Diebstahl erlaubt? Supermärkte dementieren Gerüchte

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Haben Asylbewerber in Einkaufsmärkten der Region die Lizenz zum Stehlen? Die Handelsunternehmen verneinen. Dennoch ist nicht alles eitel Sonnenschein.

Von Torsten Kohlschein
erschienen am 22.10.2015

Zwickau. Mal spielt sich die Geschichte im Kaufland an der Äußeren Dresdner Straße ab, mal im Globus-Markt im Glück-Auf-Center. Doch der Inhalt der Story, die seit Wochen über soziale Netzwerke verbreitet wird, ist immer derselbe: Von Asylbewerbern in Zwickau verübte Ladendiebstähle würden auf Geheiß der Marktleitung nicht mehr angezeigt, wenn der entstandene Schaden unter 50 Euro liege. Vermeintlicher Grund: Man wolle keine Unruhe in der Bevölkerung schüren. Auch gelte für die Markt-Mitarbeiter ein Maulkorb-Erlass, über solcherlei Vorfälle zu sprechen.

Was steckt hinter diesen Behauptungen? Ist etwas dran? Nein, sagen die betroffenen Unternehmen. Es handele sich lediglich um Gerüchte. „Das ist im Moment der Klassiker bei uns“, stellt etwa Andrea Kübler fest. Der Kaufland-Pressesprecherin aus der Neckarsulmer Zentrale des Handelsriesen zufolge gehen Anfragen nach dem Wahrheitsgehalt solcher Behauptungen zurzeit nahezu täglich aus ganz Deutschland ein. Trotz Dementis halte sich das Gerücht vom sanktionierten Klauen hartnäckig. „Das ist Quatsch. Jeder Diebstahl, wer auch immer ihn verübt, wird von uns angezeigt. Aber wir sind froh über jede Gelegenheit, Klarheit in dieser Hinsicht zu schaffen.“

Für Birgit Pretzel, Leiterin der Zwickauer Globus-Filiale, stellen sich die Verdächtigungen, denen sich ihre Einrichtung ausgesetzt sieht, ebenfalls als Belastung dar – im Gegensatz zu den Flüchtlingen: „Für uns ist es selbstverständlich, Menschen aus aller Welt willkommen zu heißen“, sagte sie. Es stimme, dass gegenwärtig bei Globus einige Flüchtlinge einkaufen oder sich hin und wieder in der Einkaufspassage aufhalten. Das sei aber kein Problem: „Wir alle empfinden diese Begegnungen als bereichernd und in keinster Weise störend. In unserem Markt ist es weder zu Übergriffen noch zu Diebstählen durch Flüchtlinge gekommen. Auch weisen wir Behauptungen von uns, dass Mitarbeiter zu einem Stillschweigen über etwaige Vorfälle verpflichtet seien.“

Verkäuferinnen in der Zwickauer Innenstadt bestätigen die Aussagen der Pressesprecher: „Es gibt kein Verbot, über so etwas zu reden“, sagte etwa eine Mitarbeiterin der Drogerie „dm“. Differenzierter stellte sich das Bild bei der Drogerie Müller dar: „Die Diebstähle durch Ausländer haben durchaus zugenommen“, so eine Angestellte. Einen 50-Euro-Freibrief gebe es aber nicht. „Niemand darf etwas stehlen. Da werden alle gleich behandelt.“ Zum angeblichen Maulkorb-Erlass sagte eine andere Mitarbeiterin: „Man darf nicht alles glauben, was im Internet steht.“

Genau dort zeigt sich indes das so Kuriose wie Perfide an Verschwörungstheorien: Nur wer sie im Web unterstützt, ist glaubwürdig für die, die Gerüchte verbreiten. Wer daran zweifelt, gilt als Teil der Verschwörung. (mit vim, nd)

„Die sozialen Netzwerke werden zur Pflegestätte von Mutmaßungen und Verdächtigungen“

Rolf Wilhelm Brednich (80), Volkskundler, hat mehrere Bestseller über Sagen und Alltagsmythen verfasst. Torsten Kohlschein sprach mit ihm.

Freie Presse: Herr Brednich, kommen Ihnen die Gerüchte, die zurzeit im Internet über Asylbewerber kursieren, bekannt vor?

Rolf Wilhelm Brednich: Durchaus. Darin zeichnet sich die Struktur der modernen Sage ab. Die sozialen Netzwerke haben heute weitgehend die zu deren Verbreitung gebräuchliche mündliche Kommunikation ersetzt und werden zur Pflegestätte von Mutmaßungen und Verdächtigungen.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Fall, wo Asylbewerber bei Rewe beim Klauen erwischt und laufen gelassen werden und das Landratsamt die Rechnung übernimmt. Würde ich ein weiteres Buch wie „Die Spinne in der Yuccapalme“ oder „Die Maus im Jumbo Jet“ machen, nähme ich diese Geschichte auf. Das erfüllt die Bedingungen einer modernen Sage – weil eine unerwartete Pointe hinzukommt.

Welche Funktionen erfüllen moderne Sagen?

Darin finden sich Dinge wieder, die man traditionell Fremden zuschreibt. Dort, wo die einem in großer Zahl begegnen, entsteht Xenophobie (Furcht vor Fremden) eher, als wenn man einem Einzelnen begegnet. Dann entstehen fremdenfeindliche Gerüchte, die sich irgendwann zu Erzählungen von bestimmten Taten verdichten, die sich hartnäckig halten, und das über Jahre.
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Quelle: Freie Presse vom 22.10.2015

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