Endspiel in Syrien: Die Schlacht um Aleppo und der ‚Plan C‘

Vom Krieg gezeichnet: Die syrische Stadt Alappo

Vom Krieg gezeichnet: Die syrische Stadt Alappo

Die Schlacht um Aleppo hat die al-Kaida-Gruppen in ihr verzweifeltes letztes Stadium getrieben, wobei der Stellvertreterkrieg gegen Syrien in seine abschließende Phase gelangt. Die Befreiung von Aleppo wird den Anfang vom Ende einläuten.

von Prof. Tim Anderson, übersetzt von Hermann Ploppa

Die vielen Landkarten im Internet sind schlicht irreführend. Sogar vor dem Eingreifen der russischen Luftwaffe in den Konflikt im September 2015 beherrschte die syrische Regierung 85 Prozent der bevölkerten Gebiete des Landes. Aber Aleppo zurückzugewinnen, ist entscheidend für die Kontrolle Syriens über den Norden und über die Nachschublinien des schrumpfenden Territoriums des IS im Osten.

Syriens Hauptproblem stellten die halb offenen türkischen Nachschublinien der dschihadistischen Armeen dar, die die 800 Kilometer lange Nordgrenze überquerten, und der von Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützte Vormarsch des IS von Osten her. In den letzten zehn Monaten hat die syrische Allianz erfolgreich an beiden Fronten Boden zurückgewonnen. Obendrein befindet sich die Türkei seit dem Juli 2016 im Chaos mit ihren ganz eigenen Problemen.

Viele folgen der Logik der beherrschenden Kräfte, aber um die Endphase in diesem Krieg zu verstehen, ist auch die Logik des Widerstands nicht weniger wichtig. Syrien tritt den Beweis an, dass unabhängige Völker, die einig sind und Widerstand leisten, im Endergebnis mehr zu bestimmen haben als je zuvor.

Washingtons Krieg gegen Syrien begann mit dem Einsatz sektiererischer Armeen, um die Regierung in Damaskus zu stürzen. Nach wie vor sprechen die westlichen Medien von ‚moderaten Rebellen‘, aber die Beweislage ergibt eindeutig, dass die USA und ihre Verbündeten jede einzelne bewaffnete Gruppierung in Syrien unterstützt haben, einschließlich der westlichen Gruppe, allen voran die ehemalige Jabhat al-Nusra (die jetzt umgetauft wurde in ‚Jabhat Fatah al-Sham‘, um den syrisch-russischen Bombenangriffen zu entgehen). Dazu stieß die östliche Gruppe DAESH-ISIS. Alle verbindet eine ähnliche heimtückische sektiererische Ideologie.

Ungeachtet des Blutbades und der rhetorischen Spielchen ist die Aggression, die in Plan A steckt, gescheitert.

Der ‚Plan B‘ zielte auf die Aufteilung des Landes durch das Ausreizen der, wie es die USA sahen, ‚kurdischen Karte‘.

Mal ganz davon zu schweigen, dass jegliche Bestrebung, Syrien aufzuteilen, gegen die Bestimmungen der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates verstößt, die noch einmal die ‚klare Verpflichtung der Vereinten Nationen zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Syrischen Arabischen Republik‘ bestätigt. Die USA ignorieren solche Nettigkeiten einfach.

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Nichtsdestoweniger scheitert Plan B dank des Zusammenhalts syrischer Gemeinschaften, durch deren Unterstützung der syrischen Armee sowie durch eine starke regionale Solidarität, besonders vom Iran, von Russland, der Hisbollah sowie der nationalistischen palästinensischen Milizen.

Sogar Syriens kurdische Milizen arbeiteten mit der syrischen arabischen Armee zusammen und verließen sich auf sie. Was immer Syriens Kurden wünschen: wenn es zu einer Abstimmung käme, würden die Syrer keine Föderalisierung unterstützen, die das Land nur schwächen würde gegen seine Feinde.


Plan C

‚Plan C‘könnte stattfinden, wo die Kräfte besser zusammenwirken. Washingtons ‚Schurkenstaat‘ ist ein schlechter Verlierer. Washington brauchte sieben Jahre, um sich aus Vietnam zurückzuziehen, nachdem es bereits wusste, dass es verlieren würde. Jedoch verfügt Syrien in der Person des russischen Präsidenten über einen Meister-Diplomaten, der willens und in der Lage ist, einen ‚ehrenvollen‘ nordamerikanischen Rückzug zu präsentieren.

