Regulierung – EU will Banken mehr Risiko bei öffentliche Projekten erlauben

Michael Bernegger | Veröffentlicht: 20.08.15 00:08 Uhr

Die EU-Komission will die Regeln für die Verbriefung von Wertpapieren lockern. Der Grund: Die Banken vergeben wegen geringen Eigenkapitals kaum große Kredite. Doch die EU will durch Infrastruktur-Projekte die Arbeitslosigkeit senken – und braucht nun plötzlich wieder die Banken, die sie jahrelang verteufelt hat.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will die vorgeschriebenen Eigenkapitalsätze für die Wertpapier-Verbriefung lockern. Er hofft die Investitionen anzukurbeln, die trotz der niedrigen Zinsen durch die Geldschwemme von EZB-Chef Draghi bisher nicht anspringen. (Foto: dpa)

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker will die vorgeschriebenen Eigenkapitalsätze für die Wertpapier-Verbriefung lockern. Er hofft die Investitionen anzukurbeln, die trotz der niedrigen Zinsen durch die Geldschwemme von EZB-Chef Draghi bisher nicht anspringen. (Foto: dpa)

In Europa belebt sich die Konjunktur trotz niedriger Zinsen und stark gefallener Ölpreise nur moderat. Der Tiefpunkt ist zwar überwunden, das Wachstum aber bleibt verhalten und ist zu wenig breit abgestützt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die ausgeprägte Investitionsschwäche. Die Investitionen sind die Motoren des Wirtschaftswachstums. Sie ermöglichen nicht nur eine Beschleunigung der Endnachfrage, sondern haben auch positive Effekte auf das Wachstum der Produktivität. Denn neue Maschinen, Anlagen, Gebäude sind mit der letzten Technologie ausgestattet. Produktivitätsgewinne sind typischerweise kapitalgebunden.

Solange die Investitionen niedrig bleiben, gibt es keine wesentliche Aufhellung am Arbeitsmarkt, bei Beschäftigung und bei Löhnen. Eines der Grundprobleme in Europa besteht darin, dass die Finanzintermediären, Banken und Versicherer, in Europa immer noch im Krisenmodus stecken. Vor allem Banken haben zu wenig eigene Mittel, um Kredite vergeben zu können.

Ein zentrales Anliegen besteht darin, den Markt für die Verbriefung von Wertpapieren in Europa wiederzubeleben. Dies soll hauptsächlich dadurch geschehen, dass die Risikogewichte für forderungsbesicherte Wertpapiere (engl. Asset Backed Securities, kurz ABS) reduziert werden. Die Risikogewichte sind die Prozentsätze, mit denen Banken und Versicherungen solche Papiere mit Eigenkapital unterlegen müssen. Diese Unterlegungspflicht gilt, wenn sie die Wertpapiere als Aktiven auf ihre Bilanz nehmen. Institutionelle Anleger wie Banken und Versicherer sowie Pensionskassen sind die hauptsächlichen Käufer von ABS. Der zuständige Kommissar für Finanzmarkt-Regulierung, der Brite Jonathan Hill, legt nun einen Vorschlag vor, der von der Europäischen Bankenkommission mit den nationalen Regulatoren der 28 EU-Länder abgesprochen ist.

Hintergrund bildet einerseits die Tatsache, dass die Verbriefung in Europa seit der Finanzkrise 2008 extrem schwach bleibt und sich nicht mehr erholt hat. Das jährliche Emissionsvolumen ist von 815 Mrd. im Jahr 2008 auf 217 Mrd. im Jahr 2014 gefallen. Dies im eklatanten Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo das Emissionsvolumen sich praktisch auf das Vorkrisen-Niveau erholt hat. Dies ist umso ärgerlicher, als die Ausfallraten in den ABS in den USA in der Krise deutlich höher als in Europa lagen. Andererseits haben die europäischen Banken und Versicherer Druck auf den Regulator gemacht, damit die Risikogewichte erheblich reduziert würden. Für sie besteht bei den rekordtiefen Zinsen ein Anlagenotstand. Es mangelt an Anlagealternativen, welche ihnen eine genügende Rendite auf ihr Gesamtportfolio ermöglicht.

