Allensbach-Chefin Köcher: „Tiefe Beunruhigung in der Bevölkerung“

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08:15

Die Kanzlerin hat in der Flüchtlingskrise emotional reagiert. Die Demoskopin und Allensbach-Chefin Köcher über die Folgen – und die Hemmung vieler, ihre Meinung zur Zuwanderung offen zu sagen.

Demonstranten von "Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes"

Demonstranten von „Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes

Von Andrea Seibel


Die Welt: Ihre letzte Umfrage belegt die große Besorgnis der Deutschen über den nicht enden wollenden Strom an Flüchtlingen. Was ist für Sie der Unterschied zwischen Sorge und Angst?

Renate Köcher: Ich glaube nicht, dass man das so einfach trennen kann. Ich bin auch nicht der Meinung, dass Angst per se etwas Negatives ist. Angst ist eigentlich zunächst einmal ein ganz gesunder Reflex des Menschen. Wenn ich eine Trennlinie zwischen Sorge und Angst ziehen würde, dann würde ich in erster Linie sagen, Sorge ist in vieler Hinsicht rationaler. Indem sie sich festmacht an bestimmten Entwicklungen, die man beobachtet, Fakten, die man erfährt. Angst ist dann mehr das Gefühl, das unter Umständen aus diesen Sorgen resultiert.

Die Welt: Das parteipolitische Gezänk, die Bilder von der Straße, den Grenzen und aus den Flüchtlingsheimen signalisieren, das Land sei im Ausnahmezustand, Staat und Politik hätten die Kontrolle verloren. Sehen Sie das auch so?

Köcher: Zumindest hat die Mehrheit der Bevölkerung den Eindruck, dass man die Kontrolle verloren hat. Wenn die Politik sagt, dass man den Zustrom nicht stoppen kann, dass man die eigenen Grenzen nicht verteidigen und den Zustrom kontrollieren kann, dann ist das ja durchaus die Ansage, man habe zumindest in der Hinsicht die Kontrolle verloren.

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Die Welt: Eine Kanzlerin mag so etwas vielleicht denken, aber sie darf doch niemals das Gewaltmonopol des Staates, zu dem auch die Grenze gehört, derartig öffentlich infrage stellen, oder?

Köcher: Ich maße mir nicht an, zu urteilen, was ein Politiker sagen darf und was nicht. Aber es hat enorme Wirkungen, wenn ein solcher Satz fällt. Und von daher ist dann die natürliche Folge auch eine tiefe Beunruhigung in der Bevölkerung, natürlich nicht nur über diesen Satz, sondern über die Realitäten, die dahinterstehen.

Die Welt: Merkels eigentlicher Satz, der zuvor wie Donnerhall wirkte, lautete: „Wir schaffen das“.


Köcher: Als das gesagt wurde, ging man noch von deutlich anderen Zahlen aus. Von daher ist es im Moment für die Politik wichtig, auf die Veränderung der Situation und der Rahmenbedingungen einzugehen. Denn man kann zu einem bestimmten Zeitpunkt überzeugt sein, dass man etwas verarbeiten kann. Und dann einige Wochen oder Monate später, wenn die ganze Dimension des Problems sich deutlich verändert hat, zu anderen Schlüssen kommen.

Ich fand interessant, was der Tübinger Oberbürgermeister Palmer gesagt hat. Man müsse doch fragen, was geschafft werden soll. Leute in Notunterkünften unterbringen, da schafft man – so seine These – mehrere Millionen. Wenn es aber darum geht, Menschen in einem überschaubaren Zeitraum vernünftig in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, dann liegt die Latte deutlich niedriger. Und das fehlt bisher in der öffentlichen Diskussion, detailliert zu klären: Wie sieht die Herausforderung aus, was kann man sich zutrauen und was ist auch in der Gesellschaft vermittelbar? Denn wenn die Gesellschaft nicht mitgeht, dann schaffen wir es mit Sicherheit nicht.


Die Welt: Vor Kurzem galt Angela Merkel noch als die stärkste Frau Europas. Jetzt hat man den Eindruck, sie hat viel an Gunst verloren, auch an Vertrauen.

