»Lügenpresse« rechnet mit »Pack« ab: Leitmedien fordern das Elite-Publikum

Kredit für Selbständige

03.10.2015
Markus Mähler

Medienmogul Sebastian Turner ruft in der Zeit den Sieg der Leitmedien aus: Wir »werden immer wichtiger« und haben auch noch das »Leitmilieu« auf unserer Seite. Das Elite-Publikum ist »die entscheidende Instanz« im Land, »der Rest sind Follower«. Wer auf der Resterampe landet, leidet übrigens unter der PEGIDA-Krankheit und muss isoliert werden. So klingen nur Leitmedien, die in der Geiselhaft der Mächtigen sind.


Wer ist Sebastian Turner: Journalist, Herausgeber, Honorarprofessor, Gründer einer Werbeagentur, Medienmogul, Berater, Kampagnenleiter für Lobbyisten, Netzwerker der Mächtigen und Politiker. Ein Mann ohne Grenzen und ohne Gefühl für das richtige Maß.

Was macht Sebastian Turner falsch? Die Allzweckwaffe redet einfach zu viel.

Sein geschwätziger Essay in der Zeit vom Donnerstag verrät mehr über unsere Leitmedien, als ihnen lieb ist. Die sind in der Dauerkrise, aber statt Ursachen werden dort ständig neue Sündenböcke gesucht – immer beim Publikum.

Wer den Leitmedien nicht folgt, wird ausgesperrt

Dieses Trauerspiel wiederholt jetzt auch Medienmogul Turner: Weil er nebenbei Mitherausgeber der Wochenzeitung ist, schnappte sich der Profiwerber eine prominente Seite in der Zeit und schrie Heureka! Die deutschen Journalisten haben zwar ihre Meinungsmacht über das Volk verloren, aber Turner tischt jetzt die häppchengerechte Lösung auf.


Vorher bringt der Alleskönner das Dilemma noch kurz auf den Punkt: »Wer führt, wer folgt?« Seine Antwort fällt genauso schlicht aus: Endlich führen wieder die alten Leitmedien und wer beim Publikum nicht mehr folgt, wird ausgesperrt. Der darf auch bei Turners schönem neuen »Leitmilieu« nicht mitmachen. Das ist die erste Touristenklasse auf der MS Deutschland.

Placebo-Pillen für die Herde journalistischer Leithammel

Endlich herrscht wieder eine kleine Zahl von Meinungsmachern, weil sie die einzigen sind, die »verlässlich Substanz im Ozean der Botschaften« liefern. Ja, die Durchschnittsjournalisten der »Folgemedien« werden laut Turner zwar bald absaufen, aber auf dem Sonnendeck schippern alle Alpha-Journalisten weiter unterm azurblauen Himmel. Happy End für die Leitmedien. Basta.

Na Gott sei Dank, endlich wird alles wieder einfach, zumindest für die obere Journalistenwelt. Die Massenmedien haben mit dem Internet zwar ihr Monopol verloren – aber der Tausendsassa Turner verteilt Placebo-Pillen an die Herde journalistischer Leithammel. Vielleicht löst das die Schockstarre.

Pressefreiheit: Wenn »200 reiche Leute ihre Meinung verbreiten«

Mussten sich die Alpha-Journalisten doch tatsächlich und zum ersten Mal wirklich mit dem eigenen Publikum befassen. Was sie dort sahen, gefiel ganz und gar nicht. Das Publikum will nicht mehr folgen und spielt mit seiner neuen Macht der Kritik, weil es die Holzmedien nicht mehr braucht. Richtig böse wurden die enttäuschten Leser in den letzten Jahren. Die aufgebrachten Kommentare auf den Nachrichtenseiten im Netz sind dafür ein gutes Trendbarometer.

Was hat sich da bloß aufgestaut? Noch 1965 schrieb Ex-FAZ-Herausgeber Paul Sethe: »Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, dass die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.« 50 Jahre später sind die Medien kaputtgespart, haben ihren Zauber als exklusive Meinungsmacht im Land verloren und alle auf Linie gebrachten Redakteure stöhnen noch viel lauter. Unfreiheit tut immer weh, besonders im Schraubstock.

