Spanisches Knebelgesetz: Strafen für sarkastische Tweets und Postings

Jan Marot aus Granada9. August 2015, 17:25
In Spanien sorgt das neue "Bürgerschutzgesetz" für heftige Kritik.
foto: standard/marot

In Spanien sorgt das neue „Bürgerschutzgesetz“ für heftige Kritik.

Einen Protestaufruf etwa per Facebook zu verbreiten kann Haft bedeuten.

Es ist ein regelrechter Euphemismus: Das am 1. Juli in Kraft getretene, spanische „Bürgerschutzgesetz“. Die von seinen Gegnern zu recht als „Ley Mordaza“, zu Deutsch „Knebelgesetze“, heftig kritisierten Reformen, schränken nebst vielem, auch die Freiheit im WWW massiv ein.

„Bürgerschutzgesetze“

Nicht einzig die „New York Times“ nannte es im Editorial „franquistisch“. Erinnert es doch an Gesetze der Franco-Diktatur, die dem Land und seinen Bürgern von 1939 bis zum Tod des „Generalisimo“ 1975 – und 1978, den ersten, freien Wahlen – vor allem eines nahmen: jegliche Freiheiten. Sei es der Information, der Versammlung, der Demonstration oder der Meinung. Zudem trat zeitgleich ein, ebenso wie die „Bürgerschutzgesetze“ von der UNO heftig kritisiertes, verschärftes Strafgesetzbuch in Kraft.

Ihn traf es als ersten: Eduardo Díaz (27), Facebook-User aus Teneriffa. Er kritisierte Bürgermeisterin und Lokalpolizei über das Sozialnetzwerk. Gar ein wenig untergriffig. Die Ordnungshüter wären „Drückeberger“. Sechs Stunden nachdem er den nun als Delikt geltenden Mausklick setzte, klopften auch schon zwei Beamte an seine Haustür: „Wir kommen, um das Bußgeld einzufordern. Wegen dem was Sie im Internet gepostet haben.“ Bei leichten Vergehen rangiert dieses zwischen 100 und 600 Euro. In einem Interview, dass Díaz El Mundo gab, empörte er sich: „Die Regierung will damit kritische Bürger zum Schweigen bringen.“

Bis zu ein Jahr Haft

Nicht nur das: Ein Protestaufruf etwa per Facebook oder etwa WhatsApp verbreiten, das ist fortan auch ein „No-Go“. Das weit teurer zu stehen kommen kann, nämlich mit bis einem Jahr Haft. Das Verbreiten reicht wohlgemerkt aus, selbst wenn man nicht der Organisator der Demo ist. Sollte der Protest gar eskalieren stehen darauf auch zwischen 30.000 und 600.000 Euro. Zudem gelten fortan auch bis zu vier Jahre Haft für passiven Widerstand. Sei es ein Sitzstreik in einer Bankfiliale, oder der Versuch eine der vielen Zwangsdelogierungen in Spanien zu stoppen. Spontane Proteste sind nun auch gänzlich untersagt, vor dem Madrider Parlament sowieso.

Stichwort Terrororganisationen: Vom „periodischen Ansurfen“ derer dubioser Indoktrinierungs- und Rekrutierungs-Webseiten ist fortan auch abzuraten. Die Bürgerschutzgesetze sehen hierfür schon hohe Strafen vor, das Antiterrorgesetz freilich noch höhere. Was aber, wie Pressegewerkschaften zurecht kritisieren, „die Recherchen in heiklem Terrain quasi verunmöglicht“, sagt Francisco Terrón Ibáñez vom Sindicato de Periodistas de Andalucía (kurz SPA) im Gespräch mit dem WebStandard: „Die rechte Rajoy-Regierung will damit nicht nur Proteste verbieten. Sondern diese unsichtbar machen“, so Terrón Ibáñez weiter: „Sie wollen, dass kein Journalist mehr darüber berichtet.“ Er hofft, dass entweder das Verfassungsgericht das Gesetz kippt. Oder die im Spätherbst neu zu wählende Regierung. Andernfalls müsse man sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.

Bis zu 30.000 Euro für Foto über Polizeigewalt

Hinzu kommen exorbitante Geldstrafen für die Verbreitung von (Presse-)-Fotos von Polizisten, seien es Szenen der Polizeigewalt im Zuge von Demonstrationen. Artikel 36.26 sieht hierfür Strafen bis zu 30.000 Euro vor. Eben aufgrund dieser Gesetzesreform sind am Samstag zwei CNN-Journalisten und der preisgekrönte Pressefotograf Jorge Palazón (NGO Prodein) in Melilla zeitweise verhaftet worden. Vier Stunden hat man sie auf dem Kommissariat festgehalten. Denn es ist nicht mehr erlaubt, Fotos in der Nähe des Grenzwalls der Nordafrika-Enklaven Spaniens zu knipsen.

Die UNO und EU-Kommission zeigten sich bereits hochgradig besorgt. Verfassungsrechtler, Journalistenverbände, wie auch das Wiener International Press Institute (IPI), das vor „Druck zur Selbstzensur“ warnt, und zahllose Bürger (wie im jüngst geräumten „Anti-Knebel-Camp“ in Madrid), fordern, dass das „Knebelgesetz“ außer Kraft gesetzt wird. (Jan Marot aus Granada, 9.8.2015)

Link

New York Times

Quelle: Der Standard (Österreich) vom 09.08.2015

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