Terrorgefahr – Deutschland sucht 76 Islamisten mit Haftbefehl

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Von den 800 Islamisten, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, haben sich 60 Prozent radikalisiert. Die Sicherheitsbehörden fahnden nach Dutzenden, die nun in Deutschland abgetaucht sind.

Von Manuel Bewarder, Florian Flade

22. März 2016: Schwer bewaffnete Beamte der Bundespolizei patrouillieren nach den Terroranschlägen von Brüssel mit Maschinenpistole im Kölner Hauptbahnhof

Foto: picture alliance / Geisler-Fotop22. März 2016: Schwer bewaffnete Beamte der Bundespolizei patrouillieren nach den Terroranschlägen von Brüssel mit Maschinenpistole im Kölner Hauptbahnhof

Die Radikalisierung verläuft meist schnell. Etwa 60 Prozent der Personen, die in den vergangenen Jahren aus Deutschland nach Syrien oder in den Nordirak ausgereist sind, haben sich innerhalb eines Jahres radikalisiert. Das ist eines der wichtigen Ergebnisse einer Analyse vom Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz und hessischen Kompetenzzentrum gegen Extremismus, das der Innenministerkonferenz vorgelegt wurde. Von null auf Dschihad, quasi.

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Inzwischen haben die Sicherheitsbehörden mehr als 800 Islamisten gezählt, die sich in die Kriegsregion aufgemacht haben. Für die Erhebung wurden die Lebensläufe von vielen von ihnen ausgewertet: Sie werden im Schnitt jünger. Und ihre Radikalisierung vollzieht sich häufiger im Verborgenen. Etwa ein Drittel soll mittlerweile zurück in Deutschland sein.

Viele von ihnen werden zum islamistisch-terroristischen Kreis gezählt, den die Sicherheitsbehörden auf etwa 1100 Personen beziffern. Kürzlich teilte BKA-Präsident Holger Münch zudem mit, dass seine Behörde derzeit 470 Islamisten als sogenannte Gefährder einstuft – also als Personen, denen jederzeit ein Anschlag zugetraut wird.

Wie schwer es ist, die gefährlichen Islamisten im Auge zu behalten, macht eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen -Bundestagsfraktion deutlich. Aus dem Schreiben, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt, geht hervor, dass 76 Personen aus dem Bereich gewaltbereiter Islamismus mit Haftbefehl gesucht werden.

Insgesamt deutet sich zugleich an, dass die Zahl der Islamisten, die in das mittlerweile heftig umkämpfte Kriegsgebiet zieht, zurückgeht. Im Jahr 2015 sind nach derzeitigem Stand etwa 150 Deutsche beziehungsweise Islamisten aus der Bundesrepublik in das Kampfgebiet gezogen.

Die Sprecherin für innere Sicherheit der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, begrüßte diesen Rückgang. Mihalic warnte jedoch im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“: Der Bund unternehme „außer symbolpolitischen Aktionen nichts, um wirklich Zugriff zu bekommen auf radikalisierte Islamisten“.

Auf Bundesebene fehle jeglicher Ansatz für eine mit den Ländern und zivilgesellschaftlichen Organisationen abgestimmte Präventions- und Deradikalisierungsstrategie, sagte Mihalic. Die Grünen-Fraktion werde sich am Montag mit dem Thema befassen und ein eigenes Thesenpapier vorstellen.

Von den über die Jahre insgesamt etwa 800 Ausgereisten sind nach Hinweisen von deutschen Sicherheitsbehörden etwa 130 ums Leben gekommen. Den Angaben der Regierung zufolge starben 2015 etwa 80 von ihnen. 2014 waren es rund 50 gewesen. Etwa ein Drittel der seit 2012 in die Region gereisten Personen befindet sich wieder in der Bundesrepublik. Etwa 70 der Rückkehrer sollen aktiv an Kämpfen teilgenommen oder eine militärische Ausbildung absolviert haben.

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30 Islamisten mussten Pass oder Ausweis abgeben

Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus mehrere Gesetzesverschärfungen beschlossen. Dazu gehörte, dass gefährlichen Islamisten der Personalausweis entzogen werden sollte. Die Absicht ist, dass Terrorverdächtige an der Aus- und Wiedereinreise gehindert werden, wenn ihnen neben dem Reisepass auch der Personalausweis entzogen wird und stattdessen ein Ersatzdokument überreicht wird.

Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2015 gegenüber Islamisten insgesamt 30 Ausreiseverbote ausgesprochen, in deren Zusammenhang der Reisepass oder der Personalausweis abgegeben werden musste. Genaue Angaben darüber, inwieweit tatsächlich die neue Möglichkeit zum Entzug des Ausweises genutzt wurde, konnte die Regierung allerdings nicht machen. In der Antwort wird hier auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Ziel ist demnach aber, im Rahmen der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern einen Überblick zu erhalten: Künftig soll monatlich festgestellt werden, wie viele Personalausweise oder Pässe eingezogen wurden.

Grünen-Innenexpertin Mihalic macht der Regierung deshalb schwere Vorwürfe: Die Bundesregierung habe weder Zahlen erfasst, noch habe sie in irgendeiner Weise ermittelt, ob die Ausreiseuntersagungen bei mutmaßlichen Dschihadisten gegriffen haben. „Wer so Politik macht, der muss sich die Frage stellen lassen, ob er den Kampf gegen den Terrorismus überhaupt ernst nimmt“, sagte Mihalic.

Die Gründe, warum Islamisten aus der Kriegsregion zurück nach Deutschland kommen, sind übrigens vielfältig. Mancher mag im Kopf haben, hierzulande zuzuschlagen. Bei insgesamt sieben Prozent gehen die Behörden von taktischen Motiven aus. Ihnen geht es zum Beispiel darum, sich zu erholen, eine neue Ausrüstung zu besorgen oder Geld zu sammeln, um den Kampf weiterführen zu können. Elf Prozent der Rückkehrer haben laut Analyse der Sicherheitsbehörde allerdings genug vom Dschihad. Sie seien desillusioniert und frustriert.

Quelle: Welt-online vom 10.04.2016

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