Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen – Streit ums Geld

07.03.2016, 22:01
Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen (Bild: APA/AFP/Attila Kisbenedek, APA/AFP/Armend Nimani)Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen (Bild: APA/AFP/Attila Kisbenedek, APA/AFP/Armend Nimani)
Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen (Bild: APA/AFP/Attila Kisbenedek, APA/AFP/Armend Nimani)
Foto: APA/AFP/Attila Kisbenedek, APA/AFP/Armend Nimani / Video: Ruptly.tv

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat am Montag einen Deal mit der Türkei auf dem EU-Gipfel vorerst platzen lassen. Einem Entwurf zufolge hätte die Türkei drei Milliarden Euro an zusätzlichen Hilfsgeldern, die Aufhebung der Visapflicht für seine Staatsbürger mit Juni sowie die Zusicherung zur verpflichtenden Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge durch die EU erhalten sollen, im Gegenzug für die Rücknahme aller in der Ägäis aufgegriffenen illegalen Migranten. Orban legte dagegen allerdings ein Veto ein. Nun soll in den nächsten Tagen weiterverhandelt werden.

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Wie auf einem Basar und für viele unerwartet hatte der türkische Premier Ahmet Davutoglu den Preis für die Rücknahme von Migranten am Nachmittag in die Höhe getrieben. Europa soll so viele Syrer aufnehmen wie es in die Türkei zurückschicke, forderte er. Die syrischen Kriegsflüchtlinge sollen im Rahmen eines „Resettlement“ in der EU verteilt werden. Zudem wurde eine Verdoppelung der bisher zugesicherten drei Milliarden Euro zur Unterstützung von Flüchtlingen auf insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2018 gefordert.

Am Veto von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist ein Türkei-Deal vorerst gescheitert. (Bild: AP)
Am Veto von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist ein Türkei-Deal vorerst gescheitert.
Foto: AP

Doch wie jeder Teppichhändler der zur Überraschung seines Gegenübers hoch pokert, könnte Davutoglu auf seinem Angebot sitzen bleiben. Für den Deal mit Ankara machte sich zwar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stark für sie wäre eine Verlagerung der Flüchtlingskrise von griechisch-mazedonischen Grenze zur griechisch-türkischen ein Befreiungsschlag, auch innenpolitisch kurz vor wichtigen Landtagswahlen. Ungarns Ministerpräsident Orban legte in der Sitzung allerdings ein Veto ein vor allem gegen die Aufnahme von Flüchtlingen per „Resettlement“. Die Entscheidung wurde damit zumindest einmal vertagt.

Der beinharte Verhandlungspoker am EU-Gipfel zum Nachlesen:

