Asyldebatte: Die Milchmädchenrechnung vom »braunen Osten«

02.09.2015
Peter Harth

Die Mainstreammedien spalten die Einheit Deutschlands ausgerechnet mit der Flüchtlingsfrage. Besonders die Bild und Bundespräsident Gauck machen es sich dabei ganz einfach: Der Osten ist »brauner« – sagen die Statistiken – und damit für die guten Menschen aus dem »hellen Deutschland« ein abschreckendes Beispiel. Für diese dreiste Notlüge wurden die Statistiken aber frisiert.

Das bundesdeutsche Asylchaos erreicht gerade neue Rekorde: 800 000 importierte Menschen werden es in diesem Jahr – offiziell –, aber auch diese Prognose ist schon längst wieder überholt. Die Masse der Flüchtlinge wird in überfüllten Turnhallen und Zeltstädten zwischengelagert. Gibt es ein definiertes Ziel? Fehlanzeige. Die kasernierte Ware Mensch wird dort wütend angesichts dieser deutschen Realität.

Aber auch die Enttäuschung der Bürger im Land wächst. Über die grenzenlose Offenheit ihrer Berufspolitiker, die nicht sagen können und wollen, wo all das endet. Über die Medien, die nicht sagen können und wollen, dass hier eine Gewaltkultur aus den gescheiterten, rauchenden Zombie-Ländern dieser Welt importiert wird. Den nicht mehr regierbaren Kollateralschäden US-amerikanischer Weltpolitik.

Deutschland als Anker der globalen Flüchtlingskrise

Deutschland manövriert sich mitten hinein in die globale Flüchtlingskrise. Viele Migranten werden uns große Probleme bereiten, aber die veröffentlichte Meinung macht im Moment lieber alle Gegner dieser Asylpolitik mundtot. Diskussionen über das Pro und Kontra zur Einwanderung finden nicht mehr statt.

Der Kurs im Berliner Parteien-Karussell ist alternativlos, die Sprache verroht, Hass gibt den Ton an. Til Schweiger hat die neue Kultur der Beleidigung salonfähig gemacht. Sie wird zum neuen elitären Sport: Das Volk darf wieder gehasst werden. Journalisten wie Berufspolitiker entmenschlichen die Gegner der Asylpolitik, verunglimpfen sie über Karikaturen, bauen Feindbilder auf und geben Bürger zum öffentlichen Abschuss frei.

Philipp Jessen, der Chefredakteur von stern.de, schrieb vom »menschlichen Dreck«. Nicht in den Flüchtlingsheimen. Davor. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) verteufelte in Heidenau Randalierer, aber auch besorgte Bürger: »Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier rumgetrieben hat.« Bundespräsident Joachim Gauck spaltet gleich die ganze Nation, anstatt zu versöhnen. Mit einer Gegenüberstellung spielt er die Deutschen in der Flüchtlingsfrage gegeneinander aus. Vernunft, Argumente, Logik – das spielt alles keine Rolle mehr:

Die Deutschen werden gegeneinander aufgehetzt

Dafür oder dagegen. Ost (böse) oder West (gut). Zwischentöne gibt es nicht mehr. Gauck instrumentalisiert die innerdeutschen Vorurteile ausgerechnet bei der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition: Dafür ist das »helle Deutschland«, dagegen sind die Nazi-Spießer, der Mob, die ängstlichen Braunen und Rückständigen aus »Dunkeldeutschland«, und auch wer im Westen das Flüchtlingschaos kritisiert, wohnt geistig unter derselben Adresse.

Der Bundespräsident macht mit diesem Vergleich Politik und nimmt ein Fünftel aller Bürger des Landes in Sippenhaft. Was besonders dreist ist: Gauck, der politische Seiteneinsteiger aus dem Osten – einst Bürger und Bürgerrechtler in der DDR – benutzt mit »Dunkeldeutschland« eine Kampfvokabel aus dem Kalten Krieg.

Als Deutschland noch geteilt war, wurde in der Bonner Republik schon einmal über das andere »Dunkeldeutschland« gelacht – weil man dort in aller politischen Rückständigkeit nachts auch noch das Straßenlicht abstellte. Wenn er diesen Treppenwitz der Geschichte nicht für die Asyldebatte gelandet hätte, die Medien würden Gauck dafür zerreißen.