Neue Spielregeln: Die Menschen haben endlich eine hörbare Stimme

Abseits dieses Trauerspiels wurde aber ein völlig neues digitales Universum geboren. Im dezentralen Netz erreicht ein Mensch jeden anderen und die ganze Welt schaut dabei zu. Eine einzige Meinung kann wie eine Grippeepidemie um die ganze Welt gehen und immer mehr freie Geister infizieren. Kein Medienkonzern kann das noch lenken oder gar zensieren.


Inzwischen sind Suchmaschinen wie Google die neuen Meinungswächter, etwas Meinungsmacht fällt auch an die Menschen zurück, doch die großen Verlierer sind bisher die Medienkonzerne. Deshalb wird auch die Politik ungeduldig. Sie zweifelt öffentlich am Nutzen der Journalisten, weil sich immer mehr Menschen der Deutungshoheit der Journalisten entziehen – oder einfacher ausgedrückt: Das Volk glaubt den Medien nichts mehr, sondern verbreitet lieber seine eigene Meinung. So viel Freiheit ist erlaubt. Die zerstört allerdings die alten Spielregeln. Dass jetzt so viele Menschen eine hörbare Stimme haben, gefällt keinem, der Macht besitzt und sie festhalten will.

Steinmeiers Standpauke

Frank-Walter Steinmeier wusch der versammelten Medienriege deshalb bei den Lead Awards 2014 den Kopf: »Was sind die Ursachen der Glaubwürdigkeitskrise? Die einfachste Erklärung wäre: Der Leser ist schuld, der ist halt dumm und frech. […] Aber mit dem Leser ist es wie mit dem Wähler. Man kann sich über ihn ärgern, aber man sollte ihn nicht ignorieren und am besten sehr ernst nehmen.«

Deutschlands Medienkonzerne zitterten plötzlich: Jetzt denkt nicht mal mehr die Politik, dass uns die Leser noch glauben. Dieser Liebesentzug wiegt offenbar schwerer als sinkende Auflagen. Aber es gibt ja Sebastian Turner, der in seinem Essay das Problem mit dem Publikum klärt.


Ein Elite-Publikum für die Elite-Medien

Wie es sich für einen Werbeguru gehört, liefert er die denkbar einfachste Antwort. Sie lässt sich so drastisch wie einfach in einem Werbeslogan zusammenfassen: Die Leitmedien erreichen vielleicht nicht mehr alle Menschen, dafür aber die besten. Der Rest ist eh nur »Pack« und damit bedeutungslos.

Diese Arroganz zieht sich durch den gesamten Essay: »Die Medien mit dem besten Publikum bekommen die beste Kritik und werden noch besser.« Spiel, Satz und Sieg.

Die Leitmedien haben in der Internetära nicht nur vorzeitig gewonnen, »sie werden immer wichtiger«, formen die wichtigen Meinungen im Land, schreiben für das »Leitmilieu« und werden dort gelesen. Der Elite-Club nimmt in Turners schöner neuen Medienwelt die »Schlüsselrolle« ein. »Sie sind die entscheidende Instanz, der Rest sind Follower.«

Alternativlos: Welche Meinungen in die Isolation führen

Die Meinungsfreiheit wird zu einer geschlossenen Veranstaltung. Wer einen Platz an der Sonne will, muss einiges mitbringen: Turner will Meinungsführer, die eng vernetzt sind. Bildung, Einkommen und Karriere verstehen sich natürlich von selbst.

Und der Rest im Land und seine Meinung – was passiert mit allen, die vom verordneten Konsens abweichen? Im Essay ist von der ansteckenden PEGIDA-Krankheit die Rede, die wie eine Leprakolonie eingedämmt gehört. Sollen sie doch im Internet schmoren, in ihren »Echoräumen«, wie sie Turner nennt. Dort können sie sich zwar gegenseitig den Rücken stärken, aber bleiben »ohne breite gesellschaftliche Akzeptanz«.

Aussperren, Knüppel-Politik und die Flucht aufs Sonnendeck

Wer im Zangengriff der deutschen Leitmedien und des Berliner Parteien-Karussells landet, der wird isoliert, diffamiert und ausgestoßen: Lasst uns über Gabriels »Pack« lachen, schicken wir Gaucks »Dunkeldeutsche« an den Pranger. Feiern wir den Inzest zwischen Politik und Leitmedien. Deutschland ist auf dem besten Weg in eine Diktatur der Eliten. Der Krieg um die Meinungsmacht wird schon längst geführt. Der Beweis dafür steht sogar im Zeit-Essay: »80 Prozent aller substanziellen Zitate« im Mediendschungel gehen auf »eine kleine Anzahl von Leitmedien« zurück, die auch die »Agenda für die Leitmilieus« setzen.

