ANNE WILL ZUR CORONA-KRISE-Alle gemeinsam im geregelten Gang

In der ARD-Talkshow „Anne Will“ wurden die Folgen der Corona-Krise besprochen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier vertraute auf die Kraft des Möglichen, bis ihn eine Ärztin mit der Realität konfrontierte. Und warum kam keine Opposition zu Wort?

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Wo war eigentlich die Opposition? / Screenshot ARD
Alexander Kissler
Alexander Kissler
 

Das Deutschland des Jahres 2020 sprengt Grenzen der Vorstellungskraft. Die Corona-Pandemie bricht mit Erwartungshaltungen, die zum Kernbestand der Republik zählten. Eine nachholende Modernisierung im Zeitraffer wird die Antwort sein auf diese Herausforderung.

Wer hätte je gedacht, dass von den Landesämtern ermittelte Fallzahlen täglich per Fax an das Robert-Koch-Institut nach Berlin gesandt werden? Fax – das gibt es noch? Oder dass vier von fünf Kommunen keinen Notfallplan für Epidemien haben? Oder dass Atemschutzmasken selbst genäht oder aus anderen Ländern erbettelt werden müssen, weil es in Deutschland Produktions- und Lieferengpässe und keine ausreichende Vorsorge gibt? Vom Ethanol-Mangel und sich abzeichnenden Kapazitätsengpässen an Kliniken haben wir noch gar nicht geredet.

 

„Zu wenig Gedanken gemacht.“

All das konnte man sich vor 2020 im europäischen Musterländle nicht vorstellen. Deshalb hatte der Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest vom ifo-Institut bei „Anne Will“ die Realität auf seiner Seite, als er erklärte: „Wir waren nicht darauf vorbereitet. Wir haben uns zu wenig Gedanken gemacht.“

Die Frage, inwieweit Talkshows die Realität dingfest machen oder nur „Geschichten über die Krise“ (Robert Habeck) erzählen, ist nicht trivial. Ebenso wenig ist es die unmittelbar anschließende Frage, ob in Talkshows Gedanken geäußert oder Positionen inszeniert werden. Gestern lautete die Versuchsanordnung unter der Überschrift „Corona-Ausnahmezustand: Wie geht es weiter in Deutschland?“, man solle sich Gedanken machen. „Nachdenken kann man über alles“, formulierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im gemütlichen Bariton, „natürlich muss man nachdenken“, sekundierte später die Oberärztin Susanne Johna vom Marburger Bund.

Was weiß man derzeit überhaupt?

So sahen es fast alle Teilnehmer der Runde, in der es, wie in Corona-Zeiten üblich, einen medizinischen Überhang und eine politische Unwucht gab. Ansonsten war es eine eminent aufschlussreiche Lektion in angewandter Zeichenkunde. Man dürfe „keine falschen Signale“ (Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister von Hamburg) aussenden, die Kanzlerin könne jetzt „nicht das Signal geben“ (Fuest), die „Kontaktverbotssperre“ (Anne Will) bald aufheben zu wollen, denn „wir wissen alle nicht, wo wir in vier oder fünf Wochen stehen“ (Altmaier).

Was weiß man derzeit überhaupt? Wenig – und das Wenige ist erschütternd. Wie aber soll auf der Basis von Nichtwissen gehandelt werden? Peter Altmaier steuerte zum philosophisch heiklen Problem jenes Prinzip bei, das er beherrscht, das Prinzip vom geregelten Gang. Genauer: das Prinzip einer in Aussicht gestellten Verfahrensnormalität. „Wir haben uns vorgenommen“, sagte Altmaier, „die Zahl der Intensivbetten zu verdoppeln.“ Die Welt ist voll von Vorhaben, von gescheiterten, von geglückten, von albernen, von sinnvollen. In Altmaiers Welt fallen Wille und Vorstellung zusammen und gebären immerfort neue Verfahrenswege.

Möglich ist alles

Ihm zuzuhören, erinnert an das Vergnügen, das in der britischen Politsatire „Yes Minister“ die Reden Sir Humphrey Applebys auslösten, des Verwaltungsapparats in Menschengestalt. Einmal sagt Appleby: „Schlimm genug, wenn wir eine Katastrophe haben. Dann brauchen wir nicht auch noch Anarchie.“ Gedacht war damals an die Lage Großbritanniens nach einem möglichen Krieg. Im „Krieg gegen das Virus“ befinden wir uns gerade. Sagen Macron, Trump und andere Staatenlenker. Altmaier bleibt beim kleinen rhetorischen Karo: „Ich bin überzeugt, dass es möglich ist, die Krise zu überstehen.“ Möglich freilich ist alles und das Gegenteil erst recht.

Mindestens zwei Seiten hat die gegenwärtige Krise, eine ökonomische und eine gesundheitliche. Clemens Fuest warb dafür, „ein Gleichgewicht zu schaffen“, nicht Arbeitsplätze gegen Menschenleben auszuspielen. „Millionen von Existenzen“ seien bedroht, Wirtschaftskrisen hätten immer auch „massiven Einfluss auf die Gesundheit“. Da gab es nichts zu widersprechen. Was aber kann eine Politik, die ebenso „auf Sicht“ fährt, wie es der Braunschweiger Epidemiologe Gérard Krause für seinen Fachbereich konstatierte, überhaupt beeinflussen?

Eine dicke Brieftasche

Sie kann zum Beispiel das Startsignal für die Rückkehr zum ökonomischen Normalbetrieb rechtzeitig setzen. Letztlich müssten wir „arbeiten in einer Welt, die gefährlich ist“ (Fuest), erst recht in der „Industrienation“ (Johna) Deutschland. Damit brachte die Praktikerin des Krankenhauses einen sehr alten Klang ins Diskussionskonzert ein. Johna beharrte auf einem Status, der prekär geworden ist.

Deutschlands industriepolitische Exzellenz ist nämlich, nimmt man Altmaier beim Wort, zurückgeschrumpft auf eine dicke Brieftasche. Deutschland kann es sich leisten, zu feilschen auf den Weltmärkten, wenn überzogene Preise für Atemschutzmasken aufgerufen werden. „Die gute Nachricht“ sei es, „dass wir da eben noch mitbieten können“, wenn zwei oder drei Dollar aufgerufen werden für Masken, die vor der Corona-Krise beim chinesischen Produzenten für wenige Cent zu haben waren.

Das hat wenig mit Imagination zu tun

Noch, wohlgemerkt. Gesundheitsminister Jens Spahn bekannte jüngst im ZDF, „wir hätten uns doch nie vorstellen können, dass so ein Cent-Produkt auf einmal so einen Mangel hat und gleichzeitig eben so schwer zu kriegen ist“. Wenn die Grenzen der Vorstellungskraft aber die Grenzen der Politik definieren, dankt Politik ab. Im Übrigen führt ein Nachfrageüberhang immer zu steigenden Preisen. Das hat wenig mit Imagination zu tun und alles mit Marktwirtschaft.

Damit nicht genug der Abgründigkeiten. Krause steuerte eine unfrohe Prognose bei: „Noch ist die Epidemie nicht so richtig in Deutschland angekommen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es schlimmer wird und wir an die Grenzen unseres Gesundheitssystems stoßen.“ Der geregelte Gang lässt sich davon nicht beirren. Altmaiers Generaldevise hätte die Kanzlerin nicht schöner formulieren können: „Einiges ist gemacht worden, aber leider Gottes nicht genug.“ Bei Angela Merkel heißt es, „hier ist vieles auf den Weg gekommen, aber hier bleibt auch noch viel zu tun.“

