Wie Hitler den Papst entführen wollte – Geheimversteck im Turm der Winde

SS in Rom: Der Plan zur Verschleppung des Papstes
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Anfang 1944 stand Hitler offenbar kurz davor, Papst Pius XII. verschleppen zu lassen. Einem neuen Bericht zufolge wurde der Vatikan gewarnt – Mitarbeiter suchten panisch ein Refugium und fanden eins.

Von Katja Iken

 Katja Iken

Gegen 23 Uhr an jenem beißend kalten Wintertag Anfang 1944 klingelte es an der Tür. Verwundert öffnete Antonio Nogara, der Sohn des Direktors der Vatikanischen Museen: Vor ihm stand der Priester und enge Papst-Mitarbeiter Giovanni Battista Montini; er war einer der beiden Unterstaatssekretäre und der spätere Papst Paul VI. Montini bat Nogara, sofort seinen Vater Bartolomeo zu wecken.

Dick eingepackt zogen die beiden Männer mit einer Feuerwehr-Taschenlampe und großem Schlüsselbund los. Drei Stunden lang eilten der junge Montini und der 76-jährige Nogara quer durch die Vatikan-Gebäude, treppauf, treppab, durch die berühmte Bibliothek und die Museen, vorbei an den schönsten Kunstwerken. Sie suchten ein Versteck für Papst Pius XII, weil sie dessen Entführung befürchteten – und endlich wurden sie fündig.

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Der sogenannte Turm der Winde schien der ideale Unterschlupf: massiv, halb verfallen und verwinkelt, voller Gänge, Zimmer, Treppen. Ein wahres Labyrinth. Wo einst Sterne beobachtet und Windstärken vermessen wurden, würde sich Papst Pius XII. problemlos zwei, drei Tage aufhalten können, ohne entdeckt zu werden. Erschöpft und aufgewühlt kehrte Bartolomeo Nogara mitten in der Nacht zurück.

Von Diplomaten gewarnt

So weit tragen die Erinnerungen seines Sohnes Antonio, aufgeschrieben am 11. März 2013. Ein Jahr, bevor er starb, notierte Nogara, was er in jener Winternacht erlebte. Erst jetzt hat die Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“ (Seite 4) die Notizen veröffentlicht, die ein Cousin in Nogaras Nachlass entdeckte. Sie sind deshalb eine wertvolle Quelle, weil sie belegen, wie konkret die Papst-Entführungspläne der Nazis offenbar waren – aber auch, dass der Vatikan wohl gewarnt worden sein muss.

Dass es solche Pläne gab, ist hinlänglich bekannt. Bereits im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess hatte SS-General und Himmler-Adjutant Karl Friedrich Otto Wolff (1900-1984) Aussagen gemacht und sie 1972 präzisiert, nachdem der Vatikan ihn im Zuge des Verfahrens zur Seligsprechung von Pius XII. dazu aufgefordert hatte. Und 2005 veröffentlichte die italienische Bischofskonferenz Dokumente mit ausführlichen Erklärungen Wolffs.

Demnach ordnete Hitler selbst die Verschleppung des Papstes an. „Ich habe den Befehl, Pius zu entführen, persönlich von Hitler erhalten“, zitierte die römische Tageszeitung „La Repubblica“ Wolff 2005 – zur Strafe dafür, dass die katholische Kirche zahlreiche Juden in Klöstern versteckte und so vor den Nationalsozialisten rettete. Der Papst sollte zunächst in einem baden-württembergischen Schloss inhaftiert werden, aber auch die physische Eliminierung sei vorgesehen gewesen, berichtete die Zeitung.

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„Möge Gott uns beistehen“

Wie das nun veröffentlichte Memorandum Nogaras nahelegt, wurde Papst-Mitarbeiter Montini vor einer unmittelbar bevorstehenden Entführung gewarnt, und zwar von Sir Francis d’Arcy Osborne, britischer Botschafter beim Heiligen Stuhl, sowie von Harold Tittmann, Geschäftsträger der US-amerikanischen Botschaft.

Museen-Direktor Bartolomeo Nogara hatte all diese Informationen seiner Familie am Tag nach der nächtlichen Suchaktion anvertraut, die sich Ende Januar oder Anfang Februar 1944 ereignete. Im Falle einer Entführung, so Nogara, wären die Alliierten eingeschritten, um die Operation mit einer Landung nördlich Roms und unter dem Einsatz von Fallschirmspringern zu verhindern.

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Seine Erzählung habe Bartolomeo Nogara mit den Worten „Möge Gott uns beistehen“ beendet, notierte sein Sohn. Mehrere Wochen lang hätten die Nogaras in Angst gelebt – zumal die Familie damals zahlreichen jüdischen und nicht-jüdischen Flüchtlingen geholfen habe, im Vatikan unterzutauchen. Umso größer die Erleichterung, als Vater Nogara ihnen eines Tages erzählte, dass die Deutschen den Entführungsplan offenbar aufgegeben hatten.

