Flüchtlinge: Kosten von bis zu 30 Milliarden Euro, jedes Jahr

16.10.15

Deutschlands Top-Volkswirte warnen: Die Republik wird sich bei der Flüchtlingskrise übernehmen. Ökonom Fuest rechnet mit Milliarden-Kosten. Dadurch könnte die Steuern um sechs Prozent steigen. Von Martin Greive

 

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Flüchtlinge in Berlin

Foto: dpa Ein Flüchtling schaut bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Berlin aus einem beheizten Zelt.

Die Flüchtlingskrise hat das Land fest im Griff. Die Sorgen in der Bevölkerung und in der Politik sind groß: Schaffen wir das? Können wir so viele Flüchtlinge aufnehmen? Können wir die Hilfesuchenden in den Arbeitsmarkt integrieren? Und wie teuer wird das alles?

Drei der führenden Ökonomen Deutschlands beantworten genau diese Fragen. Zwei davon warnen Deutschland davor, sich in der Flüchtlingskrise zu übernehmen. Clemens Fuest, Noch-Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und bald Nachfolger von Hans-Werner Sinn (Link: http://www.welt.de/147318985) am Münchner Ifo-Institut, sagte der „Welt am Sonntag“: „Eine Politik der unkontrollierten Zuwanderung wird Deutschland schnell überfordern.“ Um die Fähigkeit Deutschlands zu bewahren, Menschen aufzunehmen, die Schutz vor Verfolgung suchen, müsse Deutschland die Immigration insgesamt begrenzen und qualitativ steuern.


Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg fordert: „Die Asylpolitik muss völlig neu und europäisch überdacht werden. Wenn Deutschland das im Alleingang macht, dann werden wir uns übernehmen.“ Deutschland sei zwar schon seit mehr als 150 Jahren ein Einwanderungsland – „allerdings ohne Einwanderungsregeln. Das müssen wir ändern.“ Zu entscheiden sei, wie viele Flüchtlinge jeweils die einzelnen Länder Europas aufnehmen wollen.

Höhere Steuern unumgänglich?

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), betont dagegen die Chancen der Flüchtlingskrise. Auch andere Länder hätten solche Herausforderungen erfolgreich bestanden. „Es gibt keinen guten Grund, wieso Deutschland die Herausforderung dieses Mal nicht bestehen sollte.“ Anstelle von kontraproduktiven und populistischen Diskussionen, ob wir es uns „leisten“ können oder ob wir uns „übernehmen“, sollten Politik und Wirtschaft endlich die Ärmel hochkrempeln und Lösungen für eine erfolgreiche Integration (Link: http://www.welt.de/147625129) präsentieren, fordert Fratzscher.


Laut Fuest wird die Integration der Flüchtlinge allerdings mit hohen Kosten verbunden sein. „Wenn man annimmt, dass pro Jahr 800.000 Menschen zuwandern und diese im Durchschnitt innerhalb von zwei bis drei Jahren so in den Arbeitsmarkt integriert werden, dass sie mit ihren Steuern und Abgaben die öffentlichen Leistungen finanzieren, die sie erhalten, ergibt sich eine zusätzliche Belastung von ungefähr 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr, solange der Zuwanderungsstrom anhält“, sagte Fuest. Der Finanzwissenschaftler rechnet daher wieder mit steigenden Staatsschulden.

Sozialexperte Raffelhüschen hält dagegen deutlich höhere Steuern und Abgaben für unumgänglich, um die Flüchtlingskrise finanziell zu stemmen. Zwar lasse sich über die wahren Kosten der Flüchtlingskrise nur spekulieren. Allerdings arbeite er in der Denkfabrik Stiftung Marktwirtschaft an einer Aktualisierung einer Studie aus dem Jahr 2008. „Demnach müsste man pro 100.000 Zuwanderer, die sich wie in der Vergangenheit integrieren, etwa eine Abgabenerhöhung über alle Steuern und Beiträge von circa 0,3 Prozent rechnen“, sagte Raffelhüschen. „Bei einer Million, die sich dann noch schlechter integrieren, sieht es entsprechend düster aus.“


