Abhörskandal belegt Putsch in Brasilien

Kopp Verlag


Harald Neuber 25.05.2016

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Der Präsident der PMDB, Romero Jucá, spricht in geleakten Aufnahmen von Absprachen mit Militär und Richtern und gibt Gründe für Amtsenthebung preis

In Brasilien wird die De-facto-Regierung unter dem rechtsgerichteten Politiker Michel Temer von einem Abhörskandal erschüttert, der die Kritik von Widersachern des parlamentarischen Putsches (In Brasilien herrschen jetzt Alte, Reiche, Weiße und Rechte) gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff bestätigt. Den Aufnahmen zufolge, die der einflussreichen Tageszeitung Folha de São Paulo zugespielt wurden, hat der bisherige Planungsminister im Kabinett von Temer, Romero Jucá, den Sturz von Rousseff geplant, um Korruptionsermittlungen gegen sich selbst, Temer und andere Vertreter der Oligarchie in Politik und Wirtschaft zu verhindern.

Nachdem die Folha am Montag Abschriften des rund 75-minütigen Gesprächs zwischen Jucá und einem Manager des staatlichen Erdölkonzern Petrobras, Sérgio Machado, veröffentlichte, musste Jucá zurücktreten. Er ist damit der zweite führende Akteur des parlamentarischen Putsches gegen Rousseff, der im Zuge der Staatskrise in dem südamerikanischen Land selbst stürzt. Anfang Mai war bereits der Präsident des Abgeordnetenhauses und Rousseff-Gegner Eduardo Cunha seines Amtes enthoben worden.

Im Zentrum des Korruptionsskandals steht der halbstaatliche Konzern Petrobas. Bild: Junius/gemeinfrei

Mit Jucá verliert Temer einen seiner wichtigsten Vertrauensleute und führenden Köpfe bei den geplanten neoliberalen Reformen. Nachdem Rousseffs Suspendierung für maximal 180 Tage Mitte Mai nach einem entsprechenden Votum des Abgeordnetenhauses auch von Senat bestätigt worden war, hatte der bisherige Vize-Präsident die Amtsgeschäfte übernommen und – obwohl nicht gewählt – einen radikalen Politikwechsel eingeleitet.

Die Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs zwischen seinem Vertrauensmann Jucá und dem Petrobras-Mann Machado schaden seiner ohnehin unbeliebten De-facto-Führung schwer: In dem Gespräch bestätigt Jucá nicht nur, dass es beim Sturz Rousseffs im Kern darum ging, Ermittlungen gegen Vertreter der Oligarchie in einem der größten Korruptionsskandale der Geschichte Brasiliens zu verhindern. Die Operation „Lava Jato“ – etwa: Autowäsche – hatte weitreichende Schmiergeldzahlungen bei der Auftragsvergabe von Petrobras offengelegt.

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Ermittlungen sollte gestoppt werden, Armee und Richter waren eingeweiht

Bei dem nun veröffentlichen Gespräch im März zeigte sich Jucá gegenüber Machado davon überzeugt, dass nur ein Sturz Rousseffs, die sich vehement für Ermittlungen im Lava-Jato-Skandal eingesetzt hatte, den Druck von den Beschuldigten nehmen könne. Zu ihnen gehören auch Jucá und Machado.

Der Präsident der Temer-Partei PMDB zeigte sich vor allem besorgt über das Vorgehen des Ermittlungsrichters Sérgio Moro. Dieser scheue nicht davor zurück, auch hochrangige Politiker und Wirtschaftsfunktionäre anzuklagen, Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot könne die Ermittlungen sogar noch ausweiten. Nur mit einem schnellen Sturz Rousseffs sei man noch in der Lage, die Ermittlungen zu stoppen.

Mit seinem Rücktritt bestätigte Jucá nun die Authentizität der Aufnahmen. Es handele sich aber, so seine Verteidigung im Interview mit dem Blogger Fernando Rodrigues, um ein Missverständnis. Seine Aussagen seien „banal“ und aus dem Kontext gerissen worden.

