Deutschland – Die Geister, die ich rief: F.A.Z. denkt über deutsche Atomwaffen nach

 

Ein US-amerikanischer Atombombentest auf dem Eniwetok-Atoll; 30. Mai 1956
Ein US-amerikanischer Atombombentest auf dem Eniwetok-Atoll; 30. Mai 1956

Der designierte US-Präsident Donald Trump ist noch nicht im Amt. Er hat noch keine einzige außenpolitische Entscheidung getroffen. Doch diesseits des Atlantiks wird schon postfaktisch über eine neue Weltordnung fantasiert – mit Deutschland als Weltmacht.

Mit Tabus ist es so eine Sache: Einerseits sind sie nötig, damit eine Gemeinschaft funktionieren kann. Sie stabilisieren die Bezugssysteme zwischen Menschen und schützen eine Gesellschaft vor der Selbstzerfleischung. Andererseits können Tabubrecher durchaus eine sinnvolle Funktion innehaben, wenn sie ein hochemotionales gesellschaftliches Thema ansprechen. Sie zeigen der Gesellschaft damit ihre dunklen Seiten auf.

Stockdunkel wird es nun jedoch in einem Beitrag des F.A.Z.-Mitherausgebers Berthold Kohler vom 27. November über die militärischen Herausforderungen der Zukunft. Kohler zeigt sich besorgt. Sehr besorgt. Der neue Außenminister nach Frank-Walter Steinmeier „muss die deutsche Außenpolitik einer Revision unterziehen, insbesondere was deren sicherheitspolitische Aspekte angeht“. Ein schlichtes „Weiter so“ entlang der bekannten Pfade sei nicht möglich, wenn jene Kontinentalverschiebung eintrete, die sich in der Weltpolitik ankündige, so Kohler in seinem Beitrag.

Bis dahin durchaus eine ergebnisoffene Analyse, der man ohne weiteres folgen kann. Doch wer nun mit einem Plädoyer für eine neue Offenheit und Dialogbereitschaft rechnet, wird wenige Zeilen später eines Besseren belehrt. Denn Kohler geht es mitnichten darum, Brücken zu bauen. Noch nicht einmal mehr Atlantikbrücken:

Nun aber wählten sich die Amerikaner auch noch einen Präsidenten, der sich im Wahlkampf gerierte, als hielte er die Pax Americana für eine Pizza mit Mais und Hot Dogs. Seine Ankündigungen und Versprechungen zur Außen- und Sicherheitspolitik zeigten, dass er keinen blassen Schimmer von den Dingen hat, über die er redete. Klar war nur eines: Er will den Rückzug Amerikas aus der Welt befehlen.

Trump hat keinen blassen Schimmer, Kohler hingegen den glasklaren Durchblick. „Die Zeit ist aus dem Leim – Fluch ihr Tücken, Dass ich zur Welt kam, sie zurechtzurücken!“, sagt Hamlet im 1. Akt des berühmten Shakespeareschen Dramas, und das Ende ist bekannt. Und wie Hamlet sieht auch Kohler Geister. Geister aus der Vergangenheit und aus der Zukunft:

Die Ordnung, die nach dem Sieg der liberalen westlichen Demokratie über die sowjetische Despotie in Europa entstanden war, ist schon Erschütterungen ausgesetzt, seit Putin Russland „great again“ machen will. Auch China erwachte bereits vor Jahren aus einem Dämmerschlaf und begann sich daran zu erinnern, dass Drachen große Reviere beanspruchen.

Deutschland und Europa allein zu Haus. Die USA mit Pizza, Hot Dogs und Mais beschäftigt. Die Russen und Chinesen im Anmarsch. Es liest sich wie ein Schauerroman der Sorte „Pulp Fiction“. Zu Deutsch: Schundliteratur. Doch der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Der Spannungsbogen holt mächtig aus, um mit einem Paukenschlag zu enden.

Kohler möchte sich und Deutschland wappnen. Denn es ist keineswegs sicher, dass Trump „auf weise Berater hören werde, dass er sich vom amerikanischen Politiksystem bremsen lasse oder dass die gute Fee ihm nachts politischen Verstand eingebe“, so Kohler. Deswegen kann es nur eine Marschroute geben:

Höhere Ausgaben für die Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien – und das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte.

Zum Glück wirbt die F.A.Z. mit dem Slogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“, was sich auf deren Leser bezieht und nicht auf die Macher. Man kann also hoffen, dass die Leser mit ihren „deutschen Hirnen“ diesem Slogan gerecht werden. Denn hier wird nichts anderes versucht, als einem neuen deutschen Militarismus das Wort zu reden. Nur diesmal mit Atomwaffen.

Hätte man den Comic-Helden „Captain America“, der zwischen 1940 und 2011 im Polarkreis eingefroren war, in Frankfurt wieder aufgetaut statt wie im Film „The First Avenger“ in den USA, und ihm dann den Artikel Kohlers in die Hand gedrückt – er hätte nicht bemerkt, dass er über 70 Jahre eingefroren war. Der neue alte Kalte Krieg nimmt gerade in Deutschland immer groteskere Züge an.

Die Forderung, wieder über Atomwaffen nachzudenken, ist eine wohlkalkulierte Provokation. Sie fällt in eine Zeit, in der von Abrüstung weltweit keine Rede mehr ist. So hat zum Beispiel Barack Obama den Friedensnobelpreis 2009 unter anderem deswegen bekommen, weil er versprochen hatte, eine Abrüstung bei atomaren Waffen einzuleiten. Doch statt abzurüsten, wurden die Waffen nur modernisiert. Zu dem Modernisierungsprogramm gehören auch Lieferungen neuer Sprengköpfe nach Deutschland.

Und das, obwohl eine klare Mehrheit der Deutschen mit Atomwaffen nichts zu tun haben will. Im April ermittelte eine von der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage, dass 93 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, Atomwaffen sollten, ähnlich wie Chemie- und Biowaffen, völkerrechtlich verboten werden.

Auf die Frage, ob die in Deutschland stationierten Atomwaffen abgezogen werden sollten, antworteten 85 Prozent mit einem Ja. Und 88 Prozent sind nicht damit einverstanden, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen modernisiert werden. Im Zusammenhang mit solchen Zahlen kann man den Vorstoß von Kohler durchaus als Testballon verstehen.

Doch Kohler ist nicht der einzige, der mit dem Feuer spielt. Vor wenigen Tagen forderte schon der CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter den Aufbau einer europäischen atomaren Abschreckung. Das Deutschland bei einer neuen Sicherheitsarchitektur eine besondere Rolle zukommt, bestätigte Bundespräsident Gauck in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Auf die Frage, wer künftig die Rolle der Führungsmacht der „freien westlichen Welt“ übernehmen solle, antwortete Gauck:

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Dann wird mehr Verantwortung auf Europa und damit auch Deutschland zukommen. Übrigens: In fast allen Ländern, die ich in den vergangenen Jahren bereist habe, wurde mir der Wunsch nach einer größeren Rolle Deutschlands in der Welt entgegengebracht.

Und deswegen sei es „gut, wenn wir ‚Ja‘ sagen zu dieser Rolle“. Man könnte jetzt erwidern, dass in Umkehrung eines alten AEG-Slogans deutsche Führungsansprüche historisch gesehen „Aus Erfahrung schlecht“ ausgegangen sind. Doch dafür ist es wohl zu spät. Der Geist ist aus der Flasche.

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Geronimo
Geronimo
7 Jahre zuvor

Deutschland hat genug damit zu tun, seine Verhältnisse im Inneren zu regeln. Bisher war fast jeder deutsche Blick nach draußen ein böser Blick, mit Ausnahme der USA.