Flüchtlingspolitik: Integration auf Deutsch – und auf Polnisch

Abgeschieden und mitten im Wald: Die Flüchtlingsunterkunft im vorpommerschen Rothenklempenow stößt auf Widerwillen. Doch auch die Nähe zur polnischen Grenze sorgt für Konflikte.

21.05.2016, von FRANK PERGANDE, LÖCKNITZ

Die mecklenburg-vorpommernsche Gemeinde Lokritz ist geprägt durch die Nähe zur polnischen Grenze.

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Im vorpommerschen Rothenklempenow, einem Dorf in der Nähe von Pasewalk, steht mitten im Wald ein Haus, das auf ganz besondere Weise von den Irrungen und Wirrungen der Flüchtlingspolitik erzählt. Nicht nur der deutschen, sondern auch der polnischen. Die deutsch-polnische Grenze liegt nur wenige Kilometer entfernt, und das hat Einfluss auf den stillen Ort im Wald. Das Haus, das früher zu einem riesigen Munitionslager gehörte, ist in Privatbesitz. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als händeringend nach Unterkünften gesucht wurde, vermietete es der Besitzer an den Landkreis Vorpommern-Greifswald.

Seit November sind dort Flüchtlinge untergebracht. Zunächst waren es 47, derzeit leben noch dreizehn Syrer dort, alles junge Männer. Betreut werden sie einerseits von der Volkssolidarität, einem fast ausschließlich im Osten bekannten Sozialverband, andererseits auch von Ehrenamtlichen aus Polen. Und das birgt manchen Konflikt. Bis in die nächste Stadt Löcknitz sind es ein paar Kilometer.

Musterbeispiel für das Zusammenleben

Die Bedingungen in Rothenklempenow sind schwierig, für Flüchtlinge wie für Helfer. Nicht nur wegen der Abgeschiedenheit, das Haus liegt auch noch im Funkloch. Wie wichtig aber die Handykommunikation für die Flüchtlinge ist, weiß inzwischen jeder, der mit ihnen zu tun hat. Die Bewohner erfahren Hilfe nach der „Betreuungsrichtlinie“. Eine Zeitlang besorgten zwei Lehrer ehrenamtlich über die Kreisvolkshochschule den Integrationsunterricht, beide übrigens Polen mit sehr gutem Deutsch, wenn auch mit Akzent. Derzeit lehrt noch eine ehemalige Lehrerin Deutsch, stundenweise. Die für den Bereich zuständige Geschäftsführerin der Volkssolidarität, Heike Nitzke, lobt den Einsatz ihrer Mitarbeiter: „Sie fahren mit den Bewohnern nach Greifswald, zum Arzt etwa, 25 Kilometer hin, 25 Kilometer zurück.“ Auch nach Horst in die Erstaufnahme seien sie schon gefahren. Das ist dann schon eine Tagestour, denn Horst liegt ganz im Westen von Mecklenburg-Vorpommern. Was die ehrenamtliche Betreuung in Rothenklempenow betrifft, so bekam sie schon bald eine polnische Nuance.

Löcknitz ist dafür bekannt, dass sich dort in den vergangenen Jahren viele Polen angesiedelt haben. Löcknitz ist – wie früher – wieder ein Vorort von Stettin auf deutscher Seite und preiswerter als die große Stadt. Etwa sechzig polnische Familien dürften inzwischen in Löcknitz leben, zehn Prozent der 3200 Einwohner. Löcknitz gilt als Musterbeispiel für das Zusammenleben von Deutschen und Polen. Das wiederum hat die NPD auf den Plan gerufen, die mit Aufrufen wie „Polen-Invasion stoppen“ Stimmen sammelte und in der Gegend nach wie vor stark ist. Den jüngsten Zusammenstoß mit der NPD gab es Anfang April, als die in Löcknitz installierte Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie die polnischen Bürger zu einem Gespräch über Flüchtlingspolitik eingeladen hatte.

Dort wurde nur Polnisch gesprochen – was wiederum NPD-Anhänger handgreiflich zu stören versuchten. Die Polen in Löcknitz wissen zwar aus eigener Erfahrung, was Integration bedeutet. Aber nur wenige interessieren sich für die Flüchtlinge. Auch ihr Heimatland steht der deutschen Flüchtlingspolitik kritisch gegenüber. In der Großstadt Stettin mit einer halben Million Einwohner gibt es nicht so viele Flüchtlinge wie im strukturschwachen Uecker-Randow-Gebiet. Dafür sollen vor einigen Wochen auf einer Demonstration gegen Ausländer polnische Nationalisten und NPD-Anhänger den Schulterschluss geübt haben.

„Refugees welcome Szczecin“

Andererseits gibt es natürlich auch in Stettin viele vor allem junge Leute, die den Flüchtlingen helfen wollen. Sie gründeten eine Initiative „Refugees welcome Szczecin“. Und die wiederum fand ihr Betätigungsfeld auf der deutschen Seite, auch in Rothenklempenow. Die Polen sammelten Kleidung, sie brachten zwanzig Fahrräder in die Flüchtlingsunterkunft. Sie waren dabei, als in Rothenklempenow mit den Flüchtlingen Weihnachten gefeiert wurde. Da wurde dann auch gemeinsam gekocht, auf der einen Etage polnisch, auf der anderen arabisch. Die Sache ging allerdings nicht ohne Irritationen ab. Die Ehrenamtlichen aus Polen beschwerten sich immer wieder über die hauptamtliche deutsche Flüchtlingshilfe. Sie sei nicht ausreichend, für die Flüchtlinge in Rothenklempenow sei die Zeit verloren, weil zu wenig für die Integration vor allem in den Arbeitsmarkt getan werde. Auch sei es zu schmutzig in der Unterkunft.

Die Volkssolidarität setzte dagegen, die Polen kämen nur ab und zu, die Betreuung müsse aber jeden Tag gewährleistet sein – und sie funktioniere in Rothenklempenow auch. Was den Schmutz angehe – die Flüchtlinge müssten nun einmal, wenn sie in einer sogenannte Folgeunterkunft wie in Rothenklempenow lebten, für sich selbst sorgen. Freilich weiß man auch bei der Volkssolidarität: „Rothenklempenow ist schon sehr abgelegen und schwierig für die Flüchtlinge.“ Im März jedenfalls kam es zu einem runden Tisch mit allen an der Flüchtlingshilfe Beteiligten. Ganz sind die Konflikte dennoch nicht aus der Welt. Freilich ist ein Ende absehbar. Derzeit kommen kaum noch Flüchtlinge nach Mecklenburg-Vorpommern. Ende Juli wird die Einrichtung geschlossen, der Mietvertrag ist schon gekündigt.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.05.2016

 

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