Präsident Putin ermöglichte Präsident Obama schon früher einmal einen ehrenvollen Rückzug, und zwar im September 2013. Damals wurde die syrische Regierung beschuldigt, die eigene Bevölkerung mit Chemiewaffen getötet zu haben. Tatsächlich ging der Angriff mit chemischen Waffen aber von der Terrormiliz Jabhat al-Nusra und ihren Partnern aus (siehe Anderson 2016, Kapitel Neun). Es wurde ein Deal ausgehandelt: die syrische Armee vernichtete ihre Arsenale an chemischen Waffen (die als Abschreckung gegen die Atommacht Israel gedacht waren, und nicht als Waffen gegen die eigene Bevölkerung). Im Gegenzug verzichteten die USA darauf, Syrien militärisch anzugreifen.

Wir können einen ähnlichen Handel erkennen, wenn Putin Obamas staatsmännische Rolle bei der Unterstützung von Friedensbemühungen in Syrien feiert und damit Washington ermöglicht, Syrien thematisch ‚auf das Abstellgleis‘ zu schieben, wie es das bereits im letzten Jahr mit dem Iran tat. Selbstverständlich würde das eine ungeheuerliche Lüge bedeuten, aber diese Lüge könnte vielleicht wenigstens weiteres Blutvergießen beenden helfen.

Ein Regimewechsel in der Türkei könnte gewiss für einen solchen Plan hilfreich sein. Jedoch ob nun Erdogan die Meuterei seiner eigenen Streitkräfte auf Dauer überlebt oder nicht: ein Wandel in den politischen Rahmenbedingungen verändert die Rolle, die die Türkei in Syrien spielt. Während seine Stellvertreterarmeen verlieren, versucht Ankara seine miserablen Beziehungen mit Russland zu reparieren, während sich die Beziehungen zu Washington verschlechtern. Erdogan beschuldigt die USA, ob zu Recht oder zu Unrecht, den jüngsten Putschversuch unterstützt zu haben.

Jede Ausführung von ‚Plan C‘ in den wenigen Monaten, die der Obama-Regierung noch verbleiben, würden vielleicht die Fragen der ideologischen Kampagnen und Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, Iran und Hisbollah, also Israels entscheidenden Gegenspielern, ungelöst zurücklassen.

Die Erfahrungen aus Washingtons früheren Kriegen in Lateinamerika und Vietnam lehren uns, dass die USA unbedingt ihre Mythen am Leben erhalten wollen, ihre ‚offizielle Geschichte‘, und zwar so lange wie möglich.

Aleppo stellt den abschließenden Umkehrpunkt in diesem Konflikt dar, nach der Befreiung von Homs, Kusseir und Palmyra. Entscheidende Wendungen im Kriegsgeschehen zerstören die Moral sowohl der Dschihadisten als auch von deren Geldgebern. Nicht einmal Fanatiker sind darauf erpicht, an einer offenkundig der Niederlage geweihten Sache beteiligt zu sein.

Seit dem letzten Jahr haben die sektiererischen Gruppen im ländlichen Raum um Damaskus ständig an Boden verloren. Die Hauptstadt selber, mittlerweile angeschwollen auf sieben bis acht Millionen Einwohner, erlebte sehr wenig Angriffe durch Raketen, Mörser oder Bomben in diesem Jahr. Das Straßenleben ist erheblich entspannter. Waffenstillstandsvereinbarungen haben ‚funktioniert‘, weil die verbliebenen bewaffneten Gruppen (in Ost-Ghuta und Daraya) entscheidend geschwächt sind und sich in der Umzingelung befinden.

Während nun jedoch Damaskus ein gewisses Gefühl an Sicherheit wieder erlangt hat, tobt jetzt ein erschreckender Krieg in Aleppo. Wie üblich logen die westlichen Medien unablässig und konzentrierten sich auf jenen Teil der Stadt, der von den al-Kaida-Gruppen gehalten wurde, und der insgesamt gerade mal 200.000 Menschen umfasst, mit einberechnet ist noch die kleine Armee von Geheimdienstagenten aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei und Israel, dazu noch etliche westliche Nichtregierungsorganisationen wie die White Helmets, die Weißhelme.

