Handel – Welthandel kommt durch China-Krise ins Wanken

 

Die Finanzwelt rätselt nach dem Einbruch der Finanzmärkte über den zukünftigen Gang der Weltkonjunktur. Die von China ausgehende Wirschaftsverlangsamung könnte eine globale Rezession auslösen. Die Frachtraten geben diesbezüglich noch keine klaren Anhaltspunkte. Einige sind besorgniserregend, andere hingegen eher positiv.

Leere Frachter: Die Schifffahrt hatte einen enormen kreditfinanzierten Boom und ist jetzt mit einem raschen und drastischen Zerfall konfrontiert. (Foto: dpa)

Bei den Frachtraten sind drei hauptsächliche Segmente zu unterscheiden – Tanker, Massenfracht-Transporter und Container. Im langfristigen Bild ist die Entwicklung aller drei Segmente schlecht, allerdings mit Unterschieden. Die Frachtraten für Tanker haben sich 2015 erholt und sind auf den höchsten Stand seit der Krise von 2009 angestiegen. Dahinter steckt eine starke Zunahme der Erdölnachfrage im laufenden Jahr einerseits, die Auslastung von Tankerkapazität als „schwimmende Lager“ andererseits. Wegen der tieferen Benzinpreise und der verbesserten Arbeitsmarktlage haben viele Amerikaner dieses Jahr die „summer driving season“ ausgiebig benutzt. China hat die tiefen Erdölnotierungen zum Anlass genommen, seine strategischen Lager an Erdöl auszubauen. Schließlich ist der Markt immer noch von einer Contango-Situation charakterisiert. Die Future-Notierungen liegen viel höher als die Spotpreise für Erdöl.

Für die Verbraucher von Erdöl lohnt es sich deshalb, Erdöl zu lagern und die verarbeiteten Produkte auf Termin zu verkaufen. Tanker hatten schon in den Jahren zuvor den geringsten Einbruch der Frachtraten. Die Nachfrage nach Erdöl wächst seit Jahrzehnten vergleichsweise schwach. Deshalb gab es auch nicht die ganz große Überinvestition wie bei den beiden anderen großen Frachtschiff-Kategorien. Im August 2015 sind die Frachtraten für Tanker (sowohl für dirty als auch für clean tanker rates) scharf eingebrochen, um rund 30 %. Die Tanker-Frachtraten haben im Sommer eine negative Saisonalität. Es ist noch zu früh, ein Urteil abzugeben.

Frachtraten für Tanker. (Quelle: UNCTAD, Review of Maritime Transport, Bloomberg)

Viel schlechter geht den Transportschiffen für Massenfracht wie Eisenerz, Kohle, Getreide, Bauxit etc, den sogenannten „dry bulk carriers“. In diesem Segment sind die Frachtraten in der ersten Jahreshälfte 2015, gemessen am seit 1985 erhobenen Baltic Dry Index, praktisch auf historische Tiefstände eingebrochen. Grund dafür sind Angebot und Nachfrage. Die Frachtraten für solche Massenfracht hatten bis 2008 einen enormen Boom, sie verzehnfachten sich praktisch zwischen 2002 und dem Höchststand 2008. Deshalb wurden in einem außergewöhnlichen Ausmaß Schiffe bestellt, die Kapazität ausgebaut. Die Auslieferung der größer dimensionierten Schiffe erfolgte dann mit Verzögerung von mehreren Jahren, so dass plötzlich ein Überangebot entstand. Dies obschon das Transportvolumen bis 2014 massiv weiter zunahm. 2015 ist dieses Volumen jetzt eingebrochen. Bemerkbar macht sich insbesondere die verlangsamte Bautätigkeit in China.

