Schuldenstreit mit Griechenland – Der alte Tsipras ist zurück

Das griechische Schuldendrama droht erneut zu eskalieren. Premier Tsipras hat keine Lust mehr auf die Rolle des braven Reformers und facht einen ungelösten Streit neu an.

Von David Böcking und Giorgos Christides, Berlin und Thessaloniki

Alexis Tsipras
REUTERS

Alexis Tsipras

 

 

Die kurzfristige Absage von Pressekonferenzen ist in Berlin nichts Ungewöhnliches. Wird ein Auftritt jedoch innerhalb weniger Stunden erst abgeblasen und dann wieder anberaumt, so muss es hinter den Kulissen gewaltig rumoren. So war es auch bei einem Auftritt des griechischen Finanzministers Euklidis Tsakaltoos bei der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung am Donnerstag.

Am Ende ließ sich Tsakalotos selbst von einer zwischenzeitlichen Notlandung seines Flugzeugs nicht davon abhalten, doch noch vor die deutsche Presse zu treten. Entgegen der ursprünglichen Planung brachte er sogar noch Arbeitsministerin Eftychia Achtzioglou mit. Es gab einiges zu erklären. Denn es kracht wieder gewaltig in den Beziehungen zwischen Griechenland und dem Rest der Eurozone.

Grund ist ein plötzlicher Politikwechsel in Athen: Ende vergangener Woche hatte Premierminister Alexis Tsipras überraschend angekündigt, dass seine Regierung rund 1,6 Millionen Rentnern ein Weihnachtsgeld von insgesamt 617 Millionen Euro zahlen will – im Schnitt also etwa 380 Euro pro Person, am Donnerstagabend billigte das Parlament die Maßnahme. Zudem werde eine geplante Mehrwertsteuererhöhung auf griechischen Inseln ausgesetzt, solange diese die Hauptlast der Flüchtlingskrise tragen.

Die Steuerfrage betreffe nur wenige Inseln, versuchte sich Tsakalotos nun in Berlin an einer Erklärung. Und die Rentenzahlung habe man „für eine gute Idee gehalten“. Schließlich habe Griechenland einen höheren Überschuss erwirtschaftet als mit den Geldgebern vereinbart. Von dem sollten nun einmalig jene profitieren, die einen Großteil der Reformlast der vergangenen Jahre getragen hätten. Die Haushaltsziele würden dadurch „überhaupt nicht gefährdet“.

Das mag stimmen. Doch eigentlich müssen solche Entscheidungen mit den Geldgebern abgesprochen werden. Entsprechend verschnupft ist man im Bundesfinanzministerum. „Das ist schon eine Änderung der Geschäftsgrundlage“, heißt es im Haus von Wolfgang Schäuble (CDU). „Vergangene Woche in der Eurogruppe war davon noch keine Rede.“ Auch die übrigen Euro-Finanzminister sind unzufrieden. Weil „manche Mitgliedsländer“ einen Verstoß gegen Vereinbarungen mit Griechenland sehen, stoppte die Eurogruppe bereits beschlossene kurzfristige Schuldenerleichterungen.

In der seit mittlerweile sieben Jahren andauernden Griechenlandkrise droht damit ein neuer Showdown – und zwar unmittelbar vor einem Treffen von Tsipras mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag.

Auf bizarre Weise zufrieden

Angesichts dieser Umstände wirkt der griechische Premier derzeit auf geradezu bizarre Weise zufrieden. Bei einem Besuch seines Büros in Thessaloniki verkündete er am Mittwoch bereits die nächste Wohltat: Rund 30.000 Schüler in den ärmeren Teilen der Stadt bekommen künftig kostenloses Schulessen. Tsipras war gut gelaunt und unterhielt die Anwesenden mit Weisheiten wie: „Für einen Mann ist es leichter, seine Frau zu wechseln als seinen Fußballverein.“

Es scheint ganz so, als wäre der alte Tsipras zurück: ein charismatischer Kommunikator, der vor allem im Kampfmodus aufblüht. Man werde „niemandem um Erlaubnis fragen, dieses Geld den Bedürftigsten zu geben“, polterte er. Jeder müsse anerkennen, dass Griechenland „Opfer im Namen Europas gebracht“ habe.

So selbstbewusst war Tsipras schon einmal – im Frühjahr 2015. Damals löste er mit seinem Alleingang einen Machtkampf aus, der beinahe mit Griechenlands Staatspleite geendet wäre.

Seitdem war der Premier ein Gefangener von Spar- und Reformauflagen, denen Griechenland im Zuge des dritten Hilfsprogramms zustimmen musste. Doch die Rolle des treuen Erfüllers von Gläubigerforderungen ermüdete Tsipras. Er war meist launisch, verbittert und ungeduldig.

Zurück in der Rebellenrolle wirkt Tsipras befreit. Aus seiner Sicht kann er nur gewinnen. Entweder geben die Gläubiger seinen Wünschen nach und akzeptieren einen milderen Sparkurs. Das dürfte Tsipras‘ Popularität befördern und die Chancen auf eine Wiederwahl deutlich steigern. Und falls die Gläubiger nicht mitspielen, könnte Tsipras Neuwahlen anstreben – auch wenn Tskalatos dies in Berlin dementierte. Statt als zögerlicher Reformer würde er dabei als ehrbar gescheiterter Gegner der Gläubiger antreten.