In den letzten Tagen haben sich kleinere Gruppen von Dschihadisten ergeben, um in den Genuss einer möglichen Amnestie des syrischen Präsidenten zu gelangen, während Dutzende Einwohner die Stadt verlassen durch von syrischer und russischer Armee kontrollierte humanitäre Korridore. Diese Checkpoints werden von Kommando-Einheiten betrieben, einschließlich der Tiger-Einheiten <1> von General Suheil al-Hassan, weil solche Checkpoints immer noch von dschihadistischen Selbstmord-Autobomben getroffen werden können, wie das in Palmyra der Fall war.

Typischerweise erschienen keine westlichen Medien-Stories über die 1,5 Millionen Menschen in den von der Regierung gehaltenen Stadtteilen. In der Zeit von April bis Mai 2016 wurden rund um Aleppo eine große Anzahl Menschen ermordet, als zivile Bereiche und größere Krankenhäuser durch die NATO-unterstützten ‚Rebellen‘ bombardiert wurden. Sie wurden sogar dabei gefilmt, wie sie ihre ‚Höllenkanonen‘ abfeuerten, und dabei ausriefen: „Schleuder‘ es auf Zivilisten“ (Anderson 2016, 9.Mai). Nichts davon fand Erwähnung in den westlichen Konzernmedien.

Ebenfalls im Zeitraum April bis Mai 2016 behaupteten die White Helmets, dass russische und syrische Luftschläge das ‚al-Quds-Krankenhaus‘ zerstört hätten, wobei der letzte Kinderarzt in Aleppo getötet worden sei. Tatsächlich betonten Dr. Nabil Antaki und die Ärztekammer von Aleppo, dass es sich bei dieser Einrichtung nicht um ein registriertes Krankenhaus handelte, sondern eher um ein improvisiertes Lazarett in einem beschädigten Wohnhaus in einem von al-Nusra gehaltenen Gebiet. Tatsächlich gibt es noch eine ganze Reihe von Kinderärzten in den wichtigsten öffentlichen Krankenhäusern (Antaki und Cattori 2016; Beeley 2016; Makhoul-Yatim 2016).

Die Söldnerbanden feuerten hunderte von Raketen in das Zentrum von Aleppo, attackierten die kurdischen Stadtviertel mit Giftgas und enthaupteten öffentlich einen palästinensischen Knaben, angeblich weil er ein Spion einer palästinensischen Miliz gewesen sein soll, die an der Seite des syrischen Heeres kämpft. Bezeichnenderweise verlieh die englische Fernsehanstalt BBC den Behauptungen der Dschihadisten, dass der öffentlich ermordete zwölfjährige Junge ein ‚Kämpfer‘ sei, einen gewissen Stellenwert (BBC 2016). Verzerrte Berichterstattung bis zum bitteren Ende.

Die westlichen Medien, die immer noch im Kriegszustand sind, brachten unzutreffende Geschichten, dass ‚ganz Aleppo‘ sich im Belagerungszustand befände, oder dass die Feldlazarette der al-Kaida die ‚einzigen Krankenhäuser‘ in Aleppo seien. Ein Beispiel: die australischen staatlichen Medien berichteten: „In der syrischen Stadt Aleppo gehen die Lebensmittel aus, weil die Streitkräfte des Regimes die Stadt umzingeln.“ Tatsächlich sind lediglich 15 Prozent der Bevölkerung von Aleppo eingeschlossen von der syrischen Armee. Zur selben Zeit befindet sich das gesamte Land Syrien unter Belagerung durch Wirtschaftssanktionen der USA, der Europäischen Union und Australiens (ABC Radio National 2016).

Diese Geschichten zählen umso weniger, je mehr sie ersetzt werden durch unmittelbare Videozeugnisse von Bewohnern, die die von al-Kaida gehaltenen Gebiete verlassen, nur um die syrische Armee zu loben und die vom Westen unterstützten ‚moderaten‘ Kopfabschneider zu verfluchen (Geopolitics 2016).