Die gewichtsmäßig dominanten Komponenten für den Transport von Massenfracht sind Eisenerz und Kohle. Beide werden hauptsächlich für die Stahlindustrie geliefert. Und Stahl findet vor allem in der Bautätigkeit sowie im Automobilbau Verwendung. Die Bautätigkeit war keineswegs nur in China hoch. Auch in den Produzentenländern für Rohstoffe gab es sekundäre Bau- und Immobilienbooms. Weil jetzt die Rohstoffpreise scharf gefallen sind, wird auch die Bautätigkeit eingeschränkt. Dieses Segment dürfte somit auf Jahre hinaus mit Überkapazitäten zu kämpfen haben.

2015 sind die Frachtraten in diesem Segment auf die niedrigsten Niveaus seit den frühen 1970er Jahren gefallen. Sie haben sich etwas erholt in den Monaten Mai / Juni, sind aber auch wieder zurückgefallen.

Frachtraten für Dry bulk carriers. (Quelle: UNCTAD, Review of Maritime Transport, Bloomberg)

Besser läuft es 2015 für die Besitzer von Container-Schiffen, denn die Frachtraten für Container-Schiffe haben sich 2015 erholt. Container waren neben den „dry bulk carriers“ das zweite große Wachstumssegment im Boom der 2000er Jahre. Genau gleich führte dies zu einem regen Investitionsboom. Auch hier sind die Frachtraten schwer eingebrochen und haben sich bis 2014 nicht mehr erholt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass in diesem Segment munter weiter investiert wird. Vor allem ganz große Containerschiffe werden von den großen Reedern wie Maersk oder MSC geordert. Praktisch alle paar Monate läuft ein Schiff vom Stapel, das noch größere Frachtvolumen bewältigen kann. Sie bieten im gegenwärtigen Umfeld enorme Kostenvorteile.

Die Schiffspreise für Neubauten betragen noch einen Bruchteil der Preise zu Boomzeiten. Und die größeren Schiffe liefern aus technischen Gründen zusätzliche Skalenvorteile. Deshalb wird die Überkapazität in diesem Bereich laufend und ganz erheblich ausgebaut. Aber 2015 haben sich die Frachtraten, gemessen am repräsentativen Hamburg-Index, deutlich verbessert.

Frachtraten für Containerschiffe. (Quelle: Unctad, Review of Maritime transport, HAX)

Ein weiterer Faktor, der trotz tiefer Frachtraten für Neuinvestitionen sorgt, ist die Regulation bzw. die geplante Begrenzung von Emissionen. Hochsee-Frachter waren traditionell große Dreckschleudern. Sie verwendeten typischerweise die Reststoffe des Raffinerie-prozesses, ein stark schwefelhaltiges Schweröl (engl. bunker fuel). Dieses billige Öl enthält einen hohen Schwefelgehalt und ist für hohe CO2 Emissionen verantwortlich. Der Hochsee-Transport war lange eine der am wenigsten regulierten Branchen. Nun ist dem ein Riegel geschoben worden, und der Schadstoff-Ausstoß der Ozeanriesen ab 2020 eng begrenzt worden.

Für viele ältere Schiffe lohnt sich das sogenannte Retrofitting – die Umrüstung der Motoren oder die Verbesserung des Schiffsdesigns – nicht mehr. Deshalb müssen im Hinblick auf die verschärften Schadstoff-Normen neue Schiffe geordert werden. Die älteren Schiffe werden aber immer noch weiter betrieben, solange sie die neuen Normen noch nicht erfüllen müssen. Ein Grund dafür ist auch der Zerfall der Stahlpreise. Der Restwert eines Schiffs besteht im Minimum aus seinem Schrottwert. Fallen die Stahlpreise, lohnt sich die Verschrottung für die Betreiber noch nicht gegenüber dem weiteren Betrieb. Aus diesen Gründen wird in die Überkapazität hinein weiter kräftig investiert. Umgekehrt sind die Frachtraten noch nicht so tief, dass auf breiter Front die Kapazität älterer Schiffe aus dem Markt genommen wird.