Köcher: Zurzeit verliert die CDU, obwohl die Bevölkerung ihr noch am ehesten zutraut, dieses Problem überhaupt in den Griff zu bekommen. Von daher steht die Union unter einem enormem Erwartungsdruck. Die Zufriedenheit mit dem Kurs von Frau Merkel abseits der Flüchtlingsthematik hat nur begrenzt gelitten. Doch in der Flüchtlingsfrage geht die Bevölkerung auf Distanz. Die Mehrheit ist über die Entwicklung besorgt und rund die Hälfte hat auch den Eindruck, dass die Interessen der deutschen Bevölkerung unzureichend berücksichtigt werden. Von daher wird viel davon abhängen, ob man sich wieder annähert und die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt.

Die Welt: Die Bevölkerung fühlt sich nicht ernst genommen. Woran liegt das?

Köcher: Für uns war es regelrechte Detektivarbeit, an die wirkliche Meinung der Bevölkerung heranzukommen. Noch vor zwei, drei Monaten waren wir überrascht, wie gelassen die Reaktionen waren. Bis wir dann plötzlich das Gefühl hatten, irgendwas stimmt an den Antwortmustern nicht, und tiefer gebohrt haben. Dieselben Leute, die uns mehrheitlich sagten, sie fänden es gut, wenn in ihrer Region weitere Flüchtlinge aufgenommen würden, sagten zu rund 70 Prozent, in ihren privaten Gesprächen sei völlig klar, dass die meisten dagegen seien, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.


Dann haben wir geprüft, wieweit die Bürger Hemmungen haben, ihre Meinung offen zu sagen, ob sie den Eindruck haben, man müsse in Deutschland vorsichtig sein, sich zur Flüchtlingsfrage zu äußern. Und da hatten wir 45 Prozent der gesamten Bevölkerung , die sagten, man muss vorsichtig sein. Und bei denjenigen, die sich große Sorgen über die Entwicklung machen, waren es annähernd 60 Prozent.

Die Welt: Dann ist doch der Populismus der CSU heilsam für die Union und für Deutschland, oder?

Köcher: Die Bayern sind das Bundesland, das hier – man kann schon sagen – überrollt wird. Und von daher kann man auch durchaus verstehen, dass die bayerischen Landräte, insbesondere in den Grenzregionen, Alarm schlagen. Ein Problem ist, dass daraus dann oft medial Diadochenkämpfe gemacht werden. Aber ich tue mich hier auch generell schwer mit dem Begriff Populismus. Wenn man die Probleme vor Ort klar benennt und die Sorgen der Mehrheit ernst nimmt, dann ist das zunächst einmal Realitätswahrnehmung und Volksnähe. Populismus wird es erst dann, wenn ein Anliegen oder Problem nur aus taktischen Gründen aufgenommen wird. Angesichts der enormen Herausforderungen ist heute jedoch sicher nicht die Zeit für Taktik, sondern für eine schonungslose Situationsanalyse und eine harte, aber konstruktive Diskussion über die Optionen, die das Land hat.


Die Welt: Ihre Kritik betrifft besonders die Medien. Es besteht ein Unterschied zwischen dem, wie die Mehrheit der Bevölkerung, egal welcher Parteipräferenz, auf die Entwicklung schaut, und dem, wie dies in den Medien widergespiegelt wird?

Köcher: Man muss sich doch fragen, wieso mehr als 40 Prozent der Bürger das Gefühl haben, dass man seine Meinung nicht offen sagen darf. Und das sind ganz normale Bürger, die teilweise SPD-affin sind, teilweise Grün-affin, teilweise CDU-affin. Die auch mit großer Mehrheit nicht ausländerfeindlich sind. Über die letzten zehn Jahre hinweg ist die deutsche Gesellschaft grundsätzlich offener für Zuwanderung geworden. Doch wenn Menschen Angst haben müssen, wegen ihrer Sorgen über den Zustrom an Flüchtlingen in die rechte Ecke gestellt zu werden, dann stimmt etwas nicht in der öffentlichen Diskussion. Denn dann wird nur der, der am Münchener Hauptbahnhof die Flüchtlinge willkommen heißt, gegen den gesetzt, der bei Pegida mitmarschiert. Und dazwischen gibt es nichts.

Die Welt: Sind es nicht eher die Filme und Bilder, die emotionale und moralische Wucht entwickeln?

Köcher: Durchaus. Da spielt auch mit, dass die Bildmedien den Einzelfall natürlich immer viel besser zeigen können als aggregierte Entwicklungen. Die Einzelfälle sind enorm anrührend. Aber wenn die, die sich trotz dieser anrührenden Einzelschicksale über die zahlenmäßige Entwicklung sorgen und nach der Belastbarkeit der Gesellschaft fragen, dann als kaltherzig eingestuft werden, dann wird es schwierig. Ein Problem ist auch, dass die Bürger mit einem weitgehenden parteiübergreifenden Konsens konfrontiert waren, soweit es die im Parlament vertretenen Parteien betrifft. Die Parteien streiten sich nur über Details. Das irritiert viele, weil sie sich fragen, ob die Risiken überhaupt gesehen werden. Auch ob grundsätzlich darüber nachgedacht wird, wo denn die Grenze für das liegt, was sich das Land zutrauen kann. Das haben viele in den letzten Monaten vermisst.

Die Welt: Wie gehen Sie mit dem Begriff der „Lügenpresse“ um?


Köcher: Das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien ist eigentlich hoch. Das gilt insbesondere für das Fernsehen und die Tagespresse. Wir haben in den vergangenen Jahren auch bei unterschiedlichen politischen Themen immer wieder gefragt, ob man die Berichterstattung insgesamt als angemessen empfand, und ich fand die Bewertung der Bevölkerung manches Mal fast zu unkritisch. Jetzt allerdings ist die Situation anders: Die Berichterstattung über das Flüchtlingsthema wird von knapp der Hälfte der Bevölkerung als nicht angemessen und ausgewogen eingestuft.

Die Welt: Wenn die AfD, die sich am Euro abarbeitete und nun an der Flüchtlingsfrage erstarkt, so etwas wie der gehobene Stammtisch ist, was ist dann Pegida? Die späte Rache der untergegangenen DDR?

Köcher: Wir sollten das nicht überbewerten. Die AfD hat schon vor zwei, drei Jahren eine Rolle gespielt. Damals ging man davon aus, sie würden immer stärker. Faktisch wurde sie aber deutlich schwächer. Erst seit diesem Sommer befinden sich beide Bewegungen deutlich im Aufwind. Das war in dem jetzigen Umfeld zu erwarten. So wie wir auch in den 90er-Jahren bei dem starken Zustrom von Balkanflüchtlingen ein deutliches Erstarken am rechten Rand hatten.

Die Welt: Ein ausländischer Beobachter wie der ehemalige US-Botschafter John Kornblum hält unsere Debatte für hysterisch, auch die Gerüchte über einen Sturz der Kanzlerin oder gar die These, ein Hauch von Weimar zöge übers Land.

Köcher: Die Deutschen sind an sich politisch sehr moderat und tendieren heute mit großer Mehrheit überhaupt nicht mehr zu Extremen – weitaus weniger, als das in vielen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Oft werden Minderheitenphänomene überbewertet, und ich bringe das manchmal etwas zugespitzt auf den Nenner: Die Bereitschaft, die Deutschen pauschal unter Verdacht zu stellen, ist im eigenen Land bemerkenswert groß! Ich habe in der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Umfragedaten ein großes Vertrauen in diese Bevölkerung entwickelt.

Die Welt: Sind die Deutschen also mehr als Schönwetterdemokraten?


Köcher: Deutschland ist ein sehr robustes Land. Aber trotzdem muss man sich auch in Bezug auf starke und robuste Länder immer fragen, was ihre Stärke erhält und was sie schwächen könnte.

Die Welt: Unsere Regierung hat offenbar nicht die Kraft zu dieser Kühle und Härte, von der Sie gesprochen haben. Wir sind eine klassische „soft power“. Gerade wurde deswegen Merkel von „Forbes“ wieder zur mächtigsten Frau der Welt gekürt.

Köcher: Ich glaube nicht, dass dies der Grund war, Frau Merkel zu küren. Es ist einfach ein Fakt, dass sie seit Jahren eine der Schlüsselfiguren der internationalen Politik ist. Zur Zeit scheint allerdings ein Teil unserer europäischen Nachbarländer mit einem gewissen Erstaunen auf uns zu schauen. Manche haben den Eindruck, dass wir unsere eigenen Interessen unzureichend analysieren und berücksichtigen. Es ist beruhigend, Mitglied in diesem europäischen Verbund zu sein. Wir machen es uns im Moment ein bisschen zu einfach, wenn wir sagen, die deutschen Asylgesetze und der deutsche Kurs in der Flüchtlingsfrage seien gesetzt und die anderen europäischen Länder müssten hier mitmachen und daran entscheide sich Europa. Diese Frage kann kein Land für sich alleine entscheiden, auch nicht das starke Deutschland.

