Beerdigung von Margot Honecker: „Meine Oma war eine starke Frau“

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Von Matthias Lauerer, Santiago de Chile

Santiago de Chile: Die Beerdigung von Margot Honecker
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Margot Honecker starb im Alter von 89 Jahren in Santiago de Chile. Die Beerdigung fand nun im engsten Familienkreis auf dem Friedhof „Parque del Recuerdo“ statt. Sie endete mit vertrauten Tönen.


Nein, wo Frau Honecker heute beerdigt wird, weiß Juan leider nicht. Er überlegt. Honecker. Wer war das doch gleich noch? Nach einer kurzen Erklärung geht er zu seinem Kollegen Christobal und fragt ihn. Der schaut auf eine lange Papierliste. Dort sind alle Beerdigungen und Einäscherungen säuberlich notiert, die heute auf dem riesigen Areal des „Cementerio Parque del Recuerdo“ stattfinden.

Der parkähnliche Friedhof liegt gut 20 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile entfernt. Auf der Webseite wirbt man damit, einer der besten Arbeitgeber in Chile zu sein. Christobals Finger gleiten jetzt langsam nach unten. Da steht es: 10 Uhr, Honecker, Margot. „Das ist im Krematorium“, sagt er und weist hinüber zum weißen Kiesweg, auf dem – trotz der Witterung – viele Menschen unterwegs sind. Es ist grau und trübe und nieselt bei etwa zehn Grad, gelbrote Blätter wehen umher. Der südamerikanische Herbst hat begonnen.


Pappherzen auf dem Friedhof "Parque del Recuerdo"

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Pappherzen auf dem Friedhof „Parque del Recuerdo“

Heute, vor dem Muttertag, schmücken viele Chilenen die Gräber ihrer Verstorbenen. Neben manchen Gräbern stehen Klappstühle, Familienmitglieder sitzen dort beisammen und reden mit – und über die Toten. An einer Eiche klebt ein rotes Pappherz. Darauf steht mit weißer Schrift: „Mama hat mich gelehrt, für meine Träume zu kämpfen.“

„Funeral de Doña Margot Honecker

Auf dem kleinen Parkplatz am Krematorium steht nur eine handvoll Menschen, die meisten davon sind Reporter. Man hört sie sagen: „Du bist auch wegen Margot hier?“ Der Tod von Frau Honecker hat sich herumgesprochen. Die 89-Jährige starb am Freitag um 7 Uhr in ihrer Wohnung an Krebs. An jener Krankheit litt auch ihr ehemaliger Mann und ehemalige DDR-Staatschefs Erich Honecker, der bereits vor 22 Jahren starb. Die ehemalige Diktatorengattin war in ihren letzten Stunden nicht alleine. Ihre Tochter, eine Freundin und eine Krankenschwester waren wohl bei ihr.


Unter den Trauergästen ist heute auch Roberto Yáñez Betancourt- Honecker, ein Enkel der Verstorbenen. Roberto wurde 1974 in Berlin geboren. Seine Mutter Sonja ist die Tochter von Margot und Erich Honecker, sein Vater der Chilene Leo Yañez Betancourt. 1990 reiste man überstürzt nach Chile aus, danach verläuft Robertos Lebensweg im Zickzack. Er lebt inzwischen in der Wüste San Pedro de Atacama und arbeitet heute als Maler.

„Meine Oma war eine starke Frau“, sagt er und zieht an seiner dritten Zigarette. Sein gewaltiger Oberkörper steckt in einer blauen Allwetterjacke, die Nike-Turnschuhe sind ebenfalls blau und an einer Seite aufgerissen. Jetzt deutet Roberto auf einen silbrigen Mercedes, der auf den Hof biegt. Zwei Männer steigen aus und öffnen langsam die Heckklappe. Ein hellbrauner Sarg kommt zum Vorschein, darauf steht ein weißes Blumengesteck.

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Nur wenige Schritte davon entfernt steht es auf einem weißen Zettel mit schwarzer Inschrift: „Funeral de Doña Margot Honecker“. Weitere Hinweise auf die Beerdigung gibt es nicht. Selbst der Blumenhändler, bei dem es die gekürzte, rote Rose für umgerechnet etwa 1,30 Euro gibt, weiß nicht, wer heute hier beerdigt wird. Er hat den Namen noch nie gehört.

Keine Spur von Reue

Zuletzt hatte man die langjährige, ehemalige DDR-Ministerin immer seltener auf der Straße gesehen. Sie lebte zurückgezogen im Stadtteil „Las Condes“. Hier wohnen die Reichen der Metropole. Dort ging sie mit ihrer Tochter Sonja oft im Supermarkt „Jumbo“ einkaufen, der an der Straßenecke „Padre Hurtado“ und „Bilbao“ liegt. Die Hochbetagte schob mit der Tochter den Einkaufswagen an den Regalen entlang, auch auf der Hut vor überraschender Ansprache. Denn: Die ehemalige mächtigste Frau der Deutschen Demokratischen Republik und ihr Mann leugneten bis zuletzt jedes DDR-Unrecht.

2012 interviewte Eric Friedler sie. Er erinnert sich: „Margot Honecker hat keine Reue gezeigt, keine Einsicht, sie hat kein Wort des Bedauerns geäußert.“ Fiedler leitet beim NDR die Abteilung Sonderprojekte für Dokumentarfilm und Dokudrama. In einem anderen TV-Beitrag sagt Honecker auf die Frage, weshalb sie sich nicht mehr zum Thema äußern wolle, Schuld daran sei „die ständige Hetze der deutschen Medien, die über die Bürger der DDR gestreut werden.“ Und weiter: „Der Sozialismus kommt wieder.“

Gesang zum Abschied

Um 9.50 Uhr setzt sich die kleine Trauergemeinde in Bewegung. Ziel ist das flache weiße Gebäude, in dem der Sarg von Honecker heute eingeäschert wird. Mittlerweile ist die Zahl der Trauernden gewachsen, gut 80 Menschen drängeln sich in den Raum. Die Presse bleibt draußen.

Nach gut 45 Minuten hört man gewaltigen Gesang, der aus dem Krematorium schallt. Es ist ein Kampflied der Sozialisten, das Freunde, Verwandte und Genossen anstimmen. Als das Tönen nach wenigen Minuten endet, öffnen sich die Türen. Was sofort auffällt: Tränen zeichnen sich auf den Besucherwangen nur selten ab. Es scheint fast so, als hätte die Trauergemeinde ihren Frieden mit dem Tod von Margot Honecker gemacht.

Quelle: Spiegel-online vom 07.05.2016

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