Olympia 2016 – Silbermedaille für Angelique Kerber

Kerbers Final-Niederlage gegen Puig: Die neue Nummer eins – bald

Aus Rio berichten Lukas Eberle und Lukas Rilke

Angelique Kerber
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Angelique Kerber

 

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Top-Favoritin Serena Williams draußen, Finale gegen eine Außenseiterin: Der Weg zu Gold schien frei für Angelique Kerber. Doch gegen Mónica Puig sah der Tennis-Star den meisten Schlägen hinterher. Die Zukunft verspricht mehr.

Angelique Kerber stopfte ihren Schläger in die Tennistasche, dann die Handtücher hinterher. Sie räumte noch ein bisschen rum auf der Bank, auf der sie die letzten zwei Stunden lang zwischen den Seitenwechseln Platz genommen hatte. Eigentlich gab es gar nichts aufzuräumen, aber darum ging es Kerber nicht. Hauptsache nicht umdrehen.

15 Meter dahinter kniete Mónica Puig, die Arme langgestreckt, das Gesicht auf dem Boden, der zierliche Körper der 22-Jährigen bebte. Puig, die an diesem Abend sonst kaum eine Regung gezeigt und mit verbissener Miene gekämpft hatte, schluchzte; wenige Sekunden zuvor hatte sie die Olympische Goldmedaille gewonnen. 6:4, 4:6, 6:1. „Sie hat das Spiel ihres Lebens gemacht“, sagte Kerber nach der Medaillenvergabe, bei der sie Silber umgehängt bekommen hatte. „Das ist nicht die Medaille, die ich haben wollte.“

Es dauerte ein paar Stunden, bis sie sich mit der Trophäe angefreundet hatte. Als sie um kurz vor Mitternacht im Deutschen Haus in Rio nochmal vor die Presse trat, sagte sie: „Das Schönste an der Medaille ist, dass sie für immer bleibt. Sie ist richtig schwer. Sie kommt neben den Australian-Open-Pokal und den Teller aus Wimbledon.“

„Eines der besten Jahre meiner Karriere“

Kerber ist die Nummer zwei der Welt, im Februar hatte sie die Australian Open gewonnen, im Juli stand sie in Wimbledon im Finale. „Die Silbermedaille jetzt ist das i-Tüpfelchen in einem der besten Jahre meiner Karriere.“ In Melbourne besiegte sie Serena Williams, in London unterlag sie der Nummer eins aus den USA. Eine fitte Williams ist immer noch eine Klasse für sich, gleich dahinter aber kommt Kerber, an einem guten Tag kann sie den US-Star schlagen. In Rio wirkte Williams nicht ganz fit, im Achtelfinale verlor sie gegen die Ukrainerin Elina Svitolina. Der Weg schien frei für Kerber.

Bis zum Finale hatte sie keinen Satz verloren, Puig änderte das innerhalb von 37 Minuten. Die Puertoricanerin, Nummer 34 der Welt, spielte gut, mit harten Grundlinienschlägen und viel Aggressivität. Sie hätte Kerber laufen lassen, wenn diese denn gekonnt hätte. Doch Kerber, normalerweise eine der laufstärksten Spielerinnen auf der Tour, sah vielen Schlägen der Gegnerin im ersten Durchgang nur hinterher.

Der Grund: Gleich im ersten Spiel hatte sie sich am unteren Rücken verletzt, der Muskel. Kerber wand sich danach hin und her, als wolle sie die Blockade lockern, blickte hilfesuchend zu ihrem Team auf der Tribüne, wenn sie bei ihrer Rückhand tief in die Hocke ging, kam sie kaum wieder auf die Beine. Linderung verschaffte ihr erst eine Behandlung in der Kabine. Da hatte sie den ersten Satz schon verloren. „Danach war es ein bisschen besser“, sagte Kerber.

Für die Zuschauer war es ab dem zweiten Satz sogar viel besser, allzu viele waren es aber leider nicht. Vor dem Endspiel der Frauen hatten die beiden Männer-Halbfinals stattgefunden, erst gewann Andy Murray gegen Kei Nishikori, dann lieferten sich Rafael Nadal und Juan Martín del Potro über 3:08 Stunden das Match des Turniers. Die Ränge waren voll. Als del Potro gewonnen hatte, strömten die Zuschauer aus dem Stadion, auf die Toiletten, an die Essensstände oder auch einfach nach Hause. Zu Spielbeginn von Kerber und Puig waren von den 9165 Plätzen maximal ein Viertel besetzt, nach und nach wurde es etwas voller.

Finale vor halbleeren Rängen

Und so sahen nur rund 4000 Zuschauer, wie Kerber plötzlich völlig anders auftrat, und das im wahren Wortsinn. Sie lief nun viel mehr, sprang bei ihren Aufschlägen höher ab, wirkte insgesamt viel agiler. Zum Beginn des zweiten Satzes gelang ihr das Break zum 1:0, bei eigenem Aufschlag rückte sie dynamisch ans Netz vor und schlug zudem zwei Asse. Puig brauchte Zeit, um sich auf die wie verwandelt spielende Kerber einzustellen. Als ihr das gelang, zur Mitte des fünften Spiels, war es dann ein Match auf höchstem Niveau.

„Ich wusste, dass sie gut spielen kann“, sagte Kerber später über die Gegnerin. Sie selbst hätte ruhig noch aggressiver spielen können. „In so einem Finale entscheiden zwei, drei Punkte. Und die hat eben Monica gemacht.“ Im dritten Satz leistete Kerber sich ein paar leichte Fehler, gegen eine immer besser aufspielende Puig war das schon zu viel. Leichte Punkte gab es für Kerber keine mehr, Puig machte kaum noch Fehler, spielte wie im Rausch. Wenn ihr Gesicht auf der Videowand herangezoomt wurde, sah man pure Entschlossenheit. Sie ließ sich den ersten Goldtriumph für ihr Land nicht mehr nehmen.

Nächstes Ziel: Platz eins der Weltrangliste

Für Deutschland wäre es die zweite olympische Goldmedaille im Frauentennis gewesen, Steffi Graf hatte 1988 in Seoul gewonnen. Davor hatte die damals 19-Jährige schon bei allen vier Grand-Slam-Turnieren des Jahres triumphiert und den „Golden Slam“ geschafft, eine Jahrhundertleistung.

Graf war 1997 auch die bislang letzte Deutsche, die an der Spitze der Weltrangliste stand. 377 Wochen hielt sie sich insgesamt als Nummer eins, 186 Wochen am Stück. Ein Rekord für die Ewigkeit, dachte man. Dann kam Serena Williams, wie Graf mit bislang 22 Grand-Slam-Titeln, 305 Wochen als Nummer eins, 183 davon am Stück. Drei Wochen fehlen noch zu Grafs Bestmarke.

Verhindern kann das nur Angelique Kerber – und das schon in der kommenden Woche. Kerber tritt in Cincinnati an, wenn sie gewinnt, überholt sie Williams. Die hatte bisher auf einen Start verzichtet, bemühte sich nun aber doch noch um eine Wildcard für das Turnier. „Ich kann nicht sagen, ob Serena nun doch starten will, weil sie Angst hat, dass ich sie ablöse“, sagte Kerber. „Aber ein bisschen Angst ist vielleicht gar nicht so schlecht für mich.“

Quelle: Spiegel-online vom 14.08.2016

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