EUROPA – Stimme aus der Türkei: „Deutschland wird gedemütigt“

In der türkischen Öffentlichkeit gibt es ein geteiltes Echo auf die Deutschland-Schelte von Präsident Erdogan: Ein Erdogan-Berater sagt, der Präsident drücke die Gefühle von Millionen Türken aus. Ein Politikwissenschaftler spricht dagegen von einer Schande und einer Demütigung Deutschlands.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch beim türkischen Präsidenten Erdogan, Istanbul Oktober 2015. (Foto: dpa)

Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch beim türkischen Präsidenten Erdogan, Istanbul Oktober 2015. (Foto: dpa)

Thomas Seibert von der AFP aus Istanbul hat die türkischen Reaktionen zur Erdogan-Schelte für ein deutsches Satire-Video in einer interessanten Analyse zusammengefasst:

„Erdowie, Erdowo, Erdogan“ – das findet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gar nicht lustig. Im Gegenteil: Wegen des satirischen Liedchens in einer NDR-Sendung musste der deutsche Botschafter Martin Erdmann gleich zwei Mal im türkischen Außenamt antreten. Das Vorgehen Ankaras zeigt mehr als deutlich, dass der Türkei die Meinung Europas derzeit ziemlich egal ist. Die Flüchtlingskrise hat das Machtverhältnis verschoben.

Westliche Diplomaten haben in der Türkei derzeit einen schweren Stand. Als mehrere von ihnen – allen voran Erdmann – am vergangenen Freitag die Eröffnung des Prozesses gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül beobachten, bedachte sie Erdogan mit einem Zornesausbruch: „Was denkt ihr denn, wer ihr seid? Was habt ihr da zu schaffen?“ fuhr er die Diplomaten in einer Rede an.

Mit ihrer Anwesenheit hatten die Vertreter Deutschlands, Großbritanniens, der USA und anderer Staaten ein deutliches Zeichen gegen den wachsenden Druck auf regierungsunabhängige oder regierungskritische Berichterstatter in der Türkei gesetzt. Erdogan will darin einen feindseligen Akt beobachtet haben.

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Regierungstreue Medien und Politiker forderten gar den Rauswurf der ausländischen Vertreter, die beschuldigt wurden, sich aufzuführen wie Kolonialbeamte. Erdogan-Berater Ilnur Cevik schrieb in der Zeitung „Daily Sabah“ am Dienstag, sein Chef habe recht daran getan, die Diplomaten in die Schranken zu weisen: „Er hat den Gefühlen von Millionen von Türken Ausdruck verliehen, die Diplomaten satt haben, die den Eindruck vermitteln, der Türkei Vorschriften machen zu wollen.“

Erdogan und andere kritisierten unter anderem von den Diplomaten im Gericht aufgenommene und in sozialen Medien verbreitete Selfies: Damit sei versucht worden, die Richter zu beeinflussen. Das Verfahren soll an diesem Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt werden – auch diplomatische Beobachter sind dann laut Medienberichten nicht mehr zugelassen.

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Kritik am Druck auf die Medien in der Türkei seitens der EU gibt es schon seit geraumer Zeit, doch die Einwände sind in Ankara bisher mehr oder weniger ignoriert worden. Jetzt aber geht Erdogan in die Offensive – und das hat laut Beobachtern einen guten Grund: Die Türkei fühlt sich durch das vor knapp zwei Wochen ausgehandelte Flüchtlingsabkommen mit der EU aufgewertet.

Gemäß dem Deal nimmt Ankara alle auf die griechischen Inseln gelangten Flüchtlinge wieder zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich auf EU-Seite massiv für diese „Lösung“ eingesetzt. Während Erdogan gegen die westlichen Diplomaten wetterte, unterstrich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) noch am Wochenende die Rolle der Türkei als zentraler Partner in der Flüchtlingsfrage.

Mit dem Deal habe Berlin Erdogan gestärkt, sagt der Istanbuler Politikwissenschaftler und EU-Experte Cengiz Aktar. „Heutzutage ist Frau Merkel die beste Verbündete der türkischen Regierung.“ Für Aktar ist klar: „Es ist eine Schande. Deutschland wird gedemütigt.“

Das lässt Berlin nicht auf sich sitzen. So wurde inzwischen aus dem Auswärtigen Amt deutliche Kritik an der türkischen Intervention gegen die Erdogan-Satire des NDR laut. Botschafter Erdmann habe am Dienstag bei einem zweiten Termin im Außenministerium in Ankara klar gemacht, dass der Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei, das „gemeinsam geschützt werden“ müsse. Für den Wunsch der Regierung, das Video löschen zu lassen, gebe es „weder eine Notwendigkeit noch die Möglichkeit“.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 30.03.2016


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