Fachkräftemangel Zu wenige Zuwanderer ziehen in die deutsche Provinz

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Auf dem Land wird sich der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren verschärfen. Das Problem: Flüchtlinge in Deutschland sind falsch verteilt. Eine neue Studie zeigt Reformmöglichkeiten auf.

Von Martin Greive

Ein Flüchtling aus Eritrea während seiner Ausbildung zum Bäcker

Foto: dpaEin Flüchtling aus Eritrea während seiner Ausbildung zum Bäcker

Wer als EU-Einwanderer nach Deutschland kommt, den zieht es in die hippen Millionenmetropolen: Hamburg, München und natürlich Berlin. Wer als Flüchtling in die Bundesrepublik kommt und bleiben darf, den zieht es dorthin, wo schon viele Landsleute leben: ins Ruhrgebiet etwa.

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In ländliche Regionen wie die Uckermark ziehen dagegen nur wenige der rund zwei Millionen Zuwanderer, die 2015 nach Deutschland kamen. Und genau das könnte schon bald zu einem Problem werden, warnt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) in der Studie „Regionale Fachkräftesicherung durch Zuwanderung“, die der „Welt“ vorliegt.

Denn wegen der demografischen Entwicklung wird es der Studie zufolge in ländlichen Regionen schon bald zu einem Fachkräftemangel kommen. Dieser kann über Zuwanderung so halbwegs gedeckt werden – allerdings nur, wenn Migranten nicht völlig ungleich über die Republik verteilt werden.

Das IW fordert deshalb eine Reform des Zuwanderungsrechts. „Die regionalen Unterschiede müssen beim Zuwanderungsrecht stärker berücksichtigt werden“, sagt Studienautor Wido Geis. So sollten Gehaltsgrenzen im Einwanderungsrecht regional ausgestaltet werden. Und ländliche Regionen müssten stärker um Einwanderer buhlen.

Um München herum herrscht faktisch Vollbeschäftigung

Derzeit ist der Fachkräftemangel noch kein akutes Problem auf dem Land. So besteht der Studie zufolge zwar vor allem im Süden der Republik wie dem Großraum München ein großer Arbeitskräftebedarf. Dort herrscht faktisch Vollbeschäftigung, und deshalb werden dort besonders viele Fachkräfte aus dem Ausland gebraucht.

Im Osten und im Ruhrgebiet ist die Arbeitslosigkeit dagegen noch verhältnismäßig hoch, „sodass Fachkräftebedarfe größtenteils auch ohne Zuwanderung gedeckt werden können“, heißt es in der Analyse. Während etwa im bayerischen Landkreis Donauries im Dezember 2014 gerade mal 1,4 Arbeitslose auf eine offene Stelle kamen, waren es in der brandenburgischen Uckermark 22,5 Personen.

„Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt sowohl in Deutschland als auch in den einzelnen Regionen in den nächsten Jahren spürbar verändern wird, da die Arbeitskräftebasis aufgrund des demografischen Wandels deutlich kleiner wird“, schreibt Studienautor Geis.

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So sind anders als in Großstädten in vielen Landkreisen die Belegschaften der Unternehmen alt. Im thüringischen Suhl sind etwa 26 Prozent aller Beschäftigten älter als 55 Jahre. In vielen anderen ostdeutschen Kreisen ist das Bild ähnlich: So haben auch im Spree-Neiße-Kreis, in Frankfurt (Oder) oder im thüringischen Greiz 23 Prozent aller Arbeitnehmer ihr 55. Lebensjahr überschritten.

Ostdeutsche Länder ziehen kaum Einwanderer an

Wenn die Arbeitnehmer dort in ein paar Jahren in Rente gehen, reißen sie große Lücken in ihren Belegschaften. „Insgesamt verteilen sich damit die längerfristigen Bedarfe an Fachkräften aus dem Ausland regional sehr viel gleichmäßiger, als die aktuelle Lage vermuten ließe“, heißt es in der Studie. „Insbesondere werden auch die ländlichen Gebiete in Ostdeutschland in Zukunft stark auf Zuwanderung angewiesen sein.“

Nur leben gerade in Ostdeutschland kaum Migranten, weder Flüchtlinge noch EU-Einwanderer zieht es dorthin. Während in Bremen (28,7 Prozent), Hamburg (28,2) oder Hessen (27,6) Prozent aller Einwohner einen Migrationshintergrund haben, sind es in Mecklenburg-Vorpommern nur 4,3 Prozent. In den anderen ostdeutschen Ländern mit Ausnahme Berlins ist der Anteil kaum höher.

Auch haben die ostdeutschen Länder im Jahr 2013 mit netto weniger als drei Zuwanderern je 1000 Einwohner viel weniger Migranten gewinnen können als etwa Bremen (7,29) oder Berlin (9,88). Während Städte im Westen mit Flüchtlings-Erstaufnahmelagern wie Fürth, Trier oder Karlsruhe eine starke Zuwanderung hatten, wanderten in sieben Kreisen mehr Personen je 1000 Einwohner ab als zu. Darunter waren wieder vier ostdeutsche Regionen, aber auch Wilhelmshaven sowie die bayerischen Kreise Waldnaab und Lichtenfels.

Engpassberufe regional differenzieren

Laut IW-Studie ergibt sich insgesamt ein klares Bild: Die meiste Zuwanderung gibt es dort, wo Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende sind, an der West- und Südgrenze Deutschlands, insbesondere nahe zu Luxemburg und zur Schweiz, sowie in den Großräumen München, Rhein-Neckar und Rhein-Main. Und EU-Zuwanderer zieht es besonders stark nach Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Im Osten, aber auch in den ländlichen Regionen Niedersachsens wollen dagegen nur wenige Migranten leben.

„Ein Vergleich nach Kreisen deutet darauf hin, dass ein Teil der Zuwanderer nicht in die Regionen zieht, wo sie langfristig besonders gebraucht werden“, heißt es in der Studie. Aus Sicht der Migranten ist das verständlich. Wer zieht schon heute in eine Region, in der er erst in ein paar Jahren auf dem Arbeitsmarkt glänzende Aussichten hat?

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Die Gefahr ist allerdings, dass die Ungleichverteilung der Migranten sich dauerhaft festsetzt. Denn wer sich in einer Stadt erst einmal eingewöhnt und Freunde gefunden hat, zieht ungern aufs Land, wo er niemanden kennt und wo es kaum Landsleute aus der Heimat gibt.

IW-Forscher Geis fordert deshalb eine Reform des Einwanderungsrechts. So dürften nicht länger bundesweit die gleichen Gehaltsgrenzen gelten, damit Einwanderer in Deutschland arbeiten dürfen. Ebenso müssten die sogenannten Engpassberufe nicht mehr einheitlich, sondern regional differenziert definiert werden. Migranten mit einer Berufsausbildung in solchen Engpassberufen können recht problemlos nach Deutschland einwandern und hier arbeiten.

Die Politik müsse zudem ausländische Fachkräfte gezielter in Regionen lenken, die vom demografischen Wandel betroffen sind, fordert Geis. Aber auch ländliche Regionen selbst müssten mehr tun, um Zuwanderer anzulocken. „Partnerschaften deutscher Städte und Regionen mit demografiestarken Gegenden in Südasien könnten unsere ländlichen Gebiete bekannter machen.“

Quelle: Welt-online vom 29.03.2016

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