Deutsche Fußballgeschichte 1926: „DREAMTEAM IM SPIELRAUSCH“: 90 JAHRE ZWEITE DEUTSCHE MEISTERSCHAFT

Szene aus dem Endspiel: Fürths Kießling begleitet den Ball beim Eigentor der Berliner zum 3:1 über die Torlinie.

Abends vor dem Spiel noch ins Cabaret, am Morgen vor dem Spiel noch bereitwillig vor einem Kamerateam posiert – locker und gelöst gaben sich die Fürther vor dem dritten Endspiel ihrer Vereinsgeschichte im Frankfurter Waldstadion. Eine Mannschaft, inzwischen gereift, mit erfahrenen Akteuren, aber immer anfällig gegen einen Anflug von Arroganz, gespeist aus dem Wissen über die eigene spielerische Potenz. Überlegenheit, in der Vergangenheit oftmals in Überheblichkeit umgeschlagen. Townley – der große Taktiker war seit dem Viertelfinalspiel wieder Trainer – kannte seine Pappenheimer und verordnete zu Beginn eine für die SpVgg Fürth vollkommen ungewöhnliche Defensivtaktik. „Getreu den Anweisungen“, erinnerte sich Lony Seiderer, dem Townley höchstpersönlich kurz vor dem Spiel einen Verband an seinen vom Kieler Halbfinale lädierten Oberschenkel angelegt hatte, „hielten wir uns anfangs zurück.“ Auch als die Berliner in der neunten Minute in Führung gehen.

 

      Spreadshirt Shop idee09

Hertha-Führung noch vor der Pause gedreht

Nach etwa einer Viertelstunde geben die Fürther ihre Zurückhaltung auf. Überrascht von den plötzlichen Kombinationen der SpVgg geraten die Berliner in die Defensive. Ein Handtor von Resi Franz erkennt Schiedsrichter Spranger aus Glauchau zurecht nicht an, doch Seiderer verwandelt eine Kopfballvorlage von Ascherl in der 27. Minute zum längst fälligen Ausgleich. Die nun nervösen Berliner werden von den Kleeblättlern überrollt. Das Frankfurter Publikum, anfangs Hertha zugeneigt, schwenkt um. Fußball in derartiger Perfektion hat man am Main noch nicht gesehen. Die Fürther steigern sich in einen Spielrausch. Als Berlins Schlussmann Götze in der 35. Minute einen Schuss von Seiderer nicht festhält, ist Auer zur Stelle und staubt zum 2:1 ab. Kurios, aber vorentscheidend das 3:1: Resi Franz umkurvt einige Verteidiger. Er legt vor für Ascherl. Domscheid, verwirrt, lenkt das Leder an seinem herauslaufenden Keeper vorbei Richtung eigenes Tor. Fürths Kießling gibt dem Ball jubelnd Geleitschutz, bis er die Linie überschritten hat.

Nicht nur Kleeblatt-Fans feiern die Fürther

Nach dem Wechsel tragen die Berliner wieder dazu bei, das Endspiel als eines der besten in die Analen des Deutschen Fußballs eingehen zu lassen. Verzweifelt stemmen sie sich gegen die Niederlage, doch die SpVgg kommt ständig zu Entlastungsangriffen. Nach einer Stunde ist Herthas Elan erlahmt. Brillant kombiniert die SpVgg, in der 68. Minute markiert Ascherl das 4:1. Nach Schlusspfiff werden die Meister nicht nur von 1500 mitgereisten Fürthern gefeiert – 45 000 Zuschauer jubeln dem Kleeblatt zu. Die Berliner sind faire Verlierer, und die Fachpresse verneigt sich vor dem überlegenen Sieger.

Überschwänglicher Empfang in der Heimat

Den Zug Richtung Fürth geleiten am nächsten Tag wahre Begeisterungsstürme. In einem Ort namens Heigenbrück taucht der halbe Ort am Bahndamm auf, um die Kleeblatt-Elf zu feiern. In Würzburg müssen die Spieler aussteigen – sowohl die Kickers als auch der FV sind am Bahnhof erschienen, mit Sekt und Wein, auch in Kitzingen wird dem Meister ein großer Geschenkkorb überreicht. Alles aber war nur ein Vorgeschmack auf das, was in Fürth wartete. Es muss ein Großteil der 75 000 Einwohner gewesen sein, der die kurze Strecke vom Bahnhof zum Geismannsaal säumte, wo Mannschaft und Trainer in nicht enden wollendem Jubel gefeiert wurden. Townley, gerührt, ernennt Fürth zu seiner „zweiten Vaterstadt“. Eine große Mannschaft war am Ziel. Und endgültig war der „Fürther Flachpass“ Sinnbild von Ästhetik und Schönheit des Fußballspiels. Nie zuvor, auch nie mehr später, spielte ein Team mit dem Kleeblatt auf der Brust so wunderbar wie die Meister in der Endrunde 1926.

(Aus: Jürgen Schmidt: Das Kleeblatt – 100 Jahre Fußball im Fürther Ronhof. Hrg.: SpVgg Greuther Fürth; 1. Auflage 2010; 29,90 Euro; ISBN: 978-3-00-012909-4. Zu beziehen über die Fanshops der SpVgg Greuther Fürth.)

Quelle: greuther-fuerth.de vom 13.06.2016

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Soziales, Sport, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments