Tag der Muttersprache – LEBEN – Dialekt macht klug und selbstbewusst


„Bleibt’s hocka!“ – Das heißt bestimmt nicht Sitzenbleiben: Chams Gymnasiasten lernen, dass Mundart überhaupt nicht dumm ist.

Von Ernst Fischer
21. Februar 2016
07:30 Uhr

Die Deutschlehrerin Antonia Wänninger-Gierl (re. hinten) mit Schülern ihres W-Seminars zum Thema: „Der Dialekt in Bayern und darüber hinaus“ Foto: Fischer
CHAM.„Bleibt’s hocka!“ Darf das eine Lehrerin am Gymnasium zu ihren Schülern sagen? Eine Deutschlehrerin auch noch?? Antonia Wänninger-Gierl darf das! Und sie will das – grad extra: „Weil ich selbst dialektaffin bin!“ Womit erstmal klar ist: Diese Frau kann „Code-Switchen“. So sagt man heute dazu. Wechseln zwischen den Sprachen, das ist Können. Auch wenn Dialekt dabei ist. Dialekt ist die Ursprache des Menschen – die Muttersprache.

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Es ist wieder modern, bairisch zu sprechen – und zu schreiben! Und bairisch bitte ohne y und e. Schauen Sie nur mal jungen Leuten beim Whatsappen zu! „Sers“, „hawedere“, das kann man zur Not auch der Facebook-Freundin aus Mönchengladbach posten. Und aus Hamburg plingt dann ein „moin, moin“ zurück.

50 wollten ins Dialekt-Seminar

Das aber ist es nicht unbedingt, warum Antonia Wänninger-Gierl gern „bleibt‘s hocka!“, „kemmt’s“ oder „basst scho!“ zu ihren Schülern sagt. Die Lehrerin für Deutsch und Englisch am Chamer Robert-Schuman-Gymnasium hat für eine Premiere an ihrer Schule gesorgt: Diese Frau hat unsere bairische Mundart zum Unterrichtsfach gemacht. Gerade haben ihre Q-12-Schüler ein sogenanntes W-Seminar abgeschlossen. Obertitel: „Der Dialekt in Baiern und darüber hinaus.“

Wir haben das Unterrichtsprojekt am RSG schon einmal vorgestellt, als es zu Schuljahresbeginn 2014 gestartet ist. Und jetzt ist gerade ein Anlass, um nachzuschauen, was daraus geworden ist: Am 21. Februar, also an diesem Sonntag, ist „Tag der Muttersprache“. Die Unesco will so darauf aufmerksam machen, dass weltweit 2400 regionale Dialekte vom Aussterben bedroht sind, in Deutschland 13 – unter anderen auch Bairisch.

 

Antonia Wänninger-Gierl kennt aus eigenem Erleben, warum das so ist. „Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als der Dialekt eher ausgeklammert wurde“, sagt sie. Die „Waldlerin“ aus Konzell, die später in Straubing „in der Stadt“ zur Schule ging, die hat sich da oft „ungeliebt“ gefühlt. Weil sie „die einzige aus dem Wald“ war und „anders g‘schmatzt“ hat. Die gleichaltrigen „Stoderer“ in Straubing haben sich eher ans Münchnerische gehalten – Weltstadt im Gäuboden und so. Und die Lehrer am Gymnasium haben’s damals auch nicht gern gehört, wenn die Antonia g’waldlert hat.

„Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als der Dialekt eher ausgeklammert wurde.“

Antonia Wänninger-Gierl

Wie sich die Zeiten ändern


Deutschlehrerin Antonia Wänninger-Gierl hat unseren bairischen Dialekt zum Seminarthema gemacht.
Foto: Archiv
Sie hat‘s trotzdem nicht lassen können. Beim Studium in Regensburg hat sie mit Professor Zehetner einen Mentor gefunden, der sie darin nur bestärkt hat. Und als Referendarin im tieffränkischen Ebermannstadt hat sie ihre sprachliche Heimat im Bayerwald auch nicht verleugnet. Reaktion der Schüler: „Zum Abschied haben sie mir ein Gedicht auf bairisch geschrieben.“ Die Zeiten ändern sich. Als im September 2014 das Dialekt-Projekt am Chamer Schuman-Gymnasium startet, melden sich 50 Schüler dafür an – das meistgefragte W-Seminar. 15 von ihren werden ausgewählt und dürfen teilnehmen.

 

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Jetzt sitzen wir mit Fünfen beisammen. Was ist rausgekommen. Klar. Da ging’s auch um Noten. Alles gut, sagt die Lehrerin: Der Schnitt lag bei 2,0.