Die vom Westen unterstützten Dschihadisten verlieren an Boden und die Moral in der Region ist gefestigt. Der syrische Führer der zivilen Opposition Mustafa Kelechi (der nicht mit den bewaffneten Gruppen verbunden ist) sagt, der Kampf um Aleppo‚ ist ein Krieg, um den Takfiri <2>-Gruppen das Rückgrat zu brechen‘ (FARS News 2016). Die Regierung des Irak, einst wahrgenommen als Marionette der USA, hat wiederholt ihre enge Zusammenarbeit im Kampf der syrischen Regierung gegen Terroristen bekräftigt (SANA 2016).

Die regionale Allianz, die in diesem Krieg geschmiedet wurde – bestehend aus Syrien, Iran, Russland, Irak, Hisbollah sowie den nationalistischen palästinensischen Milizen – wird eine starke Rolle einnehmen sowohl im syrischen Endspiel als auch weiterhin in der ganzen Region.

Professor Tim Anderson lehrt an der Universität Sydney politische Ökonomie. Anderson ist Autor des aktuellen Buches „Der schmutzige Krieg gegen Syrien. Washington – Regime Change – Widerstand.“ Liepsen Verlag Marburg, 2016.

Anmerkungen

<1> englisch Tiger Forces, arabisch: Quwwa an-Nimr. Eine im Jahre 2013 gegründete Spezialeinheit des syrischen Heeres für besondere Aufgaben im Bürgerkrieg. Ihr Befehlshaber Suheil al-Hassan ist von der Luftwaffe an diese Stelle versetzt worden und gilt als äußerst fähiger Organisator.

<2> Takfiri: extreme Richtung innerhalb der pseudo-islamischen Terrorgruppen. Dort wird die Meinung vertreten, dass alle Menschen, die nicht dieser pseudo-islamischen Richtung angehören, zu töten seien.

 

Quellen

ABC Radio National (2016), ‘Syrian city of Aleppo running out of food as regime forces surround city’, 20 July, online:

http://www.abc.net.au/radionational/programs/breakfast/syria’s-aleppo-running-out-of-food/7643402

Anderson, Tim (2016) Der schmutzige Krieg gegen Syrien. Washington – Regime Change – Widerstand. Marburg 2016.

Anderson, Tim (2016, 9 May) ‘The ‘Aleppo Hospital’ Smokescreen: Covering up Al Qaeda Massacres in Syria, Once Again’, Global Research, 9 May, online:

http://www.globalresearch.ca/the-aleppo-hospital-smokescreen-covering-up-al-qaeda-massacres-in-syria-once-again/5524250

Antaki, Nabil and Silvia Cattori (2016) ‘Aleppo Doctor Attacks Western Media for Bias, Censorship and Lies’, Global Research, 1 May, online:

http://www.globalresearch.ca/aleppo-doctor-attacks-western-media-for-bias-censorship-and-lies/5522736

BBC (2016) ‘Syria conflict: Boy beheaded by rebels ‘was fighter’’, 21 July, online: http://www.bbc.com/news/world-middle-east-36843990

Beeley, Vanessa (2016) ‘Aleppo: US NATO False Flags, Lies and Propaganda’, 21st century Wire, 4 May, online:

http://21stcenturywire.com/2016/05/04/aleppo-us-nato-false-flags-lies-and-propaganda/

FARS News (2016) ‘Dissident Leader Sees Army Victories in Aleppo “Syria’s Winning Card in Geneva”’, 23 July, online:

http://en.farsnews.com/newstext.aspx?nn=13950502000650

Geopolitics (2016) ‘Trapped Aleppo residents begun flowing through 1st humanitarian corridor’, 31 July, online:

https://geopolitics.co/2016/07/31/trapped-aleppo-residents-begun-flowing-through-1st-humanitarian-corridor/

Makhoul-Yatim, Amara (2016) ‘Nabil Antaki, the Syrian doctor who refused to leave Aleppo’, France 24, 21 May, online:

http://www.france24.com/en/20160520-syria-aleppo-nabil-antaki-doctor-maristes-civilians-civil-war

SANA (2016) ‘President al-Assad receives letter from Iraqi prime Minister: War carried on by Syrian and Iraqi armies is one’, 13 July, online:

http://sana.sy/en/?p=82559

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