Der Buhmann wäre in diesem Fall vor allem der deutsche Finanzminister. „Entweder mit der Gesellschaft oder mit Schäuble“, titelte die Parteizeitung von Tsipras‘ Linksbündnis Syriza am Donnerstag. Tsipras ging aber auch auf Konfrontationskurs zum Internationalen Währungsfond (IWF), der bislang an den Hilfen für Griechenland beteiligt war. Dessen Mitarbeitern warf er indirekt vor, sie seien „Narren“, die „nicht mal ihre Zahlen unter Kontrolle haben“

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„Der IWF hat sich als Miezekatze entpuppt“

Das klingt, als stünde Griechenland mal wieder gegen den Rest der Welt. Tatsächlich aber sind die Fronten im Schuldendrama längst komplizierter. Denn der IWF fordert seit langem, die griechische Schuldenlast zu reduzieren und hat das sogar zur Bedingung für die Beteiligung an einem weiteren Hilfsprogramm gemacht. Eine Haltung, die der griechischen Regierung eigentlich sehr entgegenkommt.

„Der IWF verlangt nicht noch mehr Austerität von Griechenland“, lautet zu Wochenanfang die Überschrift eines beachtlichen Blog-Eintrags von IWF-Europachef Poul Thomsen und Chefökonom Maurice Obstfeld. Darin beschreiben die Autoren, was in dieser Klarheit lange nur aus einem Wikileaks-Protokoll bekannt war: Der Währungsfonds hält das mit Griechenland vereinbarte Haushaltsziel für unrealistisch. Statt eines Primärüberschusses (also ohne Ausgaben für den Schuldendienst) von 3,5 Prozent schlagen die Autoren einen Wert von 1,5 Prozent vor.

Von dieser Kritik zeigen sich Schäuble und und seine Mitarbeiter aber unbeeindruckt. „Da kriegen Sie den Eindruck eines Geisterfahrers, der selbst glaubt, ihm kämen dutzende Geisterfahrer entgegen“, berichtet jemand, der kürzlich mit hochrangigen Vertretern des Finanzministeriums über Griechenland diskutierte.

Warum aber wehren sich die Griechen gegen eine Institution, die für sie mildere Bedingungen fordert als die Partner in Europa? Die Antwort findet sich gegen Ende des Beitrags: Die IWF-Autoren konstatieren eine „Abneigung der Migliedsstaaten“ gegen ihren Vorschlag. Sollte es tatsächlich beim bisherigen Ziel bleiben, so seien „zusätzliche Maßnahmen notwendig, die aber noch nicht verabschiedet wurden“ und „von vornherein gesetzlich verankert werden“ müssten. Mit anderen Worten: Die Griechen müssten weiter kürzen und reformieren.

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Das kann dem Athener Premier genauso wenig gefallen wie seinem Finanzminister: „Ich bin sehr enttäuscht vom IWF“, sagte Tsakalotos in Berlin. Der Währungsfonds habe sich lange als „Löwe“ dargestellt, der für Griechenland bessere Konditionen erstreiten wollte. Doch der IWF habe sich „eher als Miezekatze entpuppt“: Wirklichen Druck habe man gegenüber der Eurogruppe nicht ausgeübt.

Tatsächlich schlagen Obstfeld und Thomsen in ihrem Beitrag bereits weitere Reformvorhaben vor, die den Griechen drohen könnten, falls die Eurostaaten am bisherigen Sparziel festhalten: So könnten etwa Ausnahmen bei der Einkommensteuer verschwinden. Bisher seien mehr als die Hälfte der griechischen Haushalte davon befreit. Zudem habe das Land immer noch eine „äußerst großzüge Rentenregelung“. Es belaste den Haushalt jährlich mit fast elf Prozent der Wirtschaftsleistung, wohingegen es in anderen Euroländern rund 2,25 Prozent seien.

„Postfaktische Politik“

Weitere schmerzhafte Reformen aber will Tsipras unter keinen Umständen durchsetzen. Lieber zählt er auf ein Entgegenkommen der europäischen Partner. Das wird zum Teil schon signalisiert: EU-Währungskommissar Pierre Moscovici, ein französischer Sozialist, kritisierte den Stopp der Schuldenerleichterungen und zweifelte die IWF-Analyse zur Schuldentragfähigkeit sowie dem Renten- und Steuersystem an. „In dieser Zeit von ‚postfaktischer‘ Politik ist es wichtiger denn je, dass bestimmte Behauptungen nicht unwidersprochen bleiben“, schrieb Moscovici in der „Financial Times“.

Falls Tsipras den seit langem ungelösten Konflikt zwischen den Geldgebern endlich zu einer Entscheidung bringen wollte, so könnte ihm das gelungen sein. Doch musste es dazu ein erneuter Alleingang sein? Handelt Tsipras damit nicht selbst wie ein Geisterfahrer, der mit Vollgas zurück in die Krise steuert?

Wie nicht anders zu erwarten, sieht Finanzminister Tsakalotos das ganz anders. Trotz des Hilfsprogramms dürfe nun mal nicht der Eindruck entstehen, seine Regierung könne keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, sagte er in Berlin. „Es wäre schrecklich, wenn die Europäer dieses Signal geben.“


Zusammengefasst: Durch nicht abgesprochene Entscheidungen (Weihnachtsgeld für Rentner, Aufschub für Mehrwertsteuererhöhungen) hat Premierminister Alexis Tsipras den Konflikt mit Griechenlands Geldgebern neu angeheizt. Allerdings sind sich die Gläubiger auch untereinander nicht einig, wie streng der Sparkurs für das Land in Zukunft sein sollte. Mit seinem riskanten Alleingang könnte Tsipras nun versuchen, eine Entscheidung zu erzwingen.

Quelle: Spiegel-online vom 15.12.2016

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