Kroatiens Erfolg über die Türkei: Bloß nicht zu viel nachdenken!

Von Christoph Ruf, Paris

Fußball-EM: Modric-Treffer reicht den Kroaten
DPA

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Kroatien hat nach dem Sieg gegen die Türkei beste Aussichten aufs Weiterkommen. Trotzdem haderte das Team hinterher mit der eigenen Leistung.

Rund um den Pariser Prinzenpark herrschte erhöhte Alarmbereitschaft. Nach den Ereignissen von Marseille sollten beim Spiel zwischen der Türkei und Kroatien verstärkte Sicherheitsvorkehrungen vor allem für eine bessere Fantrennung sorgen. Doch wo die beiden Anhängergruppen aufeinandertrafen – die einen in rot-weißem Karomuster, die anderen in Rot gekleidet – entspannen sich oft freundliche Gespräche unter friedlichen Fußballfans, und das der Einfachheit halber auf Deutsch. Dass viele Fans beider Mannschaften in der Bundesrepublik wohnen, war im äußersten Pariser Westen nicht zu überhören.

Auch Kroatiens Ivan Perisic, der sein Gehalt einst in der Bundesliga in Wolfsburg und Dortmund bezog, hatte nach der Partie halbwegs gute Laune. Wobei er nach dem 1:0-Sieg seiner Mannschaft nur bedingt zufrieden schien. Und wer das Spiel gesehen hatte, konnte das sogar nachvollziehen. „Wir werden uns jetzt gut auf die Begegnung gegen Tschechien vorbereiten und auch dann auf Sieg spielen“, sagte er.

„Manchmal muss man einfach draufhalten“

Perisic haderte damit, dass der Erfolg gegen insgesamt schwache Türken zu niedrig ausgefallen war. Zu deutlich war das fußballerische Übergewicht der Kroaten, zu deutlich vor allem deren Chancenplus. Der Ex-Hamburger Milan Badelj (28. Minute/39.), Darijo Srna (52./ 54.), Marcelo Brozovic (61./67./77.) und eben Perisic mit dem zweiten kroatischen Lattentreffer (72.) fanden nicht den Weg über die Torlinie. Einzig Luka Modric erreichte das Ziel eines Fußballspiels, mit einem kräftigen Aufsetzer gelang dem Champions-League-Gewinner von Real Madrid das Tor des Tages. Was einen Mannschaftskollegen aus Barcelona zu grundsätzlichen Gedanken animierte. „Manchmal ist weniger mehr“, sagte Ivan Rakitic über die gelungene Aktion des Teamkollegen. „Manchmal muss man einfach draufhalten, das ist besser, als zu lange nachzudenken.“

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Kollege Perisic sah das ähnlich. „Wir haben eine gute Mannschaft mit guten Spielern beisammen“, sagte er: „Das bringt uns aber alles nichts, wenn wir es nicht schaffen, das auf den Rasen zu bringen.“ Vedran Corluka lieferte derweil die Bilder, die länger in Erinnerung bleiben dürften. Im ersten Durchgang hatte sich der kroatische Innenverteidiger eine Wunde am Kopf zugezogen, die im zweiten Durchgang immer wieder aufplatzte. Drei Behandlungspausen und Turbanverbände später hatte es der Mann geschafft: Er ging vom Rasen, ohne dass er sich wegen einer solchen Lappalie hatte auswechseln lassen müssen.

Die Türkei? Spielte umständlich und planlos

Vielleicht lag der eigentliche Grund, warum Corluka und seine Mitspieler nicht länger als nötig über das Spiel sprechen wollten, aber auch schlicht an guter Erziehung. Es wäre sonst sicher irgendwann zur Sprache gekommen, dass die Leistung des Gegners erschreckend schwach gewesen war. Nur eine einzige Chance hatten sich die Türken an diesem verregneten Nachmittag erspielt (Ozan Tufan/29.), ihre wenigen Offensivaktionen wirkten umständlich und planlos. Und dass der Mannschaft gegen Ende die Kräfte völlig abhanden kamen, musste selbst Fatih Terim eingestehen: „Ich hätte nicht erwartet, dass wir physisch so abbauen“, sagte der türkische Trainer, der in der Schlussphase den künftigen Dortmunder Emre Mor einwechselte.

 

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Hakan Calhanoglu, der ebenfalls keinen guten Tag erwischt hatte, schien derweil bereits zu ahnen, dass dieses Turnier kein Zuckerschlecken werden könnte: „Das nächste Spiel wird jetzt natürlich schon sehr wichtig. Da müssen wir uns steigern.“

Warum Mor statt ihm im Zentrum spielte – die Position, auf der er selbst „sich wohler fühlt“ -, hatte übrigens nicht nur der Leverkusener nicht so richtig verstanden. „Dortmund hat auf jeden Fall einen guten Spieler verpflichtet. Heute war er im Zentrum, da ist er nicht so gut aufgehoben, wie er es gerne haben will.“

Türkei – Kroatien 0:1 (0:1)
0:1 Modric (42.)Türkei: Volkan – Gönül, Topal, Balta, Caner – Selcuk, Tufan, Calhanoglu, Oguzhan (46. Sen), Arda (65. Burak) – Tosun (70. Mor)
Kroatien: Subasic – Srna, Corluka, Vida, Strinic – Modric, Badelj – Brozovic, Rakitic (89. Schildenfeld), Perisic (86. Kramaric) – Mandzukic (90.+3 Pjaca)

Schiedsrichter: Jonas Eriksson (Schweden) Zuschauer: 43.842 Gelbe Karten: Balta, Tosun, Sen – Strinic

Quelle: Spiegel-online vom 12.06.2016

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