Angst und Ekstase im neuen Italien

Italien hat eine neue Regierung – und steht vor dem radikalen Wandel. Die populistischen Parteien haben viel Vertrauen zerstört und wiegeln weiter gegen Europa auf. Die Stimmung schwankt zwischen Gottesdienst und Woodstock.

Der Beifall auf der Piazza schwillt an. Eine Politikerin, die auf der Bühne vor den großen Pixeln der Trikolore auf einer Großleinwand Parolen ins Publikum ruft, dreht sich abrupt um. „Luigiiii!“, kreischt sie.#Luigi Di Maio, Chef der #Fünf-Sterne-Bewegung, jetzt auch Vizepremier und Minister, ist angekommen bei der Siegesfeier am Samstagabend.

Eigentlich war die Veranstaltung als Frontalangriff auf Staatspräsident Sergio Mattarella geplant. Doch dann winkte der erste Mann im Staat die Regierung aus populistischer #Lega und Fünf-Sterne-Bewegung Mitte der letzten Woche doch noch zum Regierungspalast durch. Jetzt muss man eben feiern, statt zu wüten.

Luigi Di Maio proklamiert: „Von heute an sind wir der Staat!“ „L’État c’est moi“, schießt es unweigerlich durch den Kopf. Zitiert Di Maio Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV., meint er die Partei, meint er die Bürger? Auch den italoamerikanischen Journalisten Gianni Riotta, früher Chefredakteur der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“, der auch den Kampf gegen die Mafia ins Zentrum seiner Arbeit stellte, treibt der Satz um. Gegen Mitternacht twittert er schließlich: „Wir sind Staat?“ Obwohl der Tweet Di Maios Postulat nur vorsichtig als Frage formuliert, folgt die übliche Pöbelei der Populistenanhänger.

Beim Fußvolk der Fünf-Sterne-Bewegung, das sich vor der Bühne drängelt, scheinen Journalisten ohnehin nicht beliebt. „Wir wissen, wer Sie sind“, sagt eine Ordnerin an der Absperrung zur Bühne, auf die Frage, ob es einen Pressebereich gibt und wie man zu einem der Pressesprecher gelangt. Bei solchen Großveranstaltungen werden Berichterstattern meist bestimmte Zonen zugewiesen. Doch hier sitzen drei Kollegen von Nachrichtenagenturen auf dem Kopfsteinpflaster und schreiben.

„Hier kommen Sie nicht rein“, antwortet die Parteimitarbeiterin, Spott und Verachtung stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wendet sich ab. Man solle bloß nicht versuchen, Privilegien zu erheischen, ruft eine Frau aus dem Publikum. Sind eine Steckdose für den Computer und Stuhl Privilegien? „Ihr Journalisten wolltet unsere Bewegung kleinmachen, jetzt sind wir an der Macht!“, ruft die Frau. Ein Mann pöbelt: „Ihr Deutschen dürft euch keine Kritik herausnehmen!“

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Der amerikanische Fotoreporter Wolfgang Achtner hatte sich einen Platz vor der Bühne gesucht, um seine Bilder zu schießen. Aber dann drängten ihn Ordner von dort ab. Auch andere Journalisten seien angegriffen worden, erzählt er. Einer sei angepöbelt worden: „Haut ab! Ihr Journalisten geht uns auf den Sack!“

Die Menge wirkt vollkommen berauscht. „Wie entrückt“, sagt Achtner. 6000 „Grillini“ – so nennen sich die Anhänger der Bewegung nach ihrem Gründer, dem Komiker Beppe Grillo – jubeln auf der Piazza. Sie fallen in Ekstase, als der Meister spätabends die Bühne betritt und den „Beginn einer neuen Welt“ proklamiert. Auch Grillo scheint high zu sein. Fünf Sterne habe er doch nur zum Scherz gegründet, ruft er irgendwann überdreht aus.

Eine Frau fällt beinahe in Ohnmacht, wird blass von Sanitätern durch die Menge zur Ambulanz getragen. Die Stimmung schwankt zwischen Gottesdienst und Woodstock. Die Menschen schwenken ihre Trikolore-Fahnen noch schneller als zuvor. Am Rande der Piazza steht ein Junge, kerzengerade, hält wie ein Soldat eine riesige Flagge hoch. Der Vater knipst ihn in dieser Pose, die an Bilder aus den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert.

Nur der Tempel des Hercules Victor, des Siegreichen, scheint wie ein alter Weiser vom Tiberufer auf die Piazza zu blicken. Er hat ja in seinen 2138 Lebensjahren schon so einiges an Herrschern erlebt. Auch die Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi, die ebenfalls auf die Bühne tritt. Ihre von Müllproblemen und chaotischem Verkehr geplagten Bürger bittet sie um Geduld.