Die Welt: Der Begriff der Willkommenskultur verschleiert, dass Einwanderung, davon abgesehen, dass Flüchtlinge keine klassischen Einwanderer sind, ein schmerzvoller Prozess der gegenseitigen Akzeptanz und der Konkurrenz ist. Numerisch liegen wir nun angesichts der Menschenströme laut OECD direkt hinter den USA. Aber sind wir wirklich ein Einwanderungsland?


Köcher: Ich habe mich immer schwer getan mit diesem „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ oder „Deutschland ist kein Einwanderungsland“. Was heißt Einwanderungsland im europäischen Verbund? Wir haben in den letzten Jahren eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 bis 500.000 Menschen gehabt, und davon kamen die meisten aus der EU und sind damit nicht klassische Einwanderer, wie Amerika sie definieren würde. Ist ein Spanier, der nach Berlin zieht, ein Einwanderer? Deswegen finde ich es immer merkwürdig, wenn in Deutschland über ein Einwanderungsgesetz diskutiert wird, als könnten wir die Zuwanderung nach Deutschland steuern wie Kanada oder Australien. Ein Einwanderungsgesetz würde weder die Zuwanderung aus der EU betreffen, noch das Thema Asyl und Flüchtlinge. Hier gibt es in der Bevölkerung viele Missverständnisse und eine wachsende Hoffnung, dass ein Zuwanderungsgesetz generell die Zuwanderung nach Deutschland begrenzen und steuern könnte.

Die Welt: Kann man, wie die Industrie dies tut, utilitaristisch die Flüchtlinge als demografische Retter der Deutschen stilisieren? Aus Rüttgers „Kinder statt Inder“ würde ein „Syrer statt Kinder“?

Köcher: Ach Gott, die demografische Entwicklung ist eine ganz langfristige, von der alle entwickelten Gesellschaften betroffen sind, mehr oder weniger rapide. Zu spekulieren, dass die demografische Entwicklung sich durch die Flüchtlinge massiv verändern wird, halte ich für verfrüht. Bevölkerungswissenschaftler weisen darauf hin, dass eine enorm hohe Zuwanderung über viele Jahre notwendig wäre, um die demografische Entwicklung gravierend zu beeinflussen. Das ist alles sehr spekulativ.

Die Welt: Der Ton im Netz hat sich spürbar verroht. Man hört Töne, die rassistisch sind, völkische Anklänge haben. Wie erklären Sie sich das?

Köcher: Das ist teilweise erschreckend. Man hat an sich das Gefühl, in einer zivilisierten Welt zu leben, und kennt diese Art des Diskurse, wie sie im Netz stattfinden, eigentlich aus der persönlichen Erfahrung sonst nicht. Die Äußerungen sind oft abseits von allem, was in einem demokratischen Diskurs zulässig ist, da fragt man sich natürlich, was sind das für Leute und wie viele sind es, die sich so unflätig, so roh äußern. Ich glaube, in dem Moment, wo man die Anonymität im Netz unterbinden würde, wären 90 Prozent dieser Äußerungen verschwunden. Durch die Anonymität der meisten Stellungnahmen wirkt es oft wie eine Kombination aus Aggressivität und Feigheit.

Die Welt: Sie sagen: Aggressivität. Ist nicht an der Kritik an Merkel auch ein tief verstecktes Ressentiment gegen diese seit zehn Jahren regierende Frau an der Macht zu erkennen?


Köcher: Ich kann eigentlich nicht erkennen, dass es heute noch Ressentiments gegen Frauen in politischen Machtpositionen gibt. Ich habe in meiner Jugend einige Jahre in Indien gelebt. Damals regierte Indira Gandhi – in einem Land, das wirklich nicht den Ruf hat, ein Vorreiter der Emanzipation zu sein. Aber sie hatte die Macht und füllte diese Position aus, und ich habe nie in politischen Diskussionen erlebt, dass sie in Frage gestellt wurde, weil sie eine Frau war. Und das Profil von Frau Merkel war bisher bei Männern wie Frauen immer von Durchsetzungsstärke, Kompetenz und Nüchternheit geprägt.

Die Welt: Sie sagten, Merkel „war bisher“ nüchtern. Was ist mit ihr geschehen?

Köcher: In der Flüchtlingsfrage wurde sie teilweise auch als emotionaler wahrgenommen und empathisch. Das verunsichert teilweise diejenigen, die sich über die zahlenmäßige Entwicklung Sorgen machen. Man muss das Problem natürlich auch nüchtern von der weiteren Entwicklung, vom Ende her denken.

