiben und geplünderter Geschäfte Zugeständnisse gemacht. Die Steuererhöhung auf Diesel und Benzin wurde zurückgenommen, für Geringverdiener gab es mehr staatliche Zuschüsse, und es sind Diskussionen im Gange, wie die Steuerlast für Durchschnittsverdiener gesenkt werden kann.

Der unnahbar wirkende Präsident sah sich gar gezwungen, eine Charmeoffensive zu starten. Er tingelte durchs Land. „Grand Debat“ nannte sich die Zuhörtour, die die Gemüter beruhigen sollte. Das ist gelungen, die Proteste sind abgeebbt. Aber es ist und bleibt eine trügerische Ruhe, denn die Probleme sind ja nicht vom Tisch.

Da Macron immer noch überzeugt zu sein scheint, das Richtige zu tun, bastelt er weiter an grundlegenden Änderungen der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Dagegen haben die Gewerkschaften bereits landesweite Streiks angekündigt. Allerdings haben es die Gelbwesten bislang abgelehnt, sich von anderen Interessengruppen, sei es Gewerkschaften oder Parteien, vereinnahmen zu lassen, weil sie sich eben nicht als Teil des Systems verstehen.

Irgendwann jedoch wird es wieder heißen: Wir sind das Volk!

Viele „Gilets Jaunes“ hatten gehofft, daß es in Frankreich – ausgelöst durch ihren Protest – zu einer Reflexion über das politische System kommen würde. Eine Debatte, die letztendlich zu mehr Beteiligung und zu mehr direkter Demokratie hätte führen sollen.

Noch ist es nicht so weit. Für die Gelbwesten, die nach mehr sozialer Gerechtigkeit rufen, wird aber immer klarer: Sie müssen ihre Forderungen irgendwie in politische Bahnen lenken. Sie müssen sich des politischen Systems bedienen, wenn Sie Erfolg haben möchten.

Was das heißt, dürfte auch uns zu denken geben.

Schluß mit der Abgehobenheit, der Entscheidungen in Hinterzimmern, der Ausgrenzung von Andersdenkenden – und vor allem des blinden Vorrangs der Ökologie vor der Ökonomie! Und da kommen wir der deutschen Wirklichkeit ein bißchen näher; denn auch hier ist der Unmut greifbar. Noch ist er eher gedämpft – der (kaum gepflegten) deutschen Protestkultur entsprechend. Aber das kann sich auch mal ändern. Die Stimmung nach einer Alternative, nach einem Wechsel des Systems ist greifbar geworden. Und das gilt nicht nur dem Überdruß an Merkel.

Zugegeben, wir haben keinen Macron, auf den man den Ärger lenken könnte. Und zugegeben, DER Deutsche ist kein Revolutionär. Er würde gewiß aus Verzweiflung eine Revolution behördlich anmelden und eine Eintrittskarte dazu erwerben. Aber physisch protestieren? Auf der Straße? Noch nicht!

Irgendwann jedoch wird es wieder heißen: Wir sind das Volk! Wenn wir uns dessen nur endlich mal bewußt würden! (Allons, enfants de la patrie…!)

Der Beitrag erschien zuerst bei CONSERVO

Quelle: philosophia-perennis.com vom 19.11.2019 


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