Die Betreiber von Containerschiffen, vor allem von älteren und kleineren, sind deshalb besonders betroffen, weil sie nicht von den tieferen Preisen für Bunker-Treibstoff oder für Diesel profitieren. Im Container-Bereich ist es üblich, dass der Kunde die Energiekosten übernimmt. Sie sind ein Teil der „surcharges“. Bei Tankern und ‚dry bulk carriers’ kommt es hingegen darauf an, ob die Schiffe auf Zeit gechartert oder für eine einzelne Fahrt geordert werden.

Bei Zeitcharter übernimmt ebenfalls der Kunde die Kosten der Betankung, bei Fahrten hingegen der Schiffsbetreiber. Bei japanischen Reedern ist die Zeitcharter mit langen Verträgen die Regel, bei griechischen Reedern hingegen eher die Fahrtcharter. Besonders gut läuft es mit anderen Worten denjenigen Reedern, welche im Tankerbereich ohne allzu großen Anteil von Zeitcharter-Verträgen unterwegs sind – den griechischern Reedern. Von allen großen Flotten hatten sie in den Hochkonjunkturjahren am wenigsten die Kapazität ausgebaut, als die Preise für Neubauten extrem hoch lagen. Sie können, sofern sie finanzkräftig sind, jetzt zu Dumpingpreisen aus Zwangsvollstreckungen oder Notverkäufen relativ neue, moderne Schiffe erwerben. Einzelne expandieren erstmals in den Container-Bereich, der bisher eine Domäne Deutschlands war. Mit der Akquisition spottbilliger relativ neuer Schiffe können die Durchschnittskosten der Flotte drastisch abgesenkt werden. Dies ist für die Rentabilität in einem Umfeld anhaltend tiefer Frachtraten ausschlaggebend. Diejenigen Reeder, welche im großen Stil und mit hoher Verschuldung die Flotte expandierten, sind dagegen auf viele Jahre hinaus mit sehr hohen Kosten belastet – typischerweise die Flotten Koreas, Japans, Chinas, vieler deutscher Reeder.

Summa summarum sind sehr niedrige Frachtraten mit Vorsicht als Vorboten einer globalen Rezession zu interpretieren. Sie sind primär Ausdruck einer gewaltigen und historisch einmaligen Ausdehnung der Kapazität besonders im Massenfracht- und im Containersegment in den Jahren 2009 bis 2012/13. Nach den Tiefständen 2013 (dry bulk carriers: im ersten Halbjahr 2015) haben sich deren Frachtraten leicht erholt. Damit sie als Vorboten einer globalen Rezession gelten können, müssten sie nochmals sehr deutlich und für längere Zeit unter diese historischen Tiefstände fallen.

Was sich im Hochsee-Schiffstransport seit 2009 abspielt, dürfte jetzt auf den Energie- und auf den Minensektor sowie global gesehen auf die Bautätigkeit und ihre Zulieferer übergreifen – Zement-, Stahl-, Kupfer-, Aluminiumhersteller. Das sind alles sehr kapital- und energieintensive Sektoren, die vielfach von hoher nomineller Verschuldung geprägt sind. Sie hatten wie die Schifffahrt einen enormen kreditfinanzierten Boom, und sind jetzt mit einem raschen und drastischen Zerfall ihrer Verkaufspreise konfrontiert. Ein Fall sektoraler Schuldendeflation. Dabei werden unweigerlich diejenigen, die im Boom überinvestiert haben, unter die Räder kommen. Doch nicht nur sie wird es treffen. Banken und Asset-Manager haben Kredite vergeben oder in Kredit-Portfolios investiert. Sie werden mit der veränderten Cash-flow Situation dieser Sektoren zu kämpfen haben und auch Kreditausfälle hinnehmen müssen. So wie dies bei den Schiffsfinanzierern seit 2009 nicht zu knapp der Fall ist.

Quelle: Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 28.08.2015

 

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