Grenzmauer-Bau in Lettland und Ukraine: „Ausgrenzung Russlands sichtbar machen“

Als einen Rückfall in das Lagerdenken bezeichnet Peter Schulze, Politologie-Professor an der Universität Göttingen, die Pläne Lettlands und der Ukraine, einen „Schutzwall“ an der Grenze zu Russland zu errichten.

Im Sputniknews-Interview mit Nikolaj Jolkin beschuldigte er den Westen, Versprechungen gebrochen zu haben, nach dem Untergang der Sowjetunion keine neuen Grenzen in Europa und keinen tiefen Graben zu ziehen. „Nach den Ereignissen in der Ukraine 2014 ist plötzlich die Zeit auf eine Ausgrenzungspolitik gegenüber Russland zurückgedreht worden. Diese Politik wird durch Mauern und Grenzbefestigung oder durch Truppenverlagerung an die Westgrenze Russlands, besonders im Baltenland, aber auch durch Manöver in der Ukraine symbolisch hochgezogen. Eine ungute Situation braut sich zusammen: Russland gehöre nicht mehr zu Europa.“

Die Lehren der Berliner Mauer, derer Bau am 13. August vor 54 Jahren begann und die deutsche Teilung für mehr als 28 Jahre besiegelte, wurden vergessen. „Die Berliner Mauer hatte aber einen ökonomischen Sinn“, erinnert sich der Russland-Experte, „den Aderlass an Flüchtlingen aus der damaligen DDR zu stoppen. Sie ist dann in der SED-Propaganda als antiimperialistischer und antifaschistischer Schutzwall hochstilisiert worden. Das ist nicht der Fall in der Ukraine und nicht in Lettland. Das ist auch nicht der Fall in Israel und Palästina. Und das war auch nicht der Fall in China bei der ersten großen Mauer.“

In der Ukraine habe das einen symbolischen Wert, setzt er fort. Es gebe keine russischen Flüchtlinge, die Lettland oder andere baltischen Länder überfluten. Es gebe keine russischen Flüchtlinge, die in die Ukraine gehen. Eher umgekehrt. „Denn die Ukraine ist ökonomisch bankrott. Es ist eher zu vermuten, dass – wenn die ökonomische Situation sich dort verschärft – ein Flüchtlingsstrom nach Russland kommen wird.“

Die eindeutige Message sei: Russland solle abgetrennt werden, ist sich der Politikwissenschaftler sicher. Das wolle man durch diesen Mauerbau in Lettland symbolisieren, der völlig unsinnig sei, weil er keine Funktion richtig erfüllen könne.

„Wer ist nach Lettland gekommen? 134 vietnamesische Flüchtlinge? Es ist doch lächerlich in Anbetracht der Zahl, dass die Europäische Union mittlerweile von fast einer Million Flüchtlingen in diesem Jahr überflutet wird. Und wenn man die Situation in Mazedonien, Kroatien oder in Griechenland, Italien und Spanien sieht, dann ist das grauenhaft. Und da werden keine Mauern gebaut. Die Ungarn versuchen, eine Grenzbefestigung aufzubauen, weil sie der Situation im Nachbarland Serbien nicht trauen. Aber für Lettland oder für die Ukraine sind das aberwitzige Maßnahmen, die nur einen politischen Sinn haben.  Die Ausgrenzung von Russland soll sichtbar gemacht werden.“

Peter Schulze hofft, dass Deutschland und andere wirtschaftspolitisch an Russland interessierte EU-Staaten bei der Formulierung einer europäischen Russlandpolitik wieder mehr Gewicht bekommen. Die deutsche Politik mache eine Vogel-Strauß-Politik, stecke den Kopf in den Sand und lasse die anderen gewähren.

„Weil sie Angst hat, vor der transatlantischen Fraktion in der Europäischen Union und in den USA zerfleddert und scharf angegriffen zu werden. Und die deutschen und andere Medien Europas spielen das gleiche Spiel, sodass wir praktisch eine Situation haben, wo der Schwanz mit dem Hund wedelt: wobei Polen und die baltischen Länder, das Vereinigte Königreich und die USA bei der Formierung der EU-Russlandpolitik dominieren. Diese Länder haben kaum ökonomische Interessen an Russland. Sie sind marginal im Vergleich zu Deutschland, Österreich, Oberitalien, zu Holland oder auch zur Slowakei oder der Tschechischen Republik. Hier werden einfach ideologische und politische Interessen hochgehalten, der Europäischen Union aufgepfropft. Das hat zu dieser schrecklichen Situation der Sprachlosigkeit, der Vereisung und der Ausgrenzung geführt“, meint der Experte.

„Und wenn wir das Griechenland-Thema, das über allen noch schwebt, unter Kontrolle bekommen, findet Deutschland — vielleicht nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr — zu einer realistischen und von eigenen Interessen bestimmten Politik gegenüber Russland“, betont Professor Schulze.

Quelle: Sputnik vom 13.08.2015

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell, Geschichte, Kultur, Nachrichten, Politik, Soziales, StaSeVe Aktuell, Völkerrecht, Wirtschaft, Wissenschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments