Lateinamerika – Hinter den Kulissen der Olympiade: Die Machenschaften der Putsch-Regierung unter Temer

 

Hinter den Kulissen der Olympiade: Die Machenschaften der Putsch-Regierung unter Temer

Illegale Spenden für den Wahlkampf, eine Amnestie für korrupte Politiker und die Vollendung des Staatsstreichs. Während in Brasilien die Olympiade läuft, nutzt die de-Facto-Regierung unter Michel Temer die Gunst der Stunde, um abseits der Öffentlichkeit die eigene Politikerkaste vor Ermittlungen zu schützen.

von Frederic Füllgraf, Chile

Seit dem 5. August bestimmen die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro die Titelblätter der internationalen Medien. Was sich jedoch politisch hinter den Kulissen der Olympiade abspielt, spottet jeder Beschreibung.

Schon vor dem Beginn der Wettkämpfe hatte Interimspräsident Michel Temer seinen Finanzminister Henrique Meirelles überredet, das Haushaltsdefizit für das Jahr 2016 von umgerechnet 25 Milliarden Euro – dem vorherigen Rousseff-Limit – auf 47 Milliarden Euro zu erhöhen.

Die ehemalige Landwirtschaftsministerin und amtierende Senatorin Kátia Abreu warf ihrem Parteigenossen Temer vor, von dem Haushaltsloch rund 14 Milliarden Euro für Stimmenkauf „reserviert“ zu haben. Der Übergangspräsident wolle die Senatoren für die Amtsenthebung der Präsidentin schmieren, so ihr Vorwurf.

Die Tageszeitung Folha de São Paulo bestätigte Abreus Anklage: „Temer beschleunigt die Mittelbewilligung für Anträge der Parlamentarier.“

Das dahinter stehende System funktioniert in Brasilien so: Bei „Emendas parlamentares“ handelt es sich um Anträge auf ergänzende Mittelbewilligungen in der Haushaltsdebatte. Angeblich geht es dabei um die Finanzierung von Projekten in den Wahlkreisen der Parlamentarier. In Wirklichkeit funktioniert dieser Korruptionshebel als ein Mittel zur Erpressung gegen amtierende Präsidenten und den Fraktionen bis tief hinein in die landesweiten Landkreise.

Auf diesem Weg hatte Temer bereits bis Ende Juli eine Milliarde Euro an „Ergänzungsanträgen“ bewilligt, die sich im Senat als lukratives Geschäft erwiesen: In erster Abstimmung votierten 59 Senatoren für die definitive Amtsenthebung von Dilma Rousseff. Der Wahnwitz: Gegen 49 der insgesamt 81 Parlamentarier des Oberen Hauses laufen seit Jahren Ermittlungen der Justiz wegen Unterschlagung und Bestechungsgeldern.

Das Timing ist perfekt: Wenn die letzten Olympia-Bummler in ihre Flugzeuge gestiegen sind, wird am 25. August die zweite und damit letzte Abstimmung im Senat stattfinden, die über Dilma Rousseffs politische Zukunft entscheiden soll. Mit einer Zweidrittelmehrheit könnte Temer seine Gegnerin ablösen lassen. Angesichts des korrumpierten und abgekarteten Impeachment-Verfahrens kann nur ein Wunder die Präsidentin vor ihrem endgültigen Sturz bewahren.

Michel Temer: „Schmutziger als die Sitzstangen eines Hühnerstalls“

Michel Temer hat es sehr eilig mit dieser Senatsabstimmung, denn über seinem eigenen Kopf baumelt das Damoklesschwert der Justiz. Der Zeuge Marcelo Odebrecht bestätigte am vergangenen 6. August der brasilianischen Staatsanwaltschaft, dass Interims-Außenminister José Serra für seine Präsidentschafts-Kampagne gegen Dilma Rousseff im Jahr 2010 im Ausland etwa neun Millionen Euro als nicht deklarierte Spendengelder erhalten hat.

Marcelo Odebrecht ist der Vorsitzende des gleichnamigen Megakonzerns „Organização Odebrecht“. Er sitzt seit eineinhalb Jahren im Gefängnis. Doch Serra verbrauchte das schmutzige Geld nicht für den Wahlkampf, sondern steckte es in seine Privattasche. Während der wichtigste Nachrichtensender Brasiliens, TV Globo, die Meldung ignorierte, wurde die Information landesweit von der Konkurrenz gesendet.

Zu den Aussagen von Marcelo Odebrecht gehört, dass er dem aktuellen Präsidenten Michel Temer 3,5 Millionen Euro in bar in seiner Wohnung aushändigen ließ. Allerdings habe er die Politiker nicht umworben, sondern sei von ihnen geradezu angebettelt worden. Der Übergangspräsident hat, wie der brasilianische Volksmund sagt, „mehr Dreck am Stecken als die Sitzstangen eines Hühnerstalls“.