Eine wachsende Zahl von Menschen im Land entzieht sich der bewährten Kontrolle – und den klugen Köpfen im Land fällt nichts dazu ein außer Aussperren, Knüppel-Politik und die Flucht aufs Sonnendeck. Vielleicht schickt der eine oder andere Zeit-Leser doch einen aufgebrachten Leserbrief. Artikel 20, Grundgesetz: »Alle Macht geht vom Volke aus.« Nicht von einem »Leitmilieu«, einigen wenigen Leitmedien oder einer Politkaste.

Zu Sebastian Turner:

Der Mann hat schon immer gerne Einfluss gesammelt. Wenn er nicht gerade als Werber bei Scholz & Friends abräumt oder Oberbürgermeister von Stuttgart werden will, steigt Turner bei defizitären Tageszeitungen ein oder gründet Journalistenmagazine und verkauft sie wieder. Er ist Beirat der Konrad-Adenauer-Stiftung und war der kluge Kopf hinter der Lobbyisten-Kampagne »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«. Sie hat am Ende das Gegenteil von dem erreicht, was der Name versprach. Weniger Soziales, dafür aber mehr unternehmerfreundliches Klima im Land.


Jetzt promotet Turner die Leitmedien Zeit, FAZ und Spiegel als »große Sieger der Internetära«. Er ist Aufsichtsrat im Medienkonzern Dieter von Holtzbrinck und kann Einfluss auf das Handelsblatt und die Wirtschaftswoche nehmen. Er ist Mitinhaber des Berliner Tagesspiegel.

Als Profiwerber machte Turner dieses Blatt zum Inbegriff dafür, wie gekaufter Journalismus aussieht und wie man die ohnehin schon löchrige Mauer zwischen Medien und Politik noch weiter einreißen kann. Der Tagesspiegel verkauft seine Inhalte an »Hauptstadtentscheider«. Turner nennt sie »anspruchsvolle Berliner«, das ist aber nur ein Schönwort für Lobbyisten, die Einfluss suchen.

Sie wollen die Nähe zum politischen Berlin und zu Medien. Der Tagesspiegel hat beides und vermittelt die nötigen Kontakte. Turner bringt Lobbyisten, Hauptstadtjournalisten und Politiker auf Konferenzen oder Kongressen zusammen. Dieses Netzwerken wird zwar gut bezahlt, doch Turner drängt seine Journalisten in eine Rolle, die nichts mehr mit ihrem Berufsethos zu tun hat. Man kann solche Veranstaltungen durchaus als Partnerbörse der Mächtigen beschreiben.


Beim Tagesspiegel ist das »Berlin Strategy Lab« angedockt. Die Firma verhilft Lobbyisten, Verbänden und Unternehmen zum optimalen Medienauftritt. Neben Turner ziehen immer Gesichter aus der PR-Branche die Strippen beim Tagesspiegel und bauen dort das eigene Geschäft aus. Turner ist Mitherausgeber der Zeit. Die Macher der Wochenzeitung haben Eliten-Gipfel wie die Bilderberg-Konferenz mitorganisiert und mehrere Zeit-Journalisten gerieten wegen ihrer Nähe zu transatlantischen Netzwerken in die Kritik.

Der dänische Journalist Ulrik Haagerup beobachtet ein europaweites Phänomen: »Der Journalismus wurde in den vergangenen Jahren von Leuten in Geiselhaft genommen, die sich mehr um Ökonomie und Geschäfte gekümmert haben. […] Viele Menschen glauben nicht, dass ihnen die Mainstream-Medien die Wahrheit erzählen. Und zum Teil haben sie recht.«

Klingt nach Sebastian Turner. Er ist das Problem, gerade weil er den Journalisten einen vermeintlich einfachen Ausweg aus der Dauerkrise verkauft. Am Ende verkauft er nur den Journalismus.



Quelle: Kopp-online vom 03.10.2015

Portugiese 03.10.2015-1

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