  • 16.20 Uhr: Angeblich fordert die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise 15 Milliarden Euro verteilt über fünf Jahre.
  • 16.37 Uhr: Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling lehnt Forderungen der Türkei über die bereits vereinbarten insgesamt drei Milliarden Euro hinaus ab. „Ich bin nicht bereit, über die drei Milliarden hinaus noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen“, erklärte der ÖVP-Politiker.
  • 16.43 Uhr: Derzeit tagen die Staats- und Regierungschefs der EU und beraten, wie sie mit den neuen Forderungen der Türkei umgehen sollen. Gegen 19 Uhr ist dann ein gemeinsames Abendessen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu geplant.
  • 16.53 Uhr: Laut EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat die Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise bis 2018 zusätzlich weitere drei Milliarden Euro gefordert. Dies wäre damit weit von den lancierten Forderungen entfernt, dennoch aber immerhin eine Verdoppelung der bisher zugesagten Summe.
  • 17.06 Uhr: Die zuvor von Schulz angekündigten weiteren drei Milliarden Euro für die Türkei scheinen Teil einer EU-Antwort auf die 15-Milliarden-Euro-Forderung des türkischen Premier Davutoglu zu sein. Im Rahmen des Flüchtlingsdeals sollen bis Ende 2018 weitere drei Milliarden Euro in die Türkei fließen, zudem verpflichtet sich die Union auch, die Visapflicht für Türken bis Ende Juni aufzuheben.
  • 17.49 Uhr: Offenbar bahnt sich ein neuer Deal zwischen EU und Türkei an: Demnach sollen zeitlich befristet für jeden syrischen Flüchtling, der von der Türkei aus Griechenland zurückgenommen wird, ein anderer Syrer von der Türkei in dieEU-Staaten verteilt (resettlement) werden. Die EU würde die Kosten übernehmen.
  • 17.54 Uhr: Der türkische Premier verlässt vorerst die Beratungen mit der EU und ist gut gelaunt:
    Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat gut lachen, als er die Beratungen mit der EU verlässt. (Bild: AP)
    Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat gut lachen, als er die Beratungen mit der EU verlässt.
    Foto: AP
  • 18.06 Uhr: Jetzt ist es fix. Beim EU-Gipfel geht es nicht um die ursprünglich kolportierten zusätzlichen 15 Milliarden Euro für die Türkei, sondern um „lediglich“ weitere drei Milliarden Euro. Das zusätzliche Geld soll wieder zweckgewidmet für die Flüchtlinge sein und nicht direkt an die Türkei überwiesen werden.
  • 18.33 Uhr: Der türkische Premier Ahmet Davutoglu begrüßt ersten Meldungen zufolge den neuen Vorschlag der EU. Dieser beinhaltet wie berichtet weitere drei Milliarden Euro, ein Ende der Visapflicht für Türken bis Juni und eine Vereinbarung zur Übernahme von syrischen Flüchtlingen direkt aus der Türkei.
  • 18.37 Uhr: Noch ist aber nicht gesichert, dass es am Montag überhaupt zu einer Einigung kommt. Ein Aufschub auf den nächsten EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommende Woche in zehn Tagen sei möglich, sagte ein Diplomat in Brüssel. Auch einige türkische Beobachter rechneten damit, dass eine Entscheidung noch länger brauchen könnte.

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  • 18.51 Uhr: „Wir wollen Flüchtlingswellen und tragische Ereignisse in der Ägäis verhindern“, betont der türkische Premier Ahmet Davutoglu in Brüssel und signalisiert damit Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU. Der Deal ziele darauf ab, Schlepper zu bekämpfen und Flüchtlinge von der Reise nach Europa abzuhalten.
  • 19.32 Uhr: Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann diskutiert mit Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande:
    Orban lässt Türkei-Deal auf EU-Gipfel platzen (Bild: APA/BKA/KERSTIN JOENSSON)
    Foto: APA/BKA/KERSTIN JOENSSON
  • 19.54 Uhr: Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere fordert die griechische Regierung bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung dazu auf, ankommende Flüchtlinge im Land zu behalten. Gemessen an der Bevölkerungszahl hätten Deutschland und Österreich im vergangenen Jahr weit mehr Menschen aufgenommen als Griechenland. „Das kann jetzt mal ausgehalten werden“, erklärt er in Richtung Athen.
  • 20.51 Uhr: Laut ersten Informationen vertagt der EU-Gipfel seine Entscheidung über einen möglichen Türkei-Deal.
  • 20.53 Uhr: So interpretiert der englische Journalist James Mates die Vertagung der Entscheidung: Die Türkei könnte sich mit ihren Forderungen zu weit aus dem Fenster gelehnt haben.
  • 21.01 Uhr: Bereits Ende nächster Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem weiteren Gipfel in Brüssel zusammen. Spätestens bei diesem Treffen soll dann weiter über den Deal mit der Türkei beraten werden.
  • 21.25 Uhr: Laut neuesten Informationen scheiterte eine Einigung auf dem EU-Gipfel durch ein Veto von Ungarn Premier Viktor Orban.
  • 21.36 Uhr: „Er hat ein Veto eingelegt gegen den Plan, wonach Migranten und Asylbewerber direkt aus der Türkei nach Europa umgesiedelt würden“, mit diesen Worten erklärt der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs der Nachrichtenagentur Reuters die Handlung seines Ministerpräsidenten.

