Viktor Orbán: Ungarn zuerst! – Konzeptionelle Hintergründe seiner Politik

Viktor Orbán: Ungarn zuerst! – Konzeptionelle Hintergründe seiner Politik
Viktor Orbán bei seiner jährlichen Rede zur Nation (Budapest. 16. Februar 2020)

Unter Präsident Viktor Orbán vollzieht Ungarn eine politische Neuausrichtung. Ohne sich vom Westen abzukoppeln, will Orbán engere Beziehungen zu Russland und China. Dagegen stemmt sich Deutschland mit seinem wirtschaftlichen Einfluss.

Prof. Dr. Anton Latzo  

In den vergangenen 30 Jahren haben in Ungarn vor allem zwei politische Kräftegruppierungen die Regierungspolitik bestimmt: Zum einen die sozialdemokratisch geprägte Gruppe der Reformisten und Revisionisten, die schon in den 1970er Jahren begonnen haben, Ungarn auf den Weg der „Reformen“ auszurichten (Ungarische Sozialistische Partei – MSZP), und zum anderen die national-konservative Strömung unter Führung von Präsident Viktor Orbán.

Die bestimmende politische Kraft im Ungarn des letzten Jahrzehnts waren Orbán und seine Fidesz-Partei (Ungarischer Bürgerbund), die schon von 1998 bis 2002 die Regierung bildeten. Nach einem Zwischenspiel der Sozialdemokraten ist Orbán seit 2010 erneut und bis heute ununterbrochen Ministerpräsident und die Fidesz stärkste Parlamentsfraktion.

Bei grundsätzlicher Befürwortung des kapitalistischen Modells unterscheiden sich beide Gruppierungen hinsichtlich der Wahl des Weges. Die sozialdemokratischen und liberalen Kräfte glauben an die EU und IWF/USA als Hauptweg. Die von Orbán angeführten Kräfte um die Fidesz-Partei stellen das Ungarische als Ziel und Mittel in den Vordergrund ihrer Innen- und Außenpolitik. Seine Regierung verfolgt eine in diesem Sinne zweckmäßige und pragmatische Politik und wählt auch die ausländischen Partner unter diesen Gesichtspunkten aus.

In der Rede zu seinem 10-jährigen Regierungsjubiläum erklärte Orbán, dass das Land zu Beginn seiner zweiten Regierungszeit im Jahr 2010 „… am Rande des Bankrotts (stand) und man es an das Beatmungsgerät des IWF angeschlossen hatte“. Deshalb habe er sich das „Ziel gesetzt, uns selbst und der Welt zu beweisen, dass wir noch immer jemand sind“.

Wir waren der Ansicht, entweder wir finden einen Weg oder wir bauen einen. Und da die durch Brüssel und Washington markierten Wege für uns nicht gangbar waren, waren wir gezwungen, einen neuen zu bauen.

Ein zentrales Element dieser Konzeption sieht er im Ausbau der Beziehungen „mit dem Osten“, worunter er die Beziehungen zu China, Russland und den Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei) versteht. Besonders in Deutschland wird Orbáns diesbezügliche Politik als Nationalismus bezeichnet.

Die aktuell führenden Köpfe in Ungarn, wie auch in den anderen osteuropäischen Staaten, rekrutieren sich in beiden oben genannten Fällen zumeist aus Kreisen, die von den führenden Mächten der EU und der NATO direkt oder über Stiftungen (darunter die Stiftungen von George Soros für eine „offene Gesellschaft“, die bis zu ihrem Umzug nach Wien und Berlin in Budapest residierten), Stipendien usw. auf politische Funktionen vorbereitet wurden.

Viktor Orbán arbeitete ab April 1988 – gleichzeitig auch Angestellter des Landwirtschaftsministeriums – für die „Soros Foundation of Central Europe Research Group“, von der er im September 1989 ein Stipendium für ein Studium am Oxforder Pembroke College erhielt. Das brach er 1990 ab, um an der Parlamentswahl in Ungarn teilzunehmen. Orbán wurde Mitglied des Parlaments, Vorsitzender der Fidesz-Partei und engagierte sich in der Politik als Wahrnehmer der im Sinne seiner politischen Zieheltern bestimmten national-staatlichen Interessen Ungarns unter kapitalistischen Bedingungen.

Orbán & Co sahen sich in der Praxis zunehmend mit Misserfolgen in der nach 1989 betriebenen Innen- und Außenpolitik konfrontiert, die den Rezepten der westlichen Mächte gefolgt war. Sie wurden, im Interesse der Selbsterhaltung, immer mehr von der sozial-ökonomischen und politischen Wirklichkeit gezwungen, Scheinalternativen  zu proklamieren, die den Interessen der Menschen, die ja auch Wähler sind, besser zu entsprechen scheinen.

