Protest gegen Quer-Denken-Kongress

Wetteraukreis 24.08.2015

WIDERSTAND Breites Bündnis formiert sich gegen Versammlung in Kreisstadt / Demo, Markt der Möglichkeiten und Mahnwache

WETTERAUKREIS – Ein Gebräu aus Nationalismus, Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaft – so beurteilen Gegner die Versammlung, die als Quer-Denken-Kongress am 31. Oktober und 1. November in der Kreisstadt Friedberg ablaufen soll. Dagegen formiert sich breiter Widerstand aus weiten Kreisen der Gesellschaft.

Über 70 Leute drängten im Gemeindesaal der Friedberger Stadtkirche. Sie versammelten sich, um zu beraten, was gegen den Quer-Denken-Kongress unternommen werden kann, der die Stadthalle offenkundig zum Brutkasten für allerlei nationale und pseudowissenschaftliche Ideen machen soll. Der Kongress wendet sich an ein eher betuchtes Klientel: Über 150 Euro muss bezahlen, wer an beiden Tagen dabei sein will. Vor einem Jahr kamen immerhin 700 Leute zu der Veranstaltung, damals in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg. Diesmal könnten es 1000 werden, befürchten die Gegner des Kongresses in Friedberg.

Die Stadt hat ihre Halle vermietet, für die sie händeringend Nutzer sucht. Jetzt kommt sie vermutlich nicht mehr heraus aus dem Vertrag. Sie hat beim Verfassungsschutz nachgefragt, um eventuell eine Handhabe zur Vertragskündigung zu bekommen. Die Chancen stehen eher schlecht. Andreas Balser von der Antifaschistischen Bildungsinitiative ärgert sich, weil sich die Stadt in Vorfeld als Beratungsresistent erwiesen habe. Verträge für Räume könnten auch so gestaltet werden, dass eine Nutzung für solche Veranstaltungen ausgeschlossen ist, rät Balser.

Schon ein Blick auf den Veranstalter des Kongresses hätte den Verantwortlichen der Stadt gezeigt, um wes Geistes Kind es sich handele. Michael Vogt organisiert den Kongress. Er habe eine Karriere in rechten Burschenschaften hinter sich, geschichtsrevisionistische Filme über den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gedreht und wolle nun im Projekt „Aufbruch Gold-Rot-Schwarz“ die Gruppen vereinen, die Existenz, Souveränität und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland leugneten.

Zu den Referenten gehören unter anderem der Verschwörungstheoretiker und rechtspopulistische Islamkritiker Udo Ulfkotte und die umstrittene Autorin Eva Herman, die mit ihren Ansichten über das Familienbild vor Jahren bundesweit in die Kritik geraten war.

Die Gegner des Kongresses planen ein umfangreiches Programm. Es soll schon Anfang Oktober beginnen, um darüber aufzuklären, wer sich da in der Stadthalle versammeln will. In seiner Studie „Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks“ für die Otto-Brenner-Stiftung fasst der Sozialwissenschaftler und Publizist Wolfgang Storz die Position dieses Netzwerkes so zusammen: „Ein möglichst homogener Nationalstaat, tradierte Lebensweisen und eine rigide Abwendung von heutigen wirtschaftspolitischen, repräsentativ-parlamentarischen und liberalen Gesellschaftsentwürfen in westeuropäischen Demokratien und deren Werten. Bevorzugt wird das kulturkonservative Gesellschaftsbild einer autoritären, nicht liberalen ,Volks-Demokratie’, die einerseits von einer starken Führung und andererseits von Plebisziten und weiteren Elementen der direkten Demokratie geprägt ist. Liberale Prinzipien wie Pluralismus und Minderheitenrechte werden bestenfalls ignoriert, meist abgewertet.“

Mit zwei Filmen wollen die Kongress-Gegner im Vorfeld aufklären: mit „Moderner Antisemitismus, Querfront und völkische Bewegung“ von Jutta Ditfurth und „Die Mondverschwörung“ von Thomas Frickel, einem Dokumentarfilm über Esoterik und Verschwörungstheorien. Ruppert Neudeck von Ärzte ohne Grenzen soll als Referent gewonnen werden und weitere Experten, die sich mit Pseudowissenschaften und Verschwörungstheorien beschäftigen.

Die Ideen sprudelten im Gemeindesaal der Stadtkirche. Das Spektrum der Versammelten war breit, reichte von der Pfarrerin über den CDU-Politiker und den SPD-Vorstand bis zur Kreisvorsitzenden der Linken, vom jungen Antifaschisten bis zum in ehren ergrauten Flüchtlingshelfer, vom Bürger, der gekommen war, weil er von dem Treffen gehört hatte und das Thema ihn interessiert, bis zum Metallbildhauer, der zwei Meter große Flüchtlingsfiguren geschaffen hat, die er gerne für den Protest zur Verfügung stellen möchte.

Eine Demonstration soll am ersten Kongresstag, 31. Oktober, ab 10 Uhr vom Bahnhof zur Stadthalle ziehen und dort so laut sein, „dass die Redner in der Halle ihr eigenes Wort nicht verstehen“. Auf dem Europaplatz am Kreishaus soll an diesem Tag ein „Markt der Möglichkeiten“ sein, auf dem sich Vereine Organisationen und Parteien Präsentieren, von den Pfadfindern über den Sportkreis bis zur Feuerwehr. Am Sonntag, 1. November, dem zweiten Kongresstag, ist ein „Geh-Denken“ geplant, ein Rundgang zu den Orten der Judenverfolgung in Friedberg. Den Kongress soll zudem eine Mahnwache begleiten, die den Protest lautstark artikulieren soll.

Quelle: giessener-anzeiger.de vom 24.08.2015

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