Sie sind wieder stolz auf sich

Und was haben die Schüler gelernt? Linda zum Beispiel aus der Waldmünchner Gegend hat auf einmal „ned“ gesagt, als sie nach Cham ins Gymnasium kam. „Und jetzt sage ich wieder niad!“ So wie man halt „nicht“ sagt, wenn man in Waldmünchen lebt. Für Linda hat es das Seminar gebracht: „Ich stehe wieder dazu!“

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Lukas aus Hirschhöf „an da Grenz’ vo Woldmicha“ war „immer schon stolz drauf“. Wegen seines Dialekts ist auch er oft „veräppelt“ worden. „Aber das hat mich gerade angespornt, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“

Theresa aus Cham: „Mir wird oft gesagt, dass ich fast keinen Dialekt spreche.“ Dabei redet sie gern chamerisch, „weil man Freunde hat, die auch so reden.“ Und später, als wir nach einem Dialekt-Lieblingswort in die Runde fragen, da fällt Theresa auch nach langem Nachdenken keins ein. Aber der Lehrerin: „Du sagst gern basst scho!“ Theresa lächelt: Jetzt, wo Sie‘s sagen…“ Da fällt auch Linda ein Lieblingswort ein: „A geh!“

Felix aus einer Chamer Umlandgemeinde hat gelernt: Es geht auch mit Dialekt, nicht nur mit der Amtssprache.“ Und Vanessa aus Pemfling: Wenn man was im Dialekt sagt, da steht man dahinter.“

„Das Selbstvertrauen bei den Schülern ist stärker geworden.“ Das glaubt Antonia Wänninger-Gierl zu spüren. Das Vertrauen in die Wurzeln, da wo man herkommt! Vanessa hat sich bei ihrer Seminararbeit in Kindergärten umgeschaut. Ein Ergebnis: In Waldmünchen spricht noch die Hälfte aller Kinder den heimischen Dialekt, in Cham nur mehr knapp zehn Prozent. Theresa hat sich die „Dialekttiefe“ in der TV-Dailysoap „Dahoam is dahoam“ angeschaut. Erkenntnis: „Seit Beginn der Serie hat sich der Dialekt verschlechtert.“

„Das Selbstvertrauen bei den Schülern ist stärker geworden.“

Antonia Wänninger-Gierl

Warum sagen wir „Trottoir“?

Felix hat sich die „Gallizismen“ im bairischen Dialekt vorgenommen. Die Franzosen sind schuld, dass wir heute noch Trottoir, Kanapee oder bressieren sagen. Weil Napoleon auch einmal über uns Bayern geherrscht hat? Nein, weiß Felix: Weil die besseren Gesellschaft bei uns gern die Herrschaften des französischen Absolutismus nachgeahmt hat. Das ist übrigens durchaus vergleichbar mit den heutigen Anglizismen: Warum heißt der Schlussverkauf heute Sale oder ein Treffen, zu dem Politiker einladen „Get together“? Felix hat aus seiner Seminararbeit gelernt: „Wer gerade Einfluss hat, von dem übernehmen wir auch die Worte.“

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Sprechen Jugendliche gerne Dialekt?

Wie stehst du zu deinem Dialekt? Sprichst du ihn? Warum magst du ihn oder warum nicht? Diese Fragen hat Julia Hauser Schülern aus Cham und Umgebung gestellt und darauf folgende Antworten erhalten.


Lena Obermeier (15)
Foto: Julia Hauser
Lena Obermeier (15): „Ich mag unseren Dialekt, weil er einfach zu uns Bayern gehört. Ich finde, dass man ihn auch in der Schule sprechen sollte. Ich rede immer bayrisch, egal wo ich bin. Normalerweise versteht mich auch jeder. Wenn mich jemand nicht versteht, muss ich mich mäßigen.“


Rebekka Wanninger (15)
Foto: Julia Hauser
Rebekka Wanninger (15): „Ich finde, unser Dialekt ist das, was uns Bayern ausmacht. Man sollte ihn benutzen und nicht verstecken. Ich rede normalerweise immer bayrisch, außer jemand versteht mich nicht. Auch in der Schule spreche ich Dialekt. Nur, wenn es bestimmte Regeln gibt, dann nicht.“


Leo Schächtl (16)
Foto: Julia Hauser
Leo Schächtl (16): Mit Leuten, die mir sympathisch sind, spreche ich Dialekt. Wenn ich jemanden sieze, bemühe ich mich, hochdeutsch zu sprechen. Ich finde, dass der Dialekt Teil unserer Kultur ist und auch gefördert werden sollte. „…weil wenn a neida houdeitsch red’, is a schmarrn.“

„Das ist bahnbrechend“

Das sagt Sepp Obermeier, Vorsitzender im Bund Bairische Sprache: Es ist bahnbrechend, was der Deutschlehrerin Antonia Wänninger-Gierl mit ihrem Angebot eines Dialekt-W-Seminars gelungen ist. Beim Durchblättern so mancher Seminararbeit kann man nur staunen, was mit fast schon wissenschaftlicher Akribie über einen Zeitraum von einem Jahr zutage gefördert worden ist. Es hat mich sehr gefreut, dass ich bei der Themenfindung und der Vermittlung von kompetenten Sprachwissenschaftlern behilflich sein durfte. Durch die vorwissenschaftliche Beschäftigung mit den bairischen Dialekten werden diese RSG-Abiturienten und Abiturientinnen in ihrem späteren beruflichen Umfeld und als Eltern sprachwissenschaftlich beschlagene und couragierte Botschafter des Bairischen sein und somit nachhaltig einen Beitrag für das Überleben der Dialekte leisten können.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung vom 21.02.2016

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