Gauck und »Dunkeldeutschland«: Ein Treppenwitz der Geschichte macht Karriere

Der Ex-Ossi Gauck missbraucht in der Flüchtlingsfrage ausgerechnet die deutsch-deutschen Vorurteile, um das widerspenstige Volk mit einem vertrauten Feindbild zu spalten. Hurra, der alte Sündenbock ist zurück. Ab sofort bitte wieder über das »Pack« schimpfen, also den dumpf-rechten Ossi und seine geistigen Brüder im Westen. Das lenkt den Volkszorn von der Ware Mensch ab, die ihre Zeit in den Flüchtlingsheimen absitzt – aber auch vom Berliner Parteien-Karussell, das dafür verantwortlich ist.

Der braune Ossi – Fremdenfeindlichkeit ist jetzt ein lokales Problem. Nicht nur Politiker verbreiten diese Botschaft. Vor allem Springers Boulevardschleuder Bild holt diesen neuen alten Sündenbock aus dem Keller der Geschichte: »Ausländer-Hass in Deutschland – Ist der Osten brauner als der Westen?« Natürlich ist der Osten das, urteilt die Bild und serviert zum Beweis gleich mehrere Statistiken.

Im Osten wünschen sich 12,4 Prozent einen »Führer, der Deutschland mit starker Hand regiert«, im Westen sind es nur 8,4 Prozent. 33,8 Prozent der Ostdeutschen glauben, dass »Ausländer nur hierherkommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Im Westen nur 25,5 Prozent. Und: Im Osten halten 31,5 Prozent der Befragten die »Bundesrepublik im gefährlichen Maß durch Ausländer für überfremdet«. Im Westen sind es 26,5 Prozent.

Der neue alte Sündenbock

Fertig ist das Medien-Märchen. Die Bild hat sich dafür durch alle Studien gewühlt und sie aus dem Kontext gerissen. Etwa eine Studie der Universität Leipzig. Solche Umfragen scheitern allein daran, dass Rechtsextremismus als Begriff in der Wissenschaft umstritten ist. Es gibt viele mögliche Definitionen. Was sagen also Prozente einer Umfrage aus, wenn in jeder Umfrage oder Studie Rechtsextremismus anders definiert wird? Nichts.

Was noch auffällt: Kein Demograf, kein Professor für Statistik wollte sich für die Bild-Hetze hergeben. Es wurden auch nur Studien aus dem Zusammenhang gerissen, die den »braunen Osten« zeigen, über den Rest wird geschwiegen. 2014 zählte man 1029 rechtsextremistisch motivierte Straftaten. 300, also 29 Prozent, davon im Osten. Aber: Allein in Nordrhein-Westfalen wurden im selben Jahr 370 Taten begangen. Damit wäre dieses Bundesland allein rechtsextremer als der gesamte Osten.

Statistiken werden gesucht … die Äpfel mit Birnen vergleichen

Die Autoren des Bild-Artikels arbeiten außerdem unsauber. In den westdeutschen Ländern leben fast alle Migranten – oder anders gesagt: Nirgendwo sonst ist Deutschland noch so deutsch. Im Osten ist man ärmer, auch an Ausländern. Nicht nur die Bild benutzt damit Umfragen, die Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Zahlen für den Westen werden durch die vielen Ausländer und Migranten verzerrt, die sich kaum selber hassen werden. Deshalb müssen Demografen und Statistiker diesen Personenkreis herausrechnen, wenn sie wirklich wissen wollen, wie ausländerfeindlich die Deutschen sind. In Ost und West.

Die statistische Verzerrung ist dabei gigantisch. 2011 zählte man in der letzten Volkszählung 6,2 Millionen Ausländer und 15 Millionen Personen mit Migrationshintergrund. Die Grundgesamtheit für solch eine Umfrage wäre also nicht 80,2 Millionen. Es gibt nur 59 Millionen Deutsche, die überhaupt ausländerfeindlich sein können.

Das Ausmaß der statistischen Verzerrung

Die 21,2 Millionen Ausländer und Migranten verteilen sich extrem ungleichmäßig. 96,3 Prozent von ihnen leben fast ausschließlich im Westen und in Berlin. In den ostdeutschen Flächenländern beträgt der Anteil der Ausländer nur zwischen 1,5 Prozent und 1,9 Prozent. Die Hochburgen für Migration sind Nordrhein-Westfalen (4,2 Millionen), Baden-Württemberg (2,7 Millionen), Hamburg (465 000), Berlin (781 000), Bayern (2,3 Millionen) und Hessen (1,5 Millionen).

Die wesentliche Aussage lautet aber: Den »braunen Osten« gibt es vor allem dank einer Milchmädchenrechnung. Leider geht dieses Medien-Märchen Hand in Hand mit einer politischen Instrumentalisierung und der zu einfachen Merkel-Botschaft: »Deutschland wird auch diese Herausforderung meistern.« Wirklich? Dank statistischer Tricksereien!

Quelle: Kopp-online vom 02.09.2015

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