Einwanderung „Situation im Dresdner Flüchtlingscamp ähnelt Kriegsverhältnissen“

 

Als grauenhaft beschreiben Helfer die Zustände im Dresdner Flüchtlingslager. Die Container seien überhitzt, das Verbandsmaterial abgelaufen. Weil es viel zu wenige Toiletten gebe, breiteten sich Fieber und Krätze aus.

07.08.2015, von Stefan Locke, Dresden

© dpa Verstöße gegen die Kinderrechtskonvention: Flüchtlinge im Dresdner Camp

Seit vor zwei Wochen eine Zeltstadt für 1100 Asylbewerber in Dresden errichtet wurde, ist die für die Unterbringung zuständige Landesdirektion vor allem mit Abschottung beschäftigt. Nicht nur, dass die Presse keinen Zugang zum Lager bekommt, auch ehrenamtliche Helfer sind lediglich erwünscht, sofern sie keinerlei Kritik üben. Andernfalls werden sie schon mal vom Präsidenten der Landesdirektion, Dietrich Gökelmann, persönlich aus dem Camp geworfen. So ging es diese Woche Eric Hattke, einem Studenten und Sprecher des Bündnisses „Dresden für alle“, das in den ersten vier Tagen des Camps Kleider- und Geldspenden organisierte sowie eine Vielzahl an freiwilligen Helfern, Ärzten und Dolmetschern koordinierte.

Hattke hatte auf die problematische Hygiene sowie die fatale Situation der knapp 200 Kinder in der Zeltstadt verwiesen. Seinen Rauswurf bewertet er als eine „sehr spezielle Würdigung ehrenamtlichen Engagements“. Die Behörde, die dem Innenministerium untersteht, sei mit der Situation vollkommen überfordert, erklärten am Freitag sowohl Vertreter von Stadt und Migranten, als auch Ärzte des Dresdner Universitätsklinikums, die seit Tagen ehrenamtlich Asylbewerber in der Zeltstadt medizinisch versorgen.

„Die Situation im Camp ähnelt Kriegsverhältnissen“, sagte der Mediziner Kai Loewenbrück. Er warf der Landesregierung vor, die Lage zu beschönigen und zu mauern, damit die Zustände nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Dabei spiele sich hier eine „humanitäre Katastrophe“ ab, über die man nicht länger schweigen könne. Das Lager sei überbelegt und unterversorgt, Kinder spielten im Staub, es gebe viel zu wenige Toiletten und Waschmöglichkeiten, was zu Fieber, Durchfall und Krätze führe. „Diese Krankheiten wurden nicht mitgebracht, sie sind eindeutig durch Fehlversorgung im Lager entstanden“, sagt der Arzt Gerhard Ehninger.

Für die medizinische Versorgung gebe es gerade mal einen „völlig überhitzten Container“, die Versorgung mit Medikamenten sei unzureichend, das Verbandsmaterial seit Jahren abgelaufen. In einer Tankstelle ganz in der Nähe des Camps, die zu einem Versorgungspunkt für Asylbewerber geworden ist, berichten Flüchtlinge aus dem Inneren des Camps. In den Zelten herrschten tropische Temperaturen, sagt Wael Hussein, ein 28 Jahre alter Syrer, der seinen richtigen Namen nicht in diesem Bericht lesen will. Er teilt sich ein Zelt mit 40 anderen Menschen, Schlaf sei kaum möglich, an Ruhe nicht zu denken. „Ich bin dankbar, in Deutschland zu sein, hier ist Frieden“, sagt er. „Aber ich hasse die Zeltstadt.“ Er habe große Angst vor Krankheiten, doch Körperhygiene sei im Lager praktisch unmöglich.

Probleme nicht nur verwalten, sondern angehen

Die Ärzte hatten Alternativen organisiert, etwa die Versorgung in einem nahe gelegenen Krankenhaus, diese seien jedoch abgelehnt worden, sagt Gerhard Ehninger. Er forderte die Landesregierung auf, „endlich den Hintern hoch zu bekommen“. Der Sächsische Flüchtlingsrat forderte gar den Rücktritt des Innenministers und des Präsidenten der Landesdirektion, weil sie diese Krise erst produziert hätten.

In ganz Sachsen stünden zehntausende Wohnungen leer, und dennoch werde ein Zeltlager wie dieses als alternativlos verkauft. Die Dresdner Ausländerbeauftragte Kristina Winkler sagte, die Zustände im Camp seien ein „eklatanter Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention der UN“. Lege man die Maßstäbe des Jugendamtes an, müssten alle Kinder wegen Kindeswohlgefährdung sofort aus der Zeltstadt herausgeholt werden. Bereits Anfang der Woche habe sie Innen- und Sozialministerium vergeblich darüber informiert.

Selbst Dresdens neuem Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP), von Haus aus eher ein Gemütsmensch, war am Donnerstagabend der Kragen geplatzt. „Ich kann und werde es nicht akzeptieren, dass unser Heimatland, eine reiche Industrienation mit 81 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von drei Billionen Euro, sich überfordert gibt, in diesem Jahr 450.000 flüchtende Menschen angemessen unterzubringen“, sagte er bei einer Sondersitzung des Stadtrates.

Hilbert kündigte trotz der Zuständigkeit des Landes an, auch eigenes Personal – Ärzte und Krankenschwestern – in die Zeltstadt zu schicken. Zugleich forderte er die Landesregierung auf, die Probleme nicht länger nur zu verwalten. Flucht und Asyl könne man nicht verwalten, sagte Hilbert, Menschen seien keine „Vorgänge“, „Objekte“ oder „Probleme“. Der Oberbürgermeister dankte zudem ausdrücklich auch allen ehrenamtlichen und professionellen Helfern. „Die Frage, wie wir mit Menschen in Not umgehen, ist die Nagelprobe für uns alle.“

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.08.2015

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