Merkel lehnt Schließung der Balkanroute ab

Zuvor hatte sich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen eine Schließung der Balkanroute ausgesprochen. Die Zahl der Flüchtlinge müsse laut Merkel nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine „nachhaltige Lösung“ gemeinsam mit der Türkei erforderlich. Die deutsche Kanzlerin wandte sich damit gegen eine Formulierung im Entwurf der Schlusserklärung des Gipfels, wonach die Balkanroute für Flüchtlinge aus Syrien nun „geschlossen“ sei. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte zuvor eine Schließung der Balkanroute verteidigt. 

Diese Formulierung entspreche faktisch nicht den Tatsachen, auch wenn die Zahlen erheblich zurückgegangen seien, hieß es. Schon auf dem Flüchtlingsgipfel vor zwei Wochen war allerdings erklärt worden, die Politik des „Durchwinkens“ Hunderttausender Flüchtlinge von Griechenland nach Mitteleuropa müsse ein Ende haben.

Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.) (Bild: APA/AFP/POOL/VIRGINIA MAYO)
Werner Faymann (li.), Ahmet Davutoglu (Mitte), Angela Merkel (re.)
Foto: APA/AFP/POOL/VIRGINIA MAYO

Merkel fordert besseren Schutz der EU-Außengrenze

Merkel forderte ferner die Verringerung der Zahl der illegalen Flüchtlinge „und zwar nicht nur für einige wenige Länder, sondern für alle, auch für Griechenland. Deshalb brauchen wir eine nachhaltige Lösung, bei der der Schutz der Außengrenze, der Voraussetzung für Schengen ist, realisiert wird.“ Das alles müsse verbessert werden, „nicht durch wenige bilaterale Maßnahmen“, sagte Merkel, ohne die jüngsten Schritte Österreichs mit der Obergrenze namentlich zu erwähnen.

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Faymann für Schließung „aller Flüchtlingsrouten“

Österreichs Kanzler Werner Faymann hingegen forderte in Brüssel, „alle Flüchtlingsrouten“ zu schließen. „Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch. Schlepper sollen keine Chance haben“, sagte Faymann am Montag in Brüssel. Er zeigte sich auch skeptisch zu einer nachhaltigen Lösung mit der Türkei. Es sei zwar gut, wenn man mit dem Nachbarn etwas ausmachen könne, aber: „Ob es hält, wird die Zukunft zeigen“, so der Kanzler. „Alles, was herauskommt, ist gut. Darauf verlassen soll man sich nicht, man soll die Außengrenzen auch alleine schützen können.“

Wenn die Türkei akzeptiere, dass die Flüchtlinge gar nicht erst nach Griechenland kommen sollten, sondern die Verteilung in der Türkei stattfinde, „dann wäre das diese Ordnung, die wir immer verlangt haben“.

Die Regierungschefs der EU-Staaten mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu (9. von links) (Bild: APA/AFP/ALAIN JOCARD)
Die Regierungschefs der EU-Staaten mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu (9. von links)
Foto: APA/AFP/ALAIN JOCARD

Mikl-Leitner bezog auf CNN Stellung

Innenministerin Mikl-Leitner bezog am Abend in der CNN-Sendung „Amanpour“ wiederum Stellung zur aktuellen Flüchtlingskrise. In dieser verteidigte sie einmal mehr den österreichischen Standpunkt und forderte die internationale Gemeinschaft zu mehr Hilfe auf. „Was tut der Rest der Welt?“, war ihre Frage .

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (Bild: APA/Herbert P. Oczeret)
Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner

Quelle: Kronenzeitung (Österreich) vom 07.03.2016

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Ulrike
Ulrike
8 Jahre zuvor

Hoffentlich fällt Orban nicht um und macht das miese Spiel von Merkel nicht mit.
Wie kann man sich nur von der Türkei so erpressen lassen?
Schützt endlich unsere Aussengrenzen damit nicht noch mehr einströmen können.
Und schiebt alle Verbrecher schnellstens ab.