Die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl habe in Berlin die unvermeidlichen negativen Folgen hervorgehoben, die eine solche Verschleppung innerhalb der katholischen Bevölkerung und auch in den neutralen Ländern gehabt hätte, so Nogara. Letztlich sei die „wahnsinnige Aktion aufgrund von Einlassungen deutscher Diplomaten in Rom“ vereitelt worden. Verantwortlich dafür muss also Ernst von Weizsäcker gewesen sein, der Vater des späteren Bundespräsidenten – und damals deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Originalausgabe der Verfassung vom 11. August 1919

Originalausgabe der Verfassung
vom 11. August 1919

 

Originalausgabe der Verfassung                                                                                             vom 11. August 1919

 

„Fehlt nur noch, dass sie uns jetzt den Papst wegnehmen!“

SS-Obergruppenführer Wolff sagte später aus, er habe Hitler ebenfalls vom Entführungsplan abzubringen versucht – weil er Streiks und Empörung in der Bevölkerung befürchtete. Ruhe und Ordnung in Italien könne er nur garantieren, wenn der Führer auf seinen Plan einer Vatikanbesetzung verzichte; hinzu kämen die Rückwirkungen auf Katholiken in Deutschland und in der ganzen Welt. So gab es Wolff 1972 im Seligsprechungsprozess für Pius zu Protokoll.

Die Erinnerungen Antonio Nogaras in der Vatikanzeitung sind auch deshalb aufschlussreich, weil sie Einblick in die extrem gedrückte Stimmung in Rom gewähren. Die deutsche Besatzung währte von September 1943 bis Juni 1944, Nogara beschreibt sie als Zeit der Angst und Ungewissheit.

Ein gängiges Bonmot in der Bevölkerung lautete damals: „Fehlt nur noch, dass sie uns jetzt den Papst wegnehmen!“ Man sei nicht mehr ausgegangen, bei jedem Geräusch zusammengeschreckt, ständig auf der Hut gewesen, so Nogara. Verbreitet gewesen seien damals Wörter wie „sich verstecken“, „fliehen“, „misstrauen“ und „verschwinden“.

Doch ist die Veröffentlichung aus auch einem anderen Grund interessant: Sie könnte in die PR-Strategie des Vatikans passen, den Weltkriegspapst in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu rücken. Die bereits 1965 angestoßene Seligsprechung von Pius XII. kommt nicht voran, sie wird gerade von jüdischer Seite stark kritisiert.

Denn in seiner Amtszeit von 1939 bis 1958 hat Pius XII. die Judenverfolgung der Nazis keineswegs laut und deutlich verurteilt – er ging als „stummer Papst“ und „Papst des Schweigens“ in die Geschichte ein. Der Heilige Vater ließ Hitlers Schergen selbst dann gewähren, als sich die Nazi-Verbrechen direkt vor seiner Haustür abspielten.

„Er wollte verhaftet werden“

Am frühen Morgen des 16. Oktober 1943 umstellten SS-Polizeieinheiten das römische Judenviertel und deportierten dessen Bewohner. Zwar zeigte sich Pius XII. damals entsetzt – gegen die Razzia direkt unter seinen Augen schritt er jedoch nicht ein, sondern hielt still, wie es der katholische Theologe und Buchautor Klaus Kühlwein bei einestages beschrieb. Die Katholische Kirche und der Nationalsozialismus ist sein Forschungsschwerpunkt.

Laut Kühlweins Recherchen hätte der Papst das von Nogara und Montini ausgeguckte Versteck im Turm der Winde niemals aufgesucht. „Pius wollte ausdrücklich im Apostolischen Palast in seiner Wohnung bleiben, falls es zu einem Zugriff kommen sollte. Er wollte verhaftet werden und nicht sich verstecken oder fliehen“, sagt Kühlwein und belegt seine Einschätzung durch ein Gespräch zwischen Pius XII. und dem späteren Politiker Giulio Andreotti Mitte Dezember 1943. Den Dokumenten zufolge sagte der Papst: „Wenn sie mich ins Gefängnis stecken wollen, wissen sie, wo sie mich finden, genau auf meinem Posten.“

Für den Fall seiner Verhaftung hatte der Papst laut Kühlwein eine Rücktrittserklärung verfasst – er sollte als „Kardinal“ in die Hände der Deutschen fallen und nicht als Papst; das belegten neben einer Aussage von Schwester Pascalina, seiner engsten Vertrauten im Päpstlichen Haushalt, auch Unterlagen der Kirche im Seligsprechungsprozess.

In Montinis und Nogaras Suche nach einem geeigneten Versteck sieht Kühlwein eine private Eigenwilligkeit, die ohne Absprache erfolgt sein müsse: „Pius hätte das bestimmt missbilligt.“ Dass ein alliiertes Einsatzkommando kommen sollte, um die Papst-Entführung zu verhindern, hält er für absolut unrealistisch – die Kriegslage bis zur Befreiung Anfang Juni 1944 hätte das niemals zugelassen.

Zum Weiterlesen:

Klaus Kühlwein: „Die Liste Dannecker. Als der Holocaust zu Pius XII. kam“. epubli-Verlag, Berlin 2014, 280 Seiten.


Quelle: Spiegel-online vom 07.07.2016

 

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Ulrike
Ulrike
7 Jahre zuvor

Wen interessieren diese alten Kamellen noch ?