Die Welt: Kann man diese einmalige Situation, in der wir sind, überhaupt vom Ende her denken?

Köcher: Keiner kann natürlich die Entwicklung für die nächsten Jahre verlässlich voraussagen. Aber man kann und muss in verschiedenen Szenarien denken und kühl analysieren, was sie bedeuten würden und welche Einflussmöglichkeiten man hat. Man muss natürlich auch sehen, in welch komplexen Zusammenhängen Politik heute agiert. Russland, Euro, Nahost, Flüchtlingskrise: Es ist der permanente Ausnahmezustand. Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu sein, ist eine enorme intellektuelle, physische und psychische Herausforderung.

Die Welt: Deutschland steht bisher für Stabilität und Gründlichkeit. Merkels Handeln hat in der Tat eine neue Zeit begründet. Das Auf-Sicht-Fahren ist vorbei, wir sind im Experimentiermodus.

Köcher: Wir sind eines der wohlhabendsten und erfolgreichsten Länder der Erde. Die letzten zehn Jahre waren eine Zeit des fast ununterbrochenen wirtschaftlichen Aufschwungs und der Prosperität. Wir haben gewusst, überall gibt es Bürgerkrieg und Krisen, aber haben sich viele wirklich dafür interessiert? Dafür, wie instabil die Situation in vielen Regionen ist, die gar nicht so fern von uns sind? Und dass gleichzeitig in der heutigen Zeit durch die Kommunikationsmittel Entfernungen eine ganz andere, geringere Bedeutung erhalten?

Die Welt: Wenn Sie in Szenarien denken, was ist Ihre Tendenz?

Köcher: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie eine illusionslose Optimistin sind.

Die Welt: Eine Formulierung des Zukunftsforschers Matthias Horx, die mir zusagt.

Köcher: Ich bin von meiner Grundeinstellung her an sich auch meist Optimistin, halte aber Gefahrenbewusstsein für überlebenswichtig. Ich hoffe, dass man aus der plötzlichen Eskalation der Flüchtlingskrise lernt. Die Gefahren waren ja schon länger sichtbar, wurden aber von Europa insgesamt weitgehend ignoriert. Ich begleite mehrere große Unternehmen aus der Perspektive des Aufsichtsrates und habe dabei auch gelernt, ein Management unter anderem danach zu beurteilen, wieweit es aus Krisen Konsequenzen zieht, um das Unternehmen für die nächste Krise besser vorzubereiten und das eigene Risikomanagement zu überprüfen. Ich wünsche der Politik, dass sie auch diese Zeit und diesen Atem hat, das gesamte Krisenmanagement, die Krisenanalyse und den Gefahrenmonitor auf den Prüfstand zu stellen.

Die Welt: Deutschland ist offenbar ein internationaler Sehnsuchtsort geworden.

Köcher: Ja, ich habe das auch einmal bei einer Pressekonferenz gesagt, vor dreieinhalb Monaten, als ich die Befindlichkeit der mittleren Generation vorgestellt habe, die u. a. mit großer Mehrheit überzeugt ist, dass Deutschland ein sehr attraktives Land für ausländische Arbeitskräfte ist. Im Nachhinein, vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle, bekommt der Satz eine ganz andere Konnotation.

auxmoney.com - bevor ich zur Bank gehe!

Quelle: Welt-online vom 13.11.2015

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Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Mit diesen Horden wird Deutschland kaputtgemacht – so gehts auch ohne Weltkrieg.
Die Deutschen sterben aus. Weil wir so blöd sind….

Peter Stoelting
Peter Stoelting
8 Jahre zuvor

Von meiner Warte in Australian gesehen (55 Jahre Aufenthalt)erscheinen die Besorgnisse und Reservationen der Allgemein Bevoelkerung im Zusammenhang mit diesem fuehrwahr gigantischen Fluechtlingsandrang nur geringfuegig und bestens im Nachhinein addressiert. (Vergleiche mit den Vertriebenen 1945 und danach halten nicht mal oberflaechiger Begutachtung stand) Es wirft sich auch die Vermutung auf das dieser Ansturm auch nur Deutschland finden konnte in seiner ambivalenden Europaeischen Fuehrunsrolle. Eine dauerhafte Politik verbindlichen Entgegenkommens verwurzelt in dem unverkrafteten Verlust zweier Weltkriege ist ein Katalyst.

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