Der Ruin ist doppelt

Doch Johna lässt Altmaier nicht so leicht entwischen wie die Hauptstadtpresse die Kanzlerin. „Die letzten vier Wochen“, gab Johna bekannt, „haben nicht ausgereicht“, um das Krankenhauspersonal in Deutschland mit der nötigen Schutzkleidung auszustatten. Der Ruin ist doppelt: Erst vor vier Wochen, als Corona längst wütete, wurden staatlicherseits Maßnahmen eingeleitet, weitere Schutzmasken und Schutzanzüge zu besorgen. Seit spätestens Januar war die Corona-Pandemie ein Faktum. Die Politik, für die stellvertretend die Namen Merkel, Spahn, Altmaier steht, ließ demnach kostbare Zeit ungenutzt verstreichen, zwei volle Monate fast, und kam dann nur langsam in die Puschen. Altmaiers joviale Antwort: Es werde „einige Tage dauern“, bis in Deutschland die Produktion umgestellt sei, und „natürlich sind Masken eingetroffen.“

Nicht minder entlarvend war Altmaiers Erklärung, warum in Deutschland, anders als in der Schweiz, der Staat eine Haftungsgarantie von 90 statt 100 Prozent für Unternehmenskredite übernimmt, die aufgrund der Corona-Krise bei der KfW beantragt werden: „Das geht deshalb nicht, weil die Europäische Kommission nur 90 Prozent genehmigt hat.“ Also ist die Europäische Kommissionen verantwortlich, sollten Unternehmen pleite gehen, weil sie aufgrund erhöhter bürokratischer Hürden ihren Kredit zu spät bekommen. So stellt man sich die gerühmte europäische Solidarität dann doch nicht vor.

Ein bedenklicher Trend

An der Runde ohne Publikum hatten neben Epidemiologe, Ärztin und Ökonom zwei Politiker der Großen Koalition teilgenommen, Tschentscher für die SPD, Altmaier für die CDU. Auch in allen Einspielern kam kein einziger Politiker der Opposition vor. Der eingangs zitierte Robert Habeck hatte kurz zuvor in dem Video-Format „Jung und live“ mit Tilo Jung seine Einschätzung zum Besten gegeben. Er wird seine Nichteinladung eher verschmerzen als AfD, FDP, Linkspartei. So verfestigt sich ein bedenklicher Trend. Die nationale Herausforderung führt zur Einhegung der Demokratie.

In krisenhafter Zeit schart das Volk sich hinter seiner Regierung: Das ist einerseits nachvollziehbar und keine deutsche Besonderheit. Andererseits lebt eine Demokratie nicht vom Einverständnis, sondern vom Widerspruch – und Journalismus meint nicht Verlautbarung, sondern Zweifel. Altmaier ließ an seinen exekutiven Phantasien keinen Zweifel. „Regierung und Opposition ziehen an einem Strang. Das möchte ich auch in Zukunft so haben.“ Hoffen wir, dass es nicht der Strang ist, an dem sich die Freiheiten aufknüpfen.

Quelle: cicero.de vom 30.03.2020


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ulrike
ulrike
3 Jahre zuvor

Solche idiotischen Sendungen schaue ich gar nicht erst an weil mir dabei das Kotzen käme.
Lügen und dummes Geschwafel.

gerhard
gerhard
3 Jahre zuvor
Reply to  ulrike

Illner,Maischberger,Plasberg,Will….am laufenden Band…zum Kotzen schön !!!
Auf meine Anfrage beim ZDF (wann endlich Schluss ist mit Kriegsberichterstattung von der Corona-Front) noch immer keine Antwort.

gerhard
gerhard
3 Jahre zuvor
Reply to  gerhard

Weiß jemand die Einschaltquoten von diesen bescheuerten Sendungen. Fast glaube ich…es wird gesendet…auch wenns keiner sieht.

Kleiner Grauer
Kleiner Grauer
3 Jahre zuvor

Einfach das Zeug 14 Tage in einen Raum sperren und dann nachsehen ob es Stellen gibt wo an DENEN keine Haare gewachsen sind und wo DIE tagsüber auf welchen Lieblingsbaum spielen.
Das ist ein Zitat aus Brehms Studien und nicht die Meinung des Verfassers. Demnach rein Zufällig und nicht mit eventuellen futuristischen Möglichkeiten beabsichtigt.