Die brasilianische Öffentlichkeit sieht das allerdings anders, wie ein Blick in die Medienberichte und Kommentarspalten zeigt. Dazu tragen zwei brisante Aspekte des abgehörten Gesprächs bei:

  1. Jucá hatte sich wenige Wochen vor dem parlamentarischen Putsch gegen Rousseff die Unterstützung von Generälen gesichert, damit die Armee den Sturz der gewählten Präsidentin akzeptiert. „Ich habe mit den Generälen und kommandierenden Militärs gesprochen. Von ihrer Seite aus gibt es kein Problem, sie sagten, dass sie es absichern werden“, sagte der Temer-Vertraute im Gespräch mit dem Petrobras-Manager Machado.
  2. Jucá gibt in dem Gespräch zudem an, den Rousseff-Gegnern die Unterstützung führender Richter gesichert zu haben. Beim Obersten Gerichtshof gebe es „nur eine kleine Anzahl“ von Richtern, zu denen er nicht hätte vordringen können. Zu ihnen gehörte Teori Albino Zavascki, der von Rousseff benannt worden war. Von Zavascki sei nicht zu erwarten, dass er dabei helfe, die Antikorruptionsermittlungen einzustellen, gestand Jucá, der zudem mit der Unterstützung von Medienkonzernen argumentierte.

Die Veröffentlichung des heimlichen Mitschnitts zeigen indes auch, dass die Rousseff-Gegner durchaus nicht alle Widersacher auf ihre Seite gezogen haben.

Auch wenn der Putsch-Charakter nun klar ist, ist es der politische Ausweg nicht

Mit den Aufnahmen ist nun klar, dass die Begründungen für die vorläufige Amtsenthebung von Rousseff – argumentiert wurde mit Tricks zur Verschleierung des Haushaltsdefizits – konstruiert waren. Tatsächlich handelte es sich um einen geplanten Putsch, der möglich wurde, weil sich mehrere Parteien der Oberschicht, auch frühere Koalitionäre von Rousseffs Arbeiterpartei (PT), gegen die Politikerin verschworen hatten.

Die geleakten Audioaufnahmen belegen nicht nur, dass es einzig und allein darum ging, den Oligarchen in Politik und Wirtschaft den Kopf zu retten. Sie dienen auch als Beweis dafür, dass Brasiliens Militär, Medienkonzerne und eine Richtermehrheit beim Obersten Gericht in die verdeckten Pläne vorab eingeweiht waren und sie unterstützten. „Die Abschriften (des Gesprächs) belegen praktisch jeden Verdacht und jede Anschuldigung von Gegnern des Amtsenthebungsverfahrens“,schreibt der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald auf der Seite „The Intercept“.

Der US-Journalist geht auch auf die politischen Folgen für Brasilien ein. Die führenden Medienkonzerne in dem südamerikanischen Land hätten zuletzt keine Umfrageergebnisse mehr zur De-facto-Regierung von Michel Temer veröffentlicht, schreibt Greenwald: „Die letzten bekannten Umfragen haben gerade einmal eine Unterstützung von zwei Prozent gezeigt, während 60 Prozent ihn weg haben wollen.“

Im Übrigen glaubten schon vor der Veröffentlichung des Mitschnitts zwei Drittel der Brasilianer, dass die Rousseff-Gegner bei der Amtsenthebung eigenen Interessen gefolgt sind.

In der Nacht zum Dienstag hat die Polizei die Straße abgesperrt, in der sich Temers Wohnhaus befindet, weil tausende Demonstranten dorthin marschieren wollten. Im Senat wurde der Chef der Umstürzler mit „Putschist“-Rufen empfangen. Was zeigt: Die neuen Machthaber in Brasilien haben sich in eine Sackgasse manövriert.

Die Umfragewerte sind schlecht, die Maßnahmen unpopulär. Das Defizit wird mit umgerechnet rund 42,5 Milliarden Euro höher ausfallen als erwartet, die Insolvenzen werden nach Meinung von Finanzexperten zunehmen. Keine guten Voraussetzungen für Neuwahlen, die früher oder später kommen werden.

Quelle: heise.de vom 25.05.2016

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