Orbán ruft Beginn einer neuen Ära aus

Ministerpräsident Orbán zog einfach einen Trennungsstrich und erklärte die Periode nach 2010 und seine Politik zum „Beginn einer neuen Ära“. Mit sozialer Demagogie, verbunden mit ideologischen Vereinfachungen, stößt er dabei nicht nur in der von der „Transformation“ enttäuschten Heimat, sondern auch im Ausland auf Verständnis und Beifall.

Bei der Begründung seiner Politik knüpft Orbán geschickt auch an historische Vorbilder wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Ungarns Istvan Tisza (Anfang des 20. Jahrhunderts) an. Er erklärt, dass er, wie Tisza, ein „Mann an der Seite der Arbeiter“ sei, der bewiesen habe, dass man „nicht ein Kommunist oder Sozialist sein musste“, ja „sogar national sein konnte, um dennoch das Volk zu vertreten“. Gegen die krisengeschüttelte „westliche“ Welt, die mit ihrem Individualismus und ihrer „Freiheit“ gescheitert sei, und deren Nachahmung „uns umbringen“ würde, wirbt Orbán für seine Sicht des Staates, den er als „arbeitsgestützte Gesellschaft“ schönredet und von den tatsächlichem materiellen und politischen Grundlagen ablenkt.

Er wolle das Land „einrichten für die Menschen, die arbeiten wollen“. Politik soll „nah am Menschen sein und nicht über sie hinweg arrangiert werden“. Das sei die „bürgerliche Stärkung“ des Landes, die er anstrebt. In diesem Sinne müsse Ungarn ungarisch bleiben. Er beruft sich auf die Nation und driftet in Nationalismus ab! Verpackt wird diese Ideologie in „volksnaher Krisenlösung“.

Diese Prinzipien bilden kein geschlossenes weltanschauliches System Orbáns beziehungsweise der Fidesz. Sie haben jedoch eine starke Wirkung sowohl auf die Bürger als auch auf die Innen- und Außenpolitik der Regierung im letzten Jahrzehnt und voraussichtlich auch für eine längere Periode.

Außenpolitisch müsse sich Ungarn „stark“ zeigen und sich „vor niemandem beugen“. Ungarn sei „des Westens müde“, müde, „sich sagen zu lassen, was man wie zu tun oder zu lassen habe“. Ungarn entwickle sich gegenwärtig trotz des massiven Widerstands „der internationalen Konzerne“, denen man nicht mehr erlaube, Unsummen an „Extraprofiten“ aus dem Land zu schleppen, trotz der Intrigen der „Brüsseler Bürokraten“, der Lobbyisten in Brüssel und London, deren System in Ungarn gescheitert sei, das mit Hilfe „der postkommunistischen Kader“ errichtet worden sei. Orbán verortet Ungarn in der EU sogar im selben Hinterhof, in dem es sich dereinst im Habsburger Reich befand.

Abkehr vom „liberalen Westen“

Wichtig für die aktuelle außenpolitische Orientierung Ungarns erweist sich der Standpunkt Orbáns, dass das Schicksal des Landes historisch von der Verbindung zu Deutschland, Russland und der Türkei geprägt wurde und wird. „Diese drei Großmächte bestimmen seit Tausend Jahren, was mit uns geschieht“, erklärt Orbán. Ungarn vertrete gegenwärtig eine Politik, die in den „maßgeblichen Ländern“ ein Interesse daran weckt, dass sich Ungarn zu einem erfolgreichen Land entwickelt.

Ziel sei es, Berlin und Washington, Peking und Moskau zu der Erkenntnis zu bewegen, dass es auch in ihrem Interesse sei, zum Erfolg Ungarns beizutragen! Der „liberale Westen“ ist deshalb für ihn ein Gegner. Es gelte, einen ungarischen Sonderweg zu suchen, der national-konservativ geprägt ist und dessen Pfad Viktor Orbán am besten kennt.

Zunehmende Bedeutung in der ungarischen Außenpolitik nach 2010 gewann das Streben, das Land nach Osten zu „öffnen“. Grundlegende Interessen dafür liegen im Bereich der Wirtschaft und des Handels. Es geht Ungarn mit seiner außenorientierten Volkswirtschaft vor allem um eine Belebung seiner Exporte in die Märkte Russlands, Chinas und Ostasiens, aber auch nach Zentralasien. Zugleich sollen Investoren aus diesen Regionen angezogen werden.

Durch die Ausweitung und Vertiefung dieser Beziehungen soll auch ein wirksames Gegengewicht zur einseitigen Einbindung Ungarns in die EU und in das von den Westmächten dominierte System sein. Ungarn strebe dabei nicht an, sich vom Westen abzukoppeln, sondern wolle außenwirtschaftlich auf zwei Beinen gehen, erklärte Außenminister Péter Szijjártó.

