PRINCETON-STUDIE: Sozialleistungen locken Zuwanderer

  • VON MAJA BRANKOVIC
  • AKTUALISIERT AM 
 

Bislang haben wissenschaftliche Untersuchungen nur einen schwachen Effekt von Sozialtransfers auf die Bereitschaft zuzuwandern nachgewiesen. Ein Forscherteam hat es nun am Beispiel Dänemark untersucht und Überraschendes beobachtet.

Viele Flüchtlinge machen sich nur deshalb auf den Weg nach Europa, weil sie wissen, dass sie hier üppige Sozialleistungen kassieren können. Diese These hält sich in der Zuwanderungsdebatte besonders hartnäckig – in der Forschung ist dieser sogenannte „Pull-Effekt“ des Sozialstaates allerdings umstritten. Viele Studien deuteten bislang höchstens auf eine geringe Magnetwirkung großzügiger Transferleistungen hin.

Maja Brankovic

Maja Brankovic

Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Woche.

Aus Befragungen von Menschen aus Ländern wie Syrien oder Eritrea geht zum Beispiel hervor, dass Einwanderungspolitik der Zielländer für die Entscheidungen von Migranten nur ein Faktor von vielen sei – und unter allen Faktoren auch nicht der bedeutendste.

Eine Forschergruppe um den Princeton-Ökonomen Henrik Kleven setzt dieser Skepsis über die Sogwirkung eines starken Sozialstaats nun harte Zahlen aus Dänemark entgegen: Demnach sind dort Jahr für Jahr deutlich weniger Menschen aus Ländern außerhalb der EU eingewandert, seit die dänische Regierung Leistungen speziell für Migranten aus dieser Gruppe gekürzt hat.

Um herauszufinden, welchen Einfluss die Höhe der Sozialleistungen auf Migrationsentscheidungen haben, wählten die Forscher Dänemark aus zwei Gründen aus: Zum einen verfügt das kleine Land mit gut fünfeinhalb Millionen Einwohnern über einen selbst im Vergleich zu anderen skandinavischen Ländern stark ausgebauten Sozialstaat – ein Umstand, der für Einwanderer besonders verlockend sein könnte, wie die Forscher in ihrer gerade als Arbeitspapier am „National Bureau of Economic Research“ erschienenen Studie schreiben.

Zum anderen gab es in den letzten Jahren mehrere Einschnitte in der dortigen Sozialpolitik: den ersten im Jahr 2002, als die neugewählte Mitte-rechts-Regierung die Sozialleistungen für Ausländer von außerhalb der EU um bis zu 50 Prozent kürzte; den zweiten im Jahr 2012, als die neugewählte Mitte-links-Regierung das Gesetz zurücknahm; und den dritten im Jahr 2015, als die Mitte-rechts-Regierung zurück an die Macht kam und ihre Regelung von 2002 wiedereinführte.

Zudem wurden die Phasen der restriktiveren Sozialpolitik offensiv beworben: Mit der Änderung 2015 zum Beispiel lancierte die dänische Regierung eine Werbekampagne in libanesischen Zeitungen, in denen sie explizit auf die Leistungskürzungen für Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern hinwies – frei nach dem Motto: Hier gibt es künftig weniger Geld.

Der Effekt, den die Forscher in den Daten fanden, war groß. Mit der Kürzung der Sozialleistungen für Nicht-EU-Ausländer im Jahr 2002 ging die Nettoeinwanderung aus dieser Einwanderungsgruppe im Vergleich zu den durchschnittlichen jährlichen Migrationsbewegungen vor der Gesetzesänderung um 5000 Personen im Jahr zurück. Und nicht nur das: Als die Mitte-links-Regierung das Gesetz wieder zurückdrehte, stiegen die Einwanderungszahlen aus der betroffenen Ländergruppe umgehend wieder an – und zwar fast in der gleichen Höhe, wie sie zuvor zurückgegangen waren.

Studieren unter Bestbedingungen: auf dem Princeton-Campus im nordamerikanischen New Jersey
Studieren unter Bestbedingungen: auf dem Princeton-Campus im nordamerikanischen New Jersey :Bild: AFP

Gemessen daran, dass vor dem ersten Politikwechsel überhaupt nur rund 135.000 aus den betreffenden Ländern in Dänemark wohnten, war die Veränderung beträchtlich. Panu Poutvaara, Migrationsforscher am Münchener Ifo-Institut, weist zudem auf die Umlenkungseffekte der verschärften Einwanderungspolitik in Dänemark hin. „Es ist plausibel, dass viele Menschen nach der Änderung nicht zu Hause geblieben, sondern in andere EU-Länder gegangen sind“, sagt er.

In einer 2018 erschienenen Studie wies ein Team um den Ifo-Forscher Till Nikolka einen ähnlichen Effekt nach, als es die Folgen der Verschärfung der Familienzusammenführungsregel in Dänemark untersuchte. Danach sind infolge der Gesetzesänderung nicht nur weniger Menschen nach Dänemark gekommen – vor allem wanderten deutlich mehr dänische Staatsbürger mit Migrationshintergrund nach Schweden aus, weil dort weniger strikte Regeln zur Familienzusammenführung herrschten.

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