„Sie sind eine Chance für Deutschland“

Würden dieses und nächstes Jahr, wie inoffiziell vermutet, eine Million Flüchtlinge kommen, müssten laut Raffelhüschen (Link: http://www.welt.de/147622502) die Steuern und Abgaben also um sechs Prozent steigen. Darüber hinaus müsse Deutschland seine Sozialversicherungen deutlich umbauen. Der massive Anstieg von Altersarmut würde eine Tendenz zu einer steuerfinanzierten Grundversorgung auslösen, sagte Raffelhüschen. Ähnlich wären die Entwicklungen bei Gesundheits- und Pflegeversorgung.

DIW-Chef Fratzscher ist da ganz anderer Auffassung: „Es müssen keine Steuern erhöht werden und auch keine Leistungen für irgendjemanden gekürzt werden.“ Der deutsche Staat werde im kommenden Jahr voraussichtlich 20 Milliarden Euro an Überschüssen – nach Berücksichtigung von zusätzlichen zehn Milliarden Euro für Flüchtlinge – erzielen. „Das ist mehr als ausreichend, um alle Aufwendungen abzudecken“, sagte Fratzscher. Die Frage sei vielmehr, wie man diese Gelder und technische Unterstützung den Kommunen zukommen lassen kann, die diese dringend benötigten.


Fratzscher fordert, man müsse endlich aufhören, Flüchtlinge als „Kosten“ zu sehen. „Sie sind eine Chance für Deutschland, die auch helfen, unsere Probleme der Demografie und des zunehmenden Fachkräftemangels zu lindern“, sagte er. Wie gut die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden, werde der Schlüssel für deren langfristigen wirtschaftlichen Beitrag sein. Eine erfolgreiche Integration hänge aber nicht nur von den Flüchtlingen selbst ab, sondern mehr noch von den Bemühungen, diesen Menschen eine Chance und Unterstützung zu geben.

Belebende Effekte am Arbeitsmarkt

Fuest und Raffelhüschen sind da pessimistischer. Für den Sozialstaat seien die Zuwanderer nicht schon dadurch eine Entlastung, dass sie im Durchschnitt jünger sind als die einheimische Bevölkerung, sagte Fuest. „Um den Sozialstaat zu entlasten, müssten die Zuwanderer mittelfristig mehr in die Sozialsysteme einzahlen, als sie an Leistungen erhalten. Dazu müssten die Migranten beruflich hinreichend qualifiziert sein.“

Kurzfristig werde es durch die Flüchtlinge eine Nachfragesteigerung geben, weil der Staat Geld für die Versorgung der Flüchtlinge bereitstellt, sagte Fuest. „Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen neutralisieren diese Wirkung allerdings teilweise.“ Hinzu komme, dass diesen Nachfrageeffekten höhere Staatsschulden gegenüberstehen. „Die Bedienung dieser Schulden dämpft die künftige Nachfrage.“ Am Arbeitsmarkt seien durch die Flüchtlinge belebende Effekte zu erwarten. „Neben den Unternehmen werden auch heimische Arbeitskräfte profitieren, allerdings vor allem die mit guter Qualifikation“, sagte Fuest.


Raffelhüschen sagt, wirklich fundierte Prognosen über die wirtschaftlichen Folgen der Flüchtlingskrise ließen sich bislang nicht machen. Fakt sei jedoch, dass sich ein erheblicher Teil der Zuwanderer erst einmal für den hiesigen Arbeitsmarkt qualifizieren müsse. „Der syrische Arzt ist doch einfach Unfug, der ist doch schon längst da gewesen!“, sagte der Sozialexperte. Angelernte und unqualifizierte Arbeitskräfte hätten es trotz der guten Arbeitsmarktlage noch immer schwer auf dem Arbeitsmarkt. „Und wenn wir es nicht schaffen, Hunderttausende von Hartz-IV-Empfängern in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wie soll das dann bei den Zuwanderern gelingen?“, so Raffelhüschen.

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Quelle: Welt-online vom 16.10.2015

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