Mit dem Vorschlag ist der neu zuständige Kommissar den Banken und Versicherern nur teilweise entgegen gekommen. Die Unterlegungssätze wurden um rund einen Viertel reduziert, wesentlich weniger als von der Finanzindustrie gefordert. Vor allem wird die zusätzliche Kapitalbelastung für die Verbriefung nicht gelockert. Hält eine Bank oder Versicherung die unterliegenden Wertpapiere einzeln auf ihrer Bilanz, muss sie also weniger Eigenmittel hinterlegen. Schließlich werden die Vorschriften für ABS, die sich auf Derivate als Sicherheiten beziehen, nicht gelockert. Als zusätzliche Sicherheit müssen Emittenten von ABS mindestens 5 Prozent des Volumens selber auf die eigenen Bücher nehmen. Damit sollen die Interessen von Emittent und Investoren gleichgeschaltet werden.

ABS-Papiere enthalten typischerweise ein Portfolio von Unternehmens- oder Autokrediten, Hypotheken und Kreditkarten-Schulden. Sie sind von der Grundkonstruktion her weit sicherer als eine Standard-Obligation, weil sie Forderungen als zusätzliche Sicherheit enthalten. Eine Standard-Obligation dagegen bezieht sich üblicherweise auf die Gesamtbilanz, das heißt, sie umfasst auch die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft. ABS und MBS (hypothenbesicherte Wertpapiere) waren in der Finanzkrise 2008 schwer unter Druck geraten und wesentlich für die Finanzkrise verantwortlich gemacht worden. Dabei waren verschiedene Punkte aufgetreten. Kern war gewesen, dass die Banken einerseits ABS und MBS missbraucht hatten, um Teile ihrer Bilanz auszulagern. Sie hatten also Kredite verbrieft und sie von einer zumeist konzerneigenen Gesellschaft verwalten lassen. Unter Ausnutzung von Schlupflöchern in Basel II konnten sie so das Eigenkapital-Erfordernis drastisch oder sogar auf Null absenken.

Das grösste Schlupfloch hatte darin bestanden, dass sie ABS und MBS auf das Handelsbuch umschreiben konnten, und so praktisch keinem Eigenmittel-Erfordernis gegenüberstanden. Solange die ABS-Kotierungen praktisch unverändert waren, war das vorteilhaft. Verschiedene Großbanken waren fast oder effektiv Bankrott gegangen, weil sie große ABS-Positionen im Handelsbuch zu Marktpreisen bewerten mussten, und diese im Crash fast allen Wert verloren hatten. Ein anderes Schlupfloch bestand darin, dass die Banken Pfandbriefe und andere covered bonds an Kunden verkauften, bei denen sie sehr wohl im Risiko standen. Trotzdem buchten sie diese Papiere aus der Bilanz aus. Ein letztes Problem hatte darin bestanden, dass die Banken den Investoren Müll verkauften. Wertschriften, bei denen sie sehr wohl um hohe Risiken wussten, diese aber nicht offen legten. Vor allem bei den Subprime Wertpapieren in den USA war dies ganz ausgeprägt der Fall gewesen. Letzteres soll durch die Mindest-Haltepflicht von 5 Prozent der Emission verhindert werden.

Der zuständige Kommissar machte auch klar, dass als nächstes auch Wertschriften, welche zur Finanzierung von Infrastruktur-Investitionen dienen, eine erleichterte Behandlung erfahren sollen. Insgesamt macht die Regelung Sinn. Die Banken haben in Europa viel zu wenig eigene Mittel. Sie erfüllen vielleicht dem Buchstaben nach die Vorschriften für Basel III, haben aber immer noch zu große Bilanzen und viele beschädigte Positionen aus der Vergangenheit. Weil sie durch das Eigenkapital beschränkt sind, können oder wollen sie zu wenig Kredite vergeben. Gleichermassen können die zumeist eigenmittelschwachen Versicherer aus regulatorischen Gründen nicht genügend in ertragreiche Anlagen investieren.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 20.08.2015

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