Das Interesse an der Ausdehnung der Beziehungen in diesen geographischen Raum hat allerdings auch eine politische Dimension. Ungarn möchte damit offensichtlich ein politisches Gegengewicht schaffen zu dem übermächtig gewordenen Einfluss, den die EU und ihre Mitgliedsstaaten sowie die USA auf das Land ausüben.

Russland und China als Partner

Den Beziehungen zu Russland und China wird dabei eine besondere Bedeutung eingeräumt. Ungarn strebt an, die politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Beziehungen zu stärken, den kulturellen Austausch und Export in Richtung Russland und China zu fördern. Im Mittelpunkt steht die Ausweitung der Zusammenarbeit in den Bereichen des Handels, der Energie und des Verkehrs. Als Beispiel für die Beziehungen mit Russland stehen Kernkraft und Pipelines und mit China die Seidenstraße.

Wichtig für Ungarn ist auch die demonstrative Funktion, die gegenüber dem Westen eine bestimmte politische Wirkung ausüben und das Gewicht des Landes anheben soll.

In diesem Sinne gehört Orbán seit Jahren zu denjenigen, die nachdrücklich für ein Ende der antirussischen Sanktionen und für zwischenstaatliche Beziehungen plädieren, die von den Interessen der Beteiligten ausgehen und durch gleichberechtigte Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil verwirklicht werden. Im Jahre 2016 blockierte Ungarn eine antichinesische Resolution der EU.

Die Verwirklichung gleichgerichteter Absichten ist ein Verbindungselement und Gegenstand auch für das Zusammenwirken Ungarns mit den anderen Nachbar- und Visegrád-Staaten sowie mit Serbien und auch Österreich.

Spätestens mit den Wahlen von 2014 zeigte sich, dass die von Orbán verfolgten Ziele mehr sind als ein flüchtiges Phänomen, das aus einer bestimmten Situation als kurzfristige Reaktion entstanden ist. Er hat sich bis heute behauptet und es gibt Hinweise, dass er noch für eine längere Periode die Politik des Landes bestimmen wird.

Andererseits ist auch deutlich geworden, dass es sowohl in Ungarn und besonders international Gegenkräfte gibt, die aktiv eine Entwicklung in dieser Richtung zu verhindern suchen. Dazu zählen vor allem die internationalen Konzerne, Deutschland und die USA sowie andere Staaten, die versuchen, über die EU wirksam zu werden. Sie nutzen zugleich zahlreiche NGOs wie die Soros-Stiftungen und Parteienstiftungen. Diese Kräfte besitzen nach wie vor beträchtliche Möglichkeiten zur gezielten, punktuellen und nachhaltigen Einwirkung auf die Gesellschaft und Politik in Ungarn. Sie sind daran interessiert, dass Ungarn nicht zu einem Präzedenzfall erfolgreicher Absetzpolitik vom Primat der EU-Regeln wird.

Deutschland stemmt sich gegen Ausrichtung nach Osten

Deutschland nimmt eine herausgehobene Stellung ein. Da die ungarische Wirtschaft über Produktionsketten, Handelsströme und beachtliche ausländische Investitionen eng an die deutsche Wirtschaft gebunden ist, wird Deutschlands Ziel, bestimmend in Ungarn und in der Region wirksam  zu werden, ökonomisch untermauert. Deutschland wird mit diesem Hintergrund zur äußeren Hauptkraft, die in der Lage ist, Ungarns Politik zu beeinflussen und Ungarns Streben nach Souveränität einzudämmen. Es befürchtet, dass eine erfolgreiche ungarische Außenpolitik Beispiel auch für andere osteuropäische Staaten sein und  der Verwirklichung Berliner Ansprüche schaden könnte. Gemeinsamkeiten mit den USA sind dabei nicht zu übersehen!

Unter diesen Umständen ist Deutschland daran interessiert, dass Ungarn keine erweiterten Beziehungen zu Drittstaaten wie Russland und China aufbaut, die die Verwirklichung der deutschen Politik gegenüber diesem Land als wichtigen mitteleuropäischen Partner und gegenüber der Region behindern.

Eine nüchterne Betrachtung führt zu der Schlussfolgerung, dass die Verwirklichung der Orbán-Konzeption nicht aussichtslos ist, wenn die internationalen Umstände sich günstig entwickeln und das internationale Kräfteverhältnis zugunsten eines größeren Einflusses Chinas und Russlands gestaltet werden kann.

RT bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Quelle: Russia Today (RT) vom 02.06.2020 


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ulrike
ulrike
3 Jahre zuvor

Orban hat recht. Die Deutschen geht das einen Dreck an was er macht.

Berliner Ansprüche?? Was darf ich darunter verstehen?
Die Idioten schauen doch immer nur in eine Richtung.

birgit
birgit
3 Jahre zuvor

Orban macht das, was er will und nicht wie es ANDERE gern hätten !