Zusätzlich zu den Odebrecht-Aussagen wird er verdächtigt, von dessen Konkurrenten, dem Baukonzern OAS, etwa 1,3 Millionen Euro Bestechungsgelder empfangen zu haben. Zudem taucht sein Name 21 mal in den Korruptions-Ermittlungen zum Hafen von Santos auf. Insgesamt soll er in dieser Angelegenheit 345.000 US-Dollar als Schmiergeld bekommen haben. Schließlich hat das Oberste Wahlgericht den aktuellen Präsidenten Brasiliens bereits zur Unwählbarkeit verurteilt.

Zudem ist der Übergangspräsident als ehemaliger Vize Rousseff selbst Gegenstand eines Antrags auf Amtsenthebung. Diesen Vorgang hat der Richter Marco Aurélio Mello an die Abgeordnetenkammer weitergeleitet, wo er bisher aber von Temers Mannen abgeblockt wird.

Inzwischen ist für viele Politiker in Brasilien jedoch die Schmerzgrenze erreicht. Die aktuell bekannt gewordenen 3,5 Millionen Euro vom Odebrecht-Konzern könnten das politische Aus für Michel Temer bedeuten.

Die Odebrecht-Liste und der Außenminister

Inzwischen trat auch der Vater des Kronzeugen, Emilio Odebrecht, an die Öffentlichkeit. Gegenüber brasilianischen Medien behauptete er, dass der Parteichef der Temer-Partei PSDB ihn angefleht habe, den Namen Serras aus den Ermittlungen rauszuhalten. Es solle die Aussage seines Sohnes öffentlich entkräften.

José Serra ist doppelt belastet. Er steht nicht nur auf den Spenderlisten der Baukonzerne Odebrecht und OAS. Weil er der Anwärter der PSDB auf die Nachfolge von Rousseff und Temer ist, muss er politisch jedoch geschützt werden.

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Beobachter gehen davon aus, dass in Brasiliens Sicherheits- und Justizapparat seit Jahren eine Patronage aus rechtsradikalen Polizisten, Staatsanwälten und Richtern operiert. Sie sollen ein Bündnis mit der PSDB eingegangen sein. Die Protektion des korrupten Serra begann demnach bereits im Jahr 2015, als die Bundespolizei auf dem Handy des Odebrecht-Erben eine Kontaktliste fand, die sie später verschwinden ließ.

Als der zuständige Richter Sergio Moro den wichtigsten Unternehmer Brasiliens wegen vielfacher Bestechung zu 19 Jahren Haft verurteilte, griff Marcelo Odebrecht in seine Akten und drohte den Ermittlern, eine Liste mit den Namen von 300 Personen des öffentlichen Lebens zu veröffentlichen. Darunter befinden sich vor allem Politiker, aber auch Richter.

Richter Moro spielte die Liste den Medien zu und ließ ihre Veröffentlichung keine 24 Stunden später wieder verbieten. Obwohl die Liste überwiegend Namen von Politikern und Beamten aus den Parteien PMDB und PSDB enthält, verwehrte Moro dem Unternehmer sein traditionelles Angebot für eine Kronzeugenregelung.

Die Juristin Eliana Calmon vom Obersten Gerichtshof hat dafür eine Erklärung: Odebrechts Liste enthalte sicherlich Namen von korrupten Abgeordneten. Es sei unmöglich, glaubt die Richterin, mit dem einflussreichen Unternehmer ein Abkommen über Strafminderung auszuhandeln, in dem nicht einige Senatoren und Abgeordnete belastet würden.

Nach Rousseffs Sturz: Die Amnestie der Verbrecher

Die unglaubliche Korruption in der politischen Kaste Brasiliens bildet also eine Parallelhandlung zum Endspurt im Verfahren zur Amtsenthebung gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Vor Monaten überreichte die Staatsanwaltschaft den Abgeordneten eine Resolution mit „zehn Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption“. Zu den Empfehlungen gehört die vollständige Überwachung, Bespitzelung und Kriminalisierung politischer Parteien.

Sollten solche Maßnahmen umgesetzt werden, würde das bedeuten, dass die Gesetzgeber des Landes vollständig unter der Kontrolle der Justiz stehen. Selbstverständlich würde damit der Rechtsstaat ausgehöhlt.

Die Anwälte der bisher inhaftierten Unternehmer und Abgeordneten boten daraufhin an, dass die Beschuldigten eine Amnestie bekommen, die mindestens 200 Parlamentarier begünstigen. Dies soll eine „Befriedung“ im politischen System Brasiliens ermöglichen.

Eine entsprechende Initiative bereitet die Temer-Regierung nun vor. Diese „politische Reform“ soll bereits nach den für Oktober angesetzten Kommunalwahlen stattfinden. Sollte der parlamentarische Staatsstreich gegen Rousseff und die Arbeiterpartei erfolgreich verlaufen, können sich die eigentlichen Korrupten damit selbst amnestieren.

Quelle: Russia Today (RT) vom 16.08.2016

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