Gewalt in Hamburger Flüchtlingsheim: Prügelei aus nichtigem Anlass

Kopp Verlag


Von Peter Maxwill

Hamburger Flüchtlingsheim Grellkamp: "Die Prügelei war sehr weit zu hören"

SPIEGEL ONLINE

Hamburger Flüchtlingsheim Grellkamp: „Die Prügelei war sehr weit zu hören“


Erst die Besatzung von 34 Polizeiautos konnte die Ausschreitungen stoppen: In einer Hamburger Unterkunft sind fast 80 Flüchtlinge aufeinander losgegangen – offenbar wegen eines Streits bei der Essensausgabe.

Das ehemalige Schulgebäude im Norden Hamburgs ist ähnlich grau wie der Himmel darüber, eine Deutschlandfahne baumelt schlaff über dem Haupteingang. Zwei junge Albanerinnen, 13 und 28 Jahre alt, spazieren aus dem Betonkasten, in dem inzwischen Hunderte Flüchtlinge leben. Mit wilden Gesten diskutieren sie über den Gewaltausbruch vom Wochenende, „gestern Abend ist es wirklich aus dem Ruder gelaufen“, sagt die Jüngere, „die haben auch Frauen und Kinder geschlagen“, behauptet sie.

Massenschlägereien gibt es in Unterkünften für Asylbewerber immer wieder, doch dieses Mal waren die Ausschreitungen heftiger. Ob Frauen und Kinder geschlagen wurden, lässt sich noch nicht sagen – klar ist aber: In der Unterkunft im Stadtteil Langenhorn prügelten Dutzende Menschen aufeinander ein, an zwei Tagen hintereinander.

Beteiligt gewesen seien sie an den Schlägereien nicht, beteuern die beiden in brüchigem Englisch – aber mitbekommen haben sie offenbar viel: „Die erste Schlägerei gab es ja schon am Samstag“, sagt die 13-Jährige. Am Sonntagabend seien dann Dutzende Flüchtlinge aufeinander losgegangen, „alle gegen alle“. Schließlich seien sie in ihre Wohncontainer geflohen, erzählen die Teenager.

Vieles von dem, was danach geschah, ist noch unklar. In jedem Fall war die Gewalt wohl nur noch mit einem massiven Polizeiaufgebot zu stoppen: 34 Einsatzwagen eilten am frühen Abend zur Flüchtlingsunterkunft Grellkamp zwischen Hamburger Flughafen und der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein, mindestens acht Beteiligte wurden verletzt, gegen zwölf Asylbewerber wird nun ermittelt.

Mit Holzknüppeln gegen die Mitbewohner

Von all dem ist am Tag danach in Langenhorn nur wenig zu merken – doch der heftige Gewaltausbruch beschäftigt Bewohner, Nachbarn, Sicherheitskräfte. „Da haben sich unglaublich viele Leute geschlagen“, sagt ein Mitarbeiter des Flüchtlingsheims. „Die Prügelei war sehr weit zu hören“, sagt die Verkäuferin im Backshop gegenüber. „Ein bisschen Angst macht einem das schon“, sagt ein Nachbar an der Bushaltestelle.

In Flüchtlingsheimen sind Bewohner immer wieder aneinandergeraten: mal mit bloßen Fäusten, mal mit Feuerlöschern, mal mit Messern – und tödlichem Ausgang. Kein Wunder, sagen viele: Wenn Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen auf engstem Raum zusammenleben, viele vom Krieg traumatisiert, sind Spannungen programmiert. Die Ausschreitungen in Hamburg zeigen nun: Das Problem ist noch lange nicht gelöst, im Gegenteil.

Auslöser für die Schlägereien war laut Polizei ein Streit zwischen einem Syrer und einem Eritreer, der schon häufiger aggressiv aufgetreten sein soll. „Das war ein nichtiger Anlass in der Warteschlange vor der Kantine“, sagt Susanne Schwendtke vom Heimbetreiber Fördern und Wohnen.

Doch dann weitete sich der Konflikt schnell aus: Der 24-jährige Eritreer habe erst einer Wachfrau seinen Ellbogen ins Gesicht gerammt und dann bei einem herbeigeeilten Kollegen mit der Faust nachgesetzt, sagt ein Polizeisprecher. Demnach geriet die Situation schließlich außer Kontrolle, als die Security-Mitarbeiter den mutmaßlichen Verursacher fassen und in eine andere Einrichtung bringen wollten: Etliche Eritreer gingen nun auf das Wachpersonal los – das plötzlich tatkräftige Unterstützung von syrischen Bewohnern bekam.

Die Sicherheitsleute flüchteten in eines der Gebäude, während auf dem Hof Dutzende Bewohner mit Latten, Ästen und Holzknüppeln aufeinander einschlugen. „Erst als die Polizei ankam, haben sich die Wachleute aus der Deckung getraut“, sagt ein Behördensprecher. Die Polizei, angerückt mit 21 Streifenwagen, beendete schließlich die Prügelei – um tags darauf erneut zum Grellkamp auszurücken: Wieder waren am Sonntagabend vor allem Syrer und Eritreer aneinandergeraten. Diesmal waren laut der Trägereinrichtung Fördern und Wohnen einige der bis zu 80 Beteiligten offenbar betrunken.

„16 Leute in einem Klassenraum“

Polizei, Heimleitung und Vertreter von Fördern und Wohnen berieten am Montag über Sicherheitsmaßnahmen. Möglicherweise sollen Polizisten für eine Weile die Unterkunft sichern oder mehr Sicherheitsleute zum Einsatz kommen. Eine räumliche Trennung nach Ethnien soll es nicht geben. Die Polizei ermittelt nun gegen zwölf Männer unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs; elf von ihnen sind Eritreer, die Staatsangehörigkeit des zwölften ist noch unklar.

Sind also allein die ostafrikanischen Flüchtlinge für die Ausschreitungen verantwortlich? Drei junge Eritreer, die am Montagmittag durch das Viertel ziehen und eilig versichern, bei den Prügeleien nicht dabei gewesen zu sein, sehen die Schuld nicht zuallererst bei den Flüchtlingen: In der Unterkunft sei es kalt und eng, sagt einer. „Da leben 16 Leute in einem Klassenraum“ – deshalb gebe es auch immer wieder Stress.

Der Heimbetreiber Fördern und Wohnen, der sich seit Monaten wegen überfüllter Flüchtlingsheime und Gewaltausbrüchen rechtfertigen muss, sieht das anders: „Im Vergleich zu vielen anderen Einrichtungen ist der Grellkamp bei Flüchtlingen ziemlich beliebt“, sagt Sprecherin Schwendtke. In den Containern, die auf dem Schulgelände stehen, lebten jeweils lediglich vier Asylbewerber. Insgesamt seien auf dem Schulgelände am Wochenende mehr als 600 Bewohner einquartiert gewesen.
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Ähnlich sehen es die beiden jungen Albanerinnen. „Ich habe auf meiner Flucht mit Millionen Menschen zusammen auf engstem Raum gelebt und wirklich schlimme Zustände erlebt“, sagt die 13-Jährige, „dagegen ist das hier das Paradies.“ Ihre 28 Jahre alte Begleiterin ergänzt: „Es gibt Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf – alles perfekt.“ Wirklich glücklich seien sie aber trotzdem nicht. „Nach diesen Schlägereien haben wir jetzt natürlich Angst“, sagt die Jüngere der beiden. „Aber was können wir schon tun?“

Quelle: Spiegel-online vom 15.12.2015

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