Anno 2018, in der sogenannten Dritten Republik, wie Vizepremier Di Maio die Zeitenwende in Italiens Nachkriegsgeschichte gerne nennt, betritt die neue Regierung mit viel Theatralik die Bühne. Am Samstagmorgen steht die neue Nomenklatur während der Parade zum Tag der Republik stolz auf den Ehrenplätzen um ihren Gegner der letzten Tage, Staatspräsident Sergio Mattarella. Man applaudiert, während die Luftwaffenformation Frecce Tricolori rot-grün-weiße Rauchstreifen durch den azurblauen Himmel über Rom zieht und zwei Fallschirmspringer mit einer gigantischen Trikolore herunterschweben. Nicht überall landen die neuen Regenten in der Komfortzone.

Rüffel für Innenminister Salvini

Der #Lega-Chef und neue Innenminister Matteo Salvini musste sich laut einem Bericht des „Corriere della Sera“ beim Antritt am neuen Arbeitsplatz einen Rüffel hoher Funktionäre gefallen lassen. Salvini hatte versprochen, mindestens 500.000 illegale Einwanderer schnellstmöglich auszuweisen und sie bis dahin in speziellen Anstalten zu internieren.

Seine neuen Mitarbeiter klärten Salvini auf, dass das total unrealistisch sei. Weder gebe es die notwendigen Rückführungsabkommen mit den meisten Herkunftsländern (nur mit Ägypten, Tunesien, Marokko und Nigeria hat Italien entsprechende Vereinbarungen geschlossen), noch sei es möglich, eine halbe Million Menschen von jetzt auf gleich zu internieren. Flugs machte Salvini die alte Afrikapolitik seiner Vorgänger zu seinem eigenen Projekt: mehr Abkommen, mehr wirtschaftliche Hilfe für die Herkunftsländer. Also so ziemlich das, woran der politische Mainstream in ganz Europa derzeit arbeitet. Am Sonntag sagte Salvini auf Sizilien, die Insel dürfe nicht länger „Europas Flüchtlingslager“ sein.

Zugleich stellte der Vorsitzende der Lega auch klar, dass er jetzt Italien „kommandiere“. Den Bürgermeister der kalabrischen Kleinstadt Riace, der die Integration von Einwanderern seit Jahren zum Programm und zum Motor der lokalen Wirtschaft gemacht hat, bezeichnete der selbst ernannte Kommandeur als „eine Null“. Samstagnacht wurde in derselben Gegend ein 29-jähriger Landarbeiter, ein Einwanderer aus Mali, getötet. Ein Mann schoss ihm mit einer Schrotbüchse in den Kopf, weil der Landarbeiter Metallbleche gestohlen hatte, mit der er sich eine Hütte bauen wollte.

Unterdessen erklärte Salvinis neuer Familienminister und Parteikollege, Lorenzo Fontana, das „Homosexuelle keine Familien“ seien. Solche Äußerungen machen vielen Angst. Auch in der Medienszene. Bei ihrem Sender, der staatlichen Anstalt RAI, habe es immer vergleichsweise viele Schwule gegeben, erzählt die TV-Journalistin Maria Cuffaro. „Die RAI war für sie in unserem katholischen Land von jeher die Möglichkeit, dies einfacher zu leben“, sagt sie.

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Nun fürchten viele Kollegen um ihre Zukunft, denn Lega und Fünf-Sterne-Bewegung dürften nun die Spitze und die Redaktionen mit Personal besetzen, das auf ihre Linie eingeschworen ist. Dies ist in Italien nichts Ungewöhnliches: Regierungen tun dies normalerweise. Es ist auch möglich, dass viele Journalisten ihre politische Überzeugung auffrischen und sich als Populisten outen.

Der Chefredakteur des Wochenmagazins „L’Espresso“, Marco Damilano, hat für die aktuelle Ausgabe den Titel „Das Offshore-Europa, das Salvini gefällt“ gewählt. Es geht darum, dass die Lega in scharfem Kontrast zu ihren vaterländischen Parolen eigene Parteigelder nach Luxemburg verschoben haben soll, um üppige Investitionsgewinne dem heimischen Fiskus zu entziehen. Solche Enthüllungen brauche es jetzt, erklärt Damilano. „Das ist unser Grußwort an die neue Regierung: harte Nachrichten, keine Meinungen.“

Quelle